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Kommentar Italien und die „Sea-Watch“Zu Gesetzesbrechern gemacht

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Italiens Innenminister Salvini macht für die EU im Mittelmeer die „Drecksarbeit“. Wie Viktor Orban hält er dem Kontinent die Migranten vom Leib.

Italiens Innenminister Matteo Salvini spricht in einer Talkshow über sein Lieblingsthema Foto: dpa

H ört man den italienischen Innenminister Matteo Salvini reden, dann muss man glauben, sein Land befinde sich im Krieg. Mit einem „feindseligen Akt“, mit einer „Provokation“ sei Italien konfrontiert, doch weiterhin gelte: „Das Recht auf die Verteidigung unserer Grenzen ist heilig“.

Die große Aufregung gilt einem in der Sache eher kleinen Problem. Das NGO-Schiff „Sea-Watch“ versucht gegen den Willen der italienischen Regierung, in Lampedusa 42 Migranten an Land zu bringen. Schon hat das Erzbistum Turin deren Aufnahme angeboten, schon haben sich auch diverse deutsche Kommunen bereit erklärt, den Flüchtlingen eine neue Heimat zu bieten. In der Sache ist absolut nicht zu erblicken, wieso mit der Ankunft der „Sea-Watch“ Italiens nationale Sicherheit gefährdet sein sollte.

Doch erneut geht es Innenminister Salvini gar nicht um die Sache, sondern vielmehr ums Prinzip. Seit einem Jahr im Amt, hat er für Italien die Totalabschottung gegen Flüchtlinge und Migranten verfügt, hat er zuletzt die bloße Einfahrt der NGO-Schiffe in die italienischen Hoheitsgewässer per Gesetzesdekret für illegal erklärt – und tönt nun, auf der „Sea-Watch“ seien Gesetzesbrecher unterwegs.

So absurd das Missverhältnis zwischen der angeblichen Bedrohung und der italienischen Reaktion ist, so sehr allerdings hat Salvini wenigstens in einem Punkt recht. „Wie üblich, schläft die Europäische Union“, beschwert er sich – und wenigstens in diesem einen Punkt trifft er sich mit der „Sea-Watch“, denn auch die deutsche NGO beklagt, dass „Europa uns alleingelassen hat“.

In anderen Hauptstädten der EU mag man den Rechtspopulisten Salvini für unappetitlich halten, doch am Ende erledigt er – genauso wie Viktor Orbán in Ungarn – auch für die anderen die „Drecksarbeit“, hält er dem Kontinent die Migranten vom Leib. Da mögen Organisationen wie das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen noch so laut protestieren, da mag Europa sich über Donald Trumps Grenzregime erregen, doch am Ende hält die EU es auch nicht anders. Warum auch? Salvinis Italien macht ja den Job.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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21 Kommentare

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  • Jetzt wird als der Gesetzgeber angegriffen, weil er Gesetze erlässt und damit in der Folge diejenigen, die sich nicht an die Gesetze halten zu Gesetzesbrechern werden.

    Andersherum wird ein Schuh draus. Gesetzesbrecher sind zu geißeln, wenn sie sich nicht an die nach demokratischen Grundsätzen zustande gekommenen Gesetze halten.

    Frau Rackete hätte unlängst nach Frankreich fahren können. Schlielich wird ihr Schiff dort auch beladen und betankt. Sichere Häfen gibt es dort genug. Das Ausharren vor Italien ist nicht zu entschuldigen.

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Die Nazis hatten auch Gesetze...

      • @97627 (Profil gelöscht):

        Und die Nazis haben aus ihrer Sicht nach demokratischen Grundsätzen gehandelt? Ich glaube eher nicht.

    • 9G
      90857 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Noch näher als Frankreich wäre Malta gelegen, obwohl dort gegenüber den Flüchtlingen und deren Rettungsschiffen ähnliche Bedingungen gelten wie in Italien.

      Auch Spanien wäre evtl. möglich gewesen, gab es doch im letzten Jahr und als Sanches die Regierung übernahm ein leichtes Aufflackern an Nächstenliebe gegenüber den Flüchtlingen. Aber heute sind die Nato-Drahtverhaue in Ceuta und Melilla wohl keinen Zentimeter tiefer als zu Zeiten von Rajoy & Co.

      Nein, es geht geostrategisch wohl darum, dass die von Malta über Frankreich bis Spanien agierenden Regierungen wohl keinen negativ vermarktbaren Salvini, keine eu-kritische Regierung haben (sollen, dürfen),

      man daher von Seiten der EU wie von Sea-Watch auf die Belange eben dieser Staaten Rücksicht nimmt.

  • Welch ein Text...! ..da hat Michael Braun sehr klar die `juristisch hingebogene´ (Salvini hat´s ja im Namen des Schutzes Italiens hingebogen..) Logik(?) der Gesetze Italiens geschildert..



    Demgegenüber steht die Apathie (?) der anderen EU Staaten , den NGO Lebensrettern von "SEAWATCH" nicht solidarisch und human beizustehen !



    Im Grunde ist es so, das die NGO Lebensrettung Schiffbrüchiger in Seenot von , der EU , mit Italien, Malta..als `Handlanger´ quasi verboten ist ! Das ist aber so etwas wie legalisiertes Töten durch Ertrinken*lassen hilfsbedürftiger Menschen! Durch die Abwesenheit von Solidarität der EU mit Italien und Malta , hat der Herr Salvini eine art politische Rolle als Henker (!) - im Namen der EU- angenommen.



    ------------------



    Nun hat die Frau Kapitän , im Angesicht der Enge an Bord , in der Perspektive das die psychische Belastung der Geretteten und der Besatzung drohende Ausmasse annahm.. (nach mehr als 14 Tagen Odysee !) klug entschieden, Lampedusa anzulaufen !



    Es bleibt die Vermutung das Frau Kapitän Rackete human kompetent sich entschied , gegen das Verbot , trotzdem Lampedusa anzulaufen , um zu verhindern das "SEAWATCH 3" selber nicht zu einem tragischen Seenotfall werden sollte ?

  • “Das Verhalten der Südschiene in der Flüchtlingsfrage - ist die Quittung für Grexit an Angela&Schäuble & deren Verhalten. Ab da wußten sie - wenn uns das Wasser mal bis zum Hals steht,



    Lassen die via EU im Regen stehen!“



    ~~ Friedrich Küppersbusch &! Dess -



    War&Ist - eben nur die halbe Wahrheit.

    Alles nochdazu - Selbst - Serviert •



    Die Drecksarbeit für EU - Cordone Sanitaire - Frontex et al. - sind die folgerichtigen - sehenden Auges in Kauf genommenen - bitteren weiteren Konsequenzen einer von Anfang an absehbaren - inhumanitären FlüchtlingsAußenpolitik* •

    Damit hat sich schnell die - einst intellektuell abschätzig abgetane - Forderung ausgerechnet eines Manés Sperbers nach einem “Waffenstarrenden Europa“ auf perverse Weise konsequent realisiert.

    unterm——btw not only



    Der bisher ausgebliebene militärische Aspekt darüberhinaus - ist bisher ja lediglich dem Hintersassendaseins Europas zum Oberbefehlshaber Europa - 🇺🇸 - geschuldet. Nothing else



    Die ohnmächtig-irrogant gescheiterte Politik Richtung Osten die derzeitige unabweisbar sichtbare Folge.

    —-& Alles das - begann entscheidend -



    1992 - Mit der Schleifung des Art 16 GG - Grundgesetz durch CDUCSUSPDFDP -



    - zum antihumanen Torso - statt zuvor:



    “Asyl in! Deutschland“ = Non-refoulement-Gebot.



    &



    Vorausgesehen - a “Aktion fünf vor 12“



    Bundesweit durch viele (Asyl)Richter & einige Verfassungsrichter - Jürgen Kühling - sei ausdrücklich genannt:



    “Wir beseitigen ohne Not - eines der! Grund&Menschenrechte der Verfassung unserer Republik! Nur - weil wir schlecht organisiert sind.“

    • @Lowandorder:

      Sorry - fehlt - uns -

      Lassen die via EU uns im Regen stehen!“

      Genauso.

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        "Ab da wußten sie - wenn uns das Wasser mal bis zum Hals steht ...,"

        Sehe ich ebenso. Italien ist nicht Griechenland, nicht so leicht erpressbar, domestizierbr.

        Und in Italen, wo ich oft bin, aktuell auch gerade wieder, hat Salvine mit seinem Kurs einen großen Rückhalt in der Bevölkerung.

        Der gern von unseren Medien vermeldete Rassismus findet nach meinem Eindruck hier überhaupt nicht so statt, bin ich im Umfeld gerade heute abend von einer jungen Italienerin eingeladen, die mit enem ebenso jungen Mann aus Mali (Bootsflüchtling in 2018) liiert ist.

        Der Rückhalt hiesiger Bevölkerung für Salvini besteht gerade darin, diese extreme Bigotterie der guten Europäer nebst derer (Leit)Medien aufzuzeigen.

        Wenn die Zustände auf dem Schiff, auf den Rettungsschiffen so sind, wie sie wohl sind, dann sollten die 60 für mehr Flüchtlinge bereiten Städte und Gemeinden in Deutschland doch sofort bedient werden.

        Salvini hat meiner Information nach zugesagt, die Geretteten an Land zu lassen, wenn sie sofort nach Deutschland, Holland et al. ausgeflogen werden.

        • @90857 (Profil gelöscht):

          & Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - 👹





          Bon Giorno!







          EBERTUS2:



          "Salvini hat meiner Information nach zugesagt, die Geretteten an Land zu lassen, wenn sie sofort nach Deutschland, Holland et al. ausgeflogen werden."



          Bei den "guten Europäern" beginnt schon das große Zittern... (scnr)“

          Im Ergebnis zynisch-bitter - aber so isset.

  • Ich würde gerne mal einen Plan sehen, wie langfristig mit der Fluchtbewegung vor allem aus Afrika umgegangen werden soll. Auch eine bessere und fairere Agrar/Wirtschaftspolitik wird kaum ausreichen, um angesichts der Bevölkerungsexplosion alle Menschen auf dem Kontinent mit Jobs zu versorgen und den Lebensstandard Europas zu erreichen. Viel mehr als allgemeines "Fluchtursachen bekämpfen" hört man nicht. Und solange Europa wirtschaftlich stärker/schöner/attraktiver ist, wird es Fluchtursachen geben. Es wäre ehrlicher, wenn Politiker sagen würde, dass Europa in den kommenden Jahrzehnten Dutzende Millionen Menschen aufnehmen wird/muss.

  • Das Schlimmste an dieser Strategie ist, dass Italien das irgendwann zwangsläufig doch einlaufende Schiff nicht als Niederlage betrachten muss, sondern die Wochen, die das Schiff wegen Salvini nicht nach Geflüchteten suchen konnte, als grossen Erfolg betrachten kann.

    Je mehr Ressourcen und finanzielle Mittel in der Rettung von Flüchtlingen vor Libyen gebunden sind, umso weniger ist für die bereits in Europa angekommenen da, die dann wieder den Winter in Zelten im griechischen Schneematsch oder als perspektivlose "U-Boote" (Untergetauchte ohne Bleiberecht) frierend auf der Strasse in Mailand oder Berlin verbringen müssen.

  • Ich habe noch nichts gelesen, gehört oder gesehen von einem Interview mit Seehofer & Co., warum er der Aufnahme der SeaWatch - Flüchtlinge nicht zustimmt? Warum macht die Journalistenschar in Deutschland das nicht, sondern bleibt einfach bei Salvini stehen?

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Naja, glücklicherweise schaffen die allermeisten Flüchtlinge die Überfahrt. Die in Seenot geratenen sind nur ein Bruchteil davon. Das Seerecht ist eindeutig. Da gibt es und darf es auch gar keine Diskussion darüber geben. Salvini benutzt die geretteten Flüchtlinge nur um die EU multilateral - wie Merkel es immer so schön verlautbart - in die Pflicht zu nehmen. Er gehört vor einen Gerichtshof genauso wie seine EU-Kollegen, die eine proportionale Verteilung blockieren.

  • Seit Jahren halten sich die anderen EU Staten in vornehmer Zurückhaltung, es sei denn sie werden von einer Flüchtlingswelle überrannt.



    Lange vor der Flüchtlingswelle aus Syrien haben NGOs laut um Hilfe gebeten damit die Flüchtlinge in den Lagern menschenwürdig versorgt werden können. Die europäischen Staaten haben geschlafen und sich viele Probleme eingehandelt, die man vielleicht umgehen hätte können.



    So wenig ich Salvini mag, aber die Italiener wurden ebenso wie die Griechen für lange Zeit alleine gelassen mit den vielen Flüchtlingen die anlandeten.



    Wenn man weiter nachdenkt dann schafft die EU mit ihrer Aggrarpoltik und ihrer Wirtschaftspoltik viele Fluchtursachen selbst.



    Trotzdem ist diese EU wichtig für uns und trägt auch viele positive Werte..

    • @Opossum:

      Jetzt denken wir uns die EU mal weg. Wie wäre dann aktuell die Lage in Italien und Griechenland?

      • @Trango:

        wir sind aber in einer gemeinsamen EU. Da ist es einfach nicht drin zu sagen, Pech gehabt, das ihr dichter an der Außengrenze seid als wir.



        Läge D an der Außengrenze hätten wir auch einen Salvini in der Regierung.



        So viel besser sind wir Deutschen nicht, wir fühlen uns bloß besser.

    • @Opossum:

      Man hat doch viel Geld in die Hand genommen, um so etwas wie eine Flüchtlingswelle zu vermeiden und hat immer schön die Diktatoren im Nahen Osten unterstützt, die mit eisernen Hand gegen die eigen Leute vorgegangen sind, idealerweise noch mit Waffen aus der EU. Da aber mittlerweile viele Diktatoren weg sind, gibt es niemanden mehr, der die Flüchtlinge daran hindert, in die EU zu kommen. Tja, dumm gelaufen.

      • 0G
        05653 (Profil gelöscht)
        @Merke:

        Ja, man hat viel Geld in die Hand genommen, aber nicht um die Flüchtlingswelle zu verhindern, sondern um potenzielle Flüchtlinge in deren Heimatländern zu unterdrücken.

  • dito.



    Europa züchtet sich seine eigenen Rechtspopulisten. Mittlerweile fährt Europa da sogar zweigleisig in der Wirtschafts- und der Flüchtlingspolitik.



    So gibt es die Saubermänner im Norden und die Buhmänner im Süden. Gut für die heimische Politik, die bösen sind immer die anderen.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @nutzer:

      Das sehe ich auch so.



      Es war zu erwarten, dass Italien so reagiert. Warum wird dann nicht ein anderer Hafen angefahren? Warum läßt man die Situation eskalieren?



      Das bringt doch nichts.



      Soll das jedesmal in dieser ausweglosen Situation enden?

      • @98589 (Profil gelöscht):

        Das wird in Italien sicher vor Gericht auch eine Rolle spielen. Italien war nicht der nächste Hafen und noch dazu war schon vor der Rettungsaktion klar, dass man in Italien Anlegeverbot hat. Das vorsätzliche Verschleppen der Migranten vor die Küste Italiens, was zu mehr als zwei Wochen Festsitzen auf hoher See geführt hat, lag einzig in der Verantwortung der Kapitänin der Sea-Watch.