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AsylbewerberleistungsgesetzGrüne helfen bei Verschärfung

Die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen stimmen für das umstrittene Groko-Gesetz – und blamieren die Bundespartei. Die Basis protestiert.

Winfried Kretschmann (links) sieht die Dinge manchmal anders als seine ParteifreundInnen Foto: dpa

Berlin taz | Die Grünen hatten sich im Bund stets klar gegen die drohende Asylrechtsverschärfung positioniert. Sven Lehmann, der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, nannte das Gesetz vor gut drei Wochen eine „Schikane von Asylsuchenden“. Die Bundesregierung erkläre Zimmernachbarn in Gemeinschaftsunterkünften zu einer „Zwangsgemeinschaft, um deren Leistungsanspruch künstlich abzusenken“, sagte Lehmann.

Doch der Protest half nichts, genau so ist es nun gekommen. Der Bundesrat hat am Freitag das umstrittene Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen. Peinlich für die Grünen ist, dass ihre eigenen Ländervertreter der Großen Koalition über die Hürde geholfen haben. Baden-Württemberg und Hessen votierten für das zustimmungspflichtige Gesetz und sicherten der Großen Koalition die Mehrheit. In Baden-Württemberg regiert Winfried Kretschmann in einer grün-schwarzen Koalition, Hessen wird von einem schwarz-grünen Bündnis regiert.

Das Asylbewerberleistungsgesetz war Teil eines großen Migrationspakets, zu dem unter anderem auch das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz von Innenminister Horst Seehofer (CSU) gehört. Es enthält Verbesserungen für AsylbewerberInnen, aber auch relevante Verschärfungen.

So werden zum Beispiel die Zuwendungen für in Sammelunterkünften untergebrachte Menschen um zehn Prozent gekürzt. Das Argument der Regierung: Da sie als Einzelpersonen mit anderen AsylbewerberInnen zusammenlebten, könnten sie Wohnraum und Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen und hätten weniger Ausgaben.

Wildfremde als Bedarfsgemeinschaft

Wildfremde Menschen werden also wie eine Art Bedarfsgemeinschaft behandelt. Für die Betroffenen ist diese Sparmaßnahme hart, da AsylbewerberInnen jetzt schon weniger Geld bekommen als Hartz-IV-EmpfängerInnen. Ihre Leistungen liegen also faktisch unter dem Existenzminimum. „Die Kür­zun­gen sind nicht zu recht­fer­ti­gen“, urteilte etwa die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. „Schon jetzt sind die Beträ­ge auf das Äußers­te redu­ziert.“

Grünen-Chefin Annalena Baerbock machte am Montag deutlich, dass sie das Abstimmungsverhalten Baden-Württembergs und Hessens nicht gut heißt. Die Leistungssenkung in Sammelunterkünften sei verfassungsrechtlich höchst problematisch, sagte sie. Der Grünen-Vorstand, die Bundestagsfraktion und die Mehrheit der Länder-Grünen seien sich einig, dem Gesetz nicht zuzustimmen. „Die Länder Hessen und Baden-Württemberg haben das anders entschieden“, sagte Baerbock. Diese Entscheidung sei „in letzter Minute“ gefallen. Heißt übersetzt: Die Parteispitze wurde kalt erwischt.

Mit ihrem Votum im Bundesrat konterkarierten die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen nicht nur die gängige Parteilinie. Sie schlugen auch einen Rat in den Wind, den der Bundesratsausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik gegeben hatte. Jener hatte im Vorfeld empfohlen, das Gesetz „grundlegend“ zu überarbeiten.

„Die Annahme, beim Zusammenleben fremder erwachsener Menschen in Gemeinschaftsunterkünften ergäben sich im Alltagsleben Synergieeffekte, die der Situation einer ehelichen […] Bedarfsgemeinschaft entsprächen […], entbehrt jeder empirischen Grundlage“, argumentierte der Ausschuss. Und: Bei Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Sprache und sozialen Hintergründen sei gemeinschaftliches Wirtschaften nicht nur unrealistisch, sondern auch geeignet, mehr Konfliktpotential in Unterkünften zu schaffen. Vorsitzender des Ausschusses ist Hessens Sozialminister Kai Klose, ein Grüner.

„Handlanger Seehofers“

ExpertInnen aus der Grünen-Basis protestierten scharf gegen das Ja im Bundesrat. Svenja Borgschulte ist die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht. Die BAGs sind innerparteiliche Thinktanks, die unterschiedliche Themen bearbeiten. Borgschulte verschickte einen Brandbrief, der der taz vorliegt, an die beiden Landesverbände und die Bundesvorsitzenden.

Mit ihrer Zustimmung hätten sich Baden-Württemberg und Hessen „zum Handlanger der Groko und Seehofers menschenverachtender Politik gemacht“, schreibt Borgschulte darin. Das Zustimmungshoch der Grünen basiere auch auf progressiver Asyl- und Flüchtlingspolitik. Ein paar wenige hätten die Glaubwürdigkeit der Partei aufs Spiel gesetzt und Fakten geschaffen, „die mit unseren Werten nicht vertretbar sind“. Die Hoffnung, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufe, habe sich dank Baden-Württemberg und Hessen zerschlagen.

Baerbock verwies auf Verbesserungen in dem Gesetz, für die die Grünen lange gekämpft hätten. So steigen etwa die Leistungen für Kinder im Schulalter. Außerdem schließe das Gesetz eine Lücke in der Bafög-Förderung, betonte Baerbock. Asylbewerber, die ein Studium oder eine Berufsausbildung absolvieren, konnten bisher ab einem bestimmten Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern. Sie sollen in Zukunft aufgefangen werden. Baerbock sagte, dass man im Bundesrat oft die „Wahl zwischen Pest und Cholera“ habe. Das Paket habe überfällige Verbesserungen, aber auch Verschlechterungen enthalten.

Kurz: Die Parteichefin mühte sich, den Schaden zu begrenzen. Vielen Grünen stieß die überraschende Entscheidung der beiden Länder dennoch sauer auf. „Ärgerlich“ nannte sie ein wichtiger Grüner eines anderen Landesverbandes. Die Bereitschaft, wegen der Asylrechtspolitik in den Konflikt zu gehen, sei leider „unterschiedlich ausgeprägt“.

Innergrüne Irritationen

Auch in Baden-Württemberg gab es innergrüne Irritationen. Der Landesvorstand hatte sich nach taz-Informationen vor der Bundesratssitzung bei Kretschmanns Staatsministerium erkundigt, was von der Abstimmung zu erwarten sei. Wie die Gespräche im Wortlaut liefen, ist unklar. Aber bei der Landespartei ging man danach davon aus, dass in dem Migrationspaket kein einziges Gesetz zustimmungspflichtig sei – und höchstens eine Verweisung in den Vermittlungsausschuss, also eine Verschiebung, möglich gewesen wäre. Die Gründe für die Kommunikationspanne müsse man erst recherchieren, hieß es im Landesverband.

Das heißt: Nicht einmal die Landesgrünen in Baden-Württemberg waren rechtzeitig vorgewarnt, dass Kretschmanns Regierung dem umstrittenen Gesetz der Groko zustimmt.

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18 Kommentare

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  • So, wie es aussieht, kommen Kretschmann und Al-Wazir einfach nicht mehr aus ihren Sachzwangsjacken raus. Bei der SPD fing das vor 1500 Jahren auch so an. «(º¿º)»

    • @Rainer B.:

      Bei der SPD fing das vor 1500 Jahren auch so an. «(º¿º)»



      *loool* you made my day!

      • @Hugo:

        Hatte ich tatsächlich 'ne Null vergessen? Ich werde langsam alt.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Der Sieg der Grünen in BW hat nichts verändert. Allenfalls zum Negativen, weil nun auch die Grünen als ehemalige Hoffnungsträger CDU-Politik machen.



    DienWähler sollten zukünftig konsequenter Inhalte wählen. Damit würden die Grünen in BW, Hessen, HH und SH ziemlich unter Druck kommen. Sie können nämlich kaum darlegen, was sich unter ihrer Regierungs(beteiligung) im Sinne grüner Programmatik zum Besseren verändert hat.

  • Asylbewerberleistungsgesetz Geordnete-Rückkehr-Gesetz



    Das zweite Paragraphenwerk ist nun wirklich unter aller Kritik und das erste müsste Leistungsbeschränkungsgesetz heißen. Es ist dem Gedanken verpflichtet, dass Menschenrechte Sozialleistungsverpflichtungen für Ausländer beinhalten, aber bitte halt weniger als für die richtigen Menschen - was ein EU-rechtlicher Schwachsinn ist. Aber dem Fundamentalchristen bleibt es ja freigestellt, in der Dienstvilla zu diesen Preisen sagen wir Hundert Obdachlose Fremde aufzunehmen und zu unterhalten... Das wäre doch mal eine konservative Revolution: Individuelle Hilfe statt Staatsknete: Wie wär's Kretschi? Butter bei die Fisch!

  • Die Grünen haben FFF's Botschaft zügig umzusetzen, dafür sind sie gewählt!



    Verstehen sie dieses nicht, sind sie schnell wieder unter 10%.

    • @amigo:

      Die Grünen haben 2018 in Hessen 19,8% geholt und in BaWü 2016 30,3%, da war von FFF nichts in Deutschland zu hören.

  • Die Grünen sind so, wie sie seit 1998 sind. Wohlfeile Reden, schöne Programme und wenn es an reale Politik geht, wird eine Politik gemacht, die auch von CDU oder CSU stammen könnte.

  • Da machen die grünen Machtbesitzer den Kotau vor den "besorgten Bürgern" anstatt dafür zu sorgen, daß deren staatszersetzender menschenverachtender geistiger Durchfall ned noch mehr Leute verseucht. Gaaanz großes Kino *kotz*!

  • Ach Kretschmann, toll wie etabliert Du inzwischen bist!

  • Mal ehrlich, wenn verwundert das???



    Dieser ganze Grünenhype im Moment ist zutiefst absurd. Diese Partei ist genau so ein anhäger der sog. "Realpolitik" ala CDU, SPD und FDP, sprich Wirtschaft vor Gesellschaft, Gewinne Privatisieren und Schulden Solidarisieren!!! Eine Partei die als Pazifistische Soziale Grüne Partei gestartet ist und bei Ihrer ersten Bundesregierungsbeteiligung, den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr im Kosovo und Hartz4 mit beschlossen hat, ist aus meiner Sicht zutiefst unglaubwürdig, aber zum Glück gibt es immer noch genug naive Konsumenten die sich null mit solchen Machtparteien auseinander setzen.

    • @Rudeboy.69:

      Mich wundert das auch nicht. So sind sie halt, die heutigen Grünen. Kein Wunder, dass mittlerweile auch das konservativ-reaktionäre Bürgertum grün wählt.

  • Was geht denn da ab? Ich verstehe meine Partei nicht mehr, eigentlich sind sich die Parteimitglieder die ich kenne alle einig, dass diese Gesetze abgelehnt gehören. Vielleicht sind die Grünen in Baden-Würtemberg und Hessen tatsächlich bessere CDUler, eigentlich dachte ich immer die Vorwürfe der Linken an die Grünen seien überzogen, ich hoffe die Grünen in BW und Hessen schaffen es aus der Basis heraus nochmal eine Wende zu vollziehen, sägt Kretschmann und co doch endlich mal ab, ja er ist erfolgreich, aber was ist der Erfolg wert, wenn wir nicht mehr für grüne Werte stehen. Das war ja nicht die erste strittige Entscheidung der BW-Grünen, ich erwarte mir auch von der Parteispitze einen stärkeren Konfrontationskurs, bisher hat man versucht diese Konfliktpunkte schönzureden und immer schön die Harmonie in der Partei beschworen, dass nimmt uns aber irgendwann keiner mehr ab. Ich finde zu echter Basisdemokratie und innerparteilicher Demokratiegehört auch, dass solche Konflikte auch ausgetragen werden. Leider muss ich aber auch feststellen, dass die sogenannten konservativen Grünen a la Kretschmann und co. auf den Bundesparteitagen dann doch zu feige sind offen für ihre Entscheidungen zu werben, sondern sich lieber in Interviews darüber beklagen, dass die Bundesgrünen zu wirtschaftsfeindlich oder zu was auch immer seien.

    • 9G
      91985 (Profil gelöscht)
      @wirklich?:

      Das nennt man Realpolitik. Wenn die Grünen an die Macht wollen, um ihre ökologische Agenda durchzusetzen, ist das der einzige Weg. Meine Stimme bekommen sie trotzdem nicht, aber viele bürgerliche und Mittelschichtwähler werden dank solcher Entscheidungen angezogen.

      • @91985 (Profil gelöscht):

        Mich k... diese Haudrauf Mentalität ziemlich an. Könnt Ihr Euch nicht einmal ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen? Das ist die Position von Vertreter* innen zweier Bundesländer. Grüne Bundesposition ist eine andere. Und gewählt ist gewählt. Bei den nächsten Landtagswahlen können alle in Hessen und BW andere grüne Kandidat*innen durchsetzen. In einem gebe allen hier recht. Der Schaden an der Asylpolitik ist enorm

  • Na Mahlzeit



    &



    Arschklar - Wer bitte - hätte anderes von den asiImmergriins.



    Anderes erwartet^¿!^

    • @Lowandorder:

      &! Däh&Zisch - Mailtütenfrisch -

      “Kretschmann will nicht enden wie Luebcke..“

      Liggers. Starker Tobak. Gellewelle



      Ha no. Aber exK-lerMinistranten - jung gewohnt - ist alt getan - kommen mit Rückgradschwund erfahrensgemäß recht gut zu recht. Persetter Pauker - vulgo Steißtrommler: - gibt den Rest.

      Na Mahlzeit 👹

  • Nur, weil u.a. ein so'n Egozentriker seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringen möchte, den ganzen Laden zu opfern und offenbar eigenmächtig etwas durchzuziehen, worüber niemand bei den Grünen informiert war, finde ich schon eine ziemliche, riesengroße Frechheit! Ich frage mich, was der Bundesvorstand nun für Möglichkeiten hat, diesen Schadensverursachern die Leviten zu lesen!??