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Die Grünen während der KoalitionskriseNicht übermütig werden

Je stärker die Regierung wackelt, desto mehr Blicke richten sich auf die Grünen. Die wollen den Eindruck vermeiden, sie seien die lachenden Dritten.

Die Grünen seien „kein Reserverad“, sagt Annalena Baerbock (r.) zum möglichen Scheitern der Groko Foto: imago images / Mike Schmidt

Berlin taz | Die Grünen fühlen sich gewappnet für den Fall, dass es zu Neuwahlen kommt und sie bald wieder in den Wahlkampfmodus schalten müssen. „Ich habe den Eindruck, wir sind momentan als Partei so gefestigt, dass wir mit jeder Situation umgehen können“, sagt Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der taz – auch wenn ein erneuter Wahlkampf kurz nach der Europawahl für die Partei organisatorisch, finanziell und personell „eine Riesenherausforderung“ wäre.

Vermeiden will Haßelmann den Eindruck, die Grünen seien die lachenden Dritten der Koalitionskrise: „Wir sind keineswegs übermütig.“ Die aktuelle Situation sei für alle Parteien schwierig, weil sie das negative Bild vieler Menschen von PolitikerInnen bestätige. Trotzdem: Je stärker die Große Koalition wackelt, desto mehr Blicke richten sich auf die derzeit so erfolgreichen Grünen.

Ob sie Lust habe, Kanzlerin zu sein, fragt ein Journalist Annalena Baerbock bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag. Andere wollen wissen, ob im Kanzleramt eine Doppelspitze nach grünem Vorbild denkbar wäre. Doch diese wie alle anderen Personalfragen blockt die Parteivorsitzende konsequent ab. Die Grünen wollen nicht den Anschein erwecken, wie die Regierungsparteien um sich selbst zu kreisen und sich am verrufenen Poker um Posten zu beteiligen.

Inhalte first, lautet die Devise. „Die Regierungsparteien müssen sich jetzt fragen, ob sie die Kraft haben, die großen Fragen anzugehen, vor denen wir stehen“, sagt Baerbock. Haben sie diese Kraft nicht, wäre „die Situation gekommen, wo die Menschen noch einmal neu wählen sollten“. Eine klare Absage erteilt sie all jenen, die jetzt über einen neuen Anlauf für die an der FDP gescheiterten Jamaika-Verhandlungen spekulieren. Die Grünen seien „kein Reserverad“.

Eine völlig andere Situation

Unattraktiv ist die Variante für die Grünen, weil sie in solche Verhandlungen auf der Basis ihres Wahlergebnisses bei der Bundestagswahl 2017 gehen müssten. Damals lagen sie bei 8,9 Prozent – etwa ein Drittel von dem, was manche Umfrageinstitute ihnen derzeit zutrauen.

Doch Annalena Baerbock wehrt sich gegen den Verdacht, leichtfertig nach Neuwahlen zu rufen, nur weil die Grünen aktuell gut dastehen: „Wir sind damals sehr ernsthaft in die Jamaika-Verhandlungen gegangen – auch weil wir gesagt haben, dass es gefährlich für die Demokratie ist, ständig neu wählen zu lassen.“ Allerdings sei die Situation im Sommer 2019 eine völlig andere als Ende 2017. Da in fast allen Parteien das Spitzenpersonal ein anderes ist, seien Neuwahlen mittlerweile „auch aus demokratietheoretischen Gründen geboten“, wenn die Große Koalition scheitern würde, findet Baerbock.

Hans-Christian Ströbele, Grüner der ersten Stunde, rät seiner Partei, sich im Falle von Neuwahlen programmatisch besser vorzubereiten. Beim Thema Klimaschutz hätten die Grünen zwar überzeugende Konzepte, aber das reiche nicht aus. So sei beispielsweise die Kriegs- und Friedensfrage „völlig ungelöst“. Und: Gerade weil die Grünen oft als Gegengewicht zur AfD wahrgenommen würden, müsse sie sich bei der Einwanderungs- und Asylpolitik klarer positionieren.

„Wie gehen wir damit um, wenn plötzlich wieder viel mehr Flüchtlinge kommen? Tragen wir es mit, wenn die EU mit Unterstützung der Bundesregierung ihre Außengrenzen dicht macht und die Menschen zurück nach Libyen zwingt?“ Auf solche Fragen müsse man Antworten formulieren. Grundsätzlich aber findet er, seine Partei mache derzeit viel richtig. „Sie sind glaubwürdig, auch wegen Personen an der Spitze, denen man das abnimmt, was sie sagen.“

Die Misere der SPD dagegen macht Ströbele ratlos – und bedeute auch für seine Partei nichts Gutes. „Den Grünen kommt die Alternative abhanden“, sagt er. Dabei seien die Schnittmengen seiner Partei mit den Sozialdemokraten noch immer viel größer als mit der Union. „Außerdem schwächt es unsere Verhandlungsposition für kommende Koalitionsverhandlungen.“

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17 Kommentare

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  • Was hätten denn die Grünen von Neuwahlen? Sie würden in schwarz-grün unter AKK gezwungen.



    Solange sich keine Regierung OHNE die CDU - und insbesondere die CSU - machen lässt, soll man die CDU sich Mehrheiten suchen lassen - notfalls in einer Minderheitenregierung.



    Mit denen ist kein Staat zu machen.

    Wer sich ernsthaft eine Regierung mit AKK und Markus Söder überlegt, der kann sich - und das Land gleich mit - auch von einer Klippe stürze.

    Soll das rechte Lager sich Mehrheiten unter sich suchen - CDU-FDP-AfD da wächst dann zusammen, was zusammen gehört.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Man muss auch sehen das es den Grünen gerade temporär gelingt ihr Gewinner Thema Klimawandel gut zu platzieren wenn Themen wie Flüchtlinge, Wirtschaftswachstum, etc. wieder in den Vordergrund kommen können die Konservativen ganz schnell wieder mit der Angst vor der Grünen Frau punkten.

  • Man könnte doch bei der möglicherweise vorgezogenen BTW ja auch als Option neuerdings einführen, ob man jeweils lieber den weiblichen oder männlichen Spitzenkandidaten der jeweiligen Partei nach der erfolgten BT-Wahl als einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin sehen möchte.

    Eine zeitgleiche Befragung während der normalen Wahl sozusagen, indem man z.B. bei den Grünen nicht einfach nur sein Kreuzchen bei der Liste macht, sondern eben entweder Baerbock oder Habeck ankreuzt. Bei der CDU/CSU könnte man dementsprechend Merz oder AKK anbieten, bei der AfD Weidel oder Gauland, bei der FDP Lindner oder Teuteberg, bei den Linken Kipping oder Bartsch etc.

    Dies wäre auf den Wahlzetteln ganz sicherlich sehr einfach umzusetzen und würde dabei eine große Menge frischen Windes in die Parteienlandschaft nicht zuletzt auch bezgl. der gesellschaftlichen Geschlechtergerechtigkeit bringen, finde ich.

    • @Ebs69:

      Grenzenloser Schwachsinn!

      Laut dem in diesen Tagen hochgelobten Grundgesetz wählt der Bundestag den/die Bundeskanzler/in nicht das Volk. Ein Wahlzettel ist zum Wählen da und nicht dazu befragt zu werden.

      Wer direkte Demokratie will, muss ein völlig neues Grundgesetz entwickeln. Befragungen auf Wahlzetteln sind Ideen aus dem Kindergarten.

      • @Tinus:

        Unabhängig davon sind auch die klassischen zwei Geschlechter in D mittlerweile offiziell Geschichte ;-)

  • Die Grünen werden verlieren, sobald sie an eine Koalition denken. Als 60 jähriger bin ich Gründungswähler- heute gelte ich als alt und "Nichtgrünenwähler". Für mich können die also nichts mehr tun, wies scheint. Wär ich Ossi, würd ich jetzt AfD wählen müssen.... aber so?

    • @ophorus:

      Die AfD gibt es auch im Westen...



      Haben Sie als Gründungswähler auch so rumgejammert oder erst heute, nachdem sich die Grünen ein wenig weiter entwickelt haben als vor 40 Jahren?



      Im Übrigen haben die Grünen auch in ihren Programm auch etws für Leute über 60.

      • @Hans aus Jena:

        Ohne Leidensdruck, dass es keine Partei Ende der 70er Jahre gab, die auch nur den geringsten Gedanken an Umwelt verschwendete, wären die Grünen damals sicher nicht entstanden.

        Die waren nicht von vornerein eine reine Wohlfühlpartei für den besser gestellten Lehrer und SUV-Fahrer, der sein Gewissen irgendwie beruhigen will. Genau die Typen waren damals unsere Feindbilder.

        • @Age Krüger:

          Nun in unserem Kreisverband sind von 160 Mitgliedern meines Wissens nur verschwindend wenige Lehrer und keiner fährt einen SUV. Und wir werden zumindest hier gewählt, weil sich die Leute zunehmend unwohl fühlen mit der bisherigen Politik. Vielleicht doch mal die Feindbrille abnehmen? Ich selbst arbeite auf einem technischen Facharbeiterstelle.

          • @Hans aus Jena:

            Deshalb schrieb ich ja auch "damals"-

            "Damals", damit meine ich 1979, als in der der BRD in den Grenzen von 1989 die SPV Die Grünen gegründet wurden und wo noch kein Mensch darüber nachdachte, dass man irgendwann auch irgendwen aus Jena bei der Parteigründung berücksichtigen müsste. Und wenn man den Grünen 1990 noch etwas hoch anrechnen muss, dann, dass sie die einzigen waren, die im Bundestag gegen den Einigungsvertrag stimmten.

  • Die Grünen müssen überhaupt keine Neuwahlen fordern, die kommen ganz von selber. Und vielleicht sind sie sogar um so erfolgreicher je länger es noch dauert. Das wirkliche Problem ist eher, dass die Grünen plötzlich auch Wähler haben, die dann später fast zwangsläufig von ihnen enttäuscht sein werden. Zum Beispiel weil der Klimaschutz dann vielleicht doch etwas mehr kostet, aber das ist nur einer von vielen kritischen Punkten. Je mehr die Grünen eine Art Volkspartei werden, umso schmerzhafter wird der Spagat den man wird leisten müssen. Wahrscheinlich wäre es schon wirklich richtig die aktuelle Euphorie ein bisschen zu bremsen und das eigene Profil zu schärfen, auch wenn die Umfragewerte dann vielleicht etwas schwächeln könnten. Es ist auch unbedingt notwendig die eigene Basis zu stärken, auch dort drohen Enttäuschungen.

  • Das Problem ist doch, das Politiker in allen Parteien denken, dass es ihre Aufgabe wäre, gewählt zu werden.



    Das ist nicht die Aufgabe, das ist das Mittel zum Zweck um eine Zukunftsvision zu realisieren.



    Mit dem Wahlerfolg ist die Arbeit nicht zu ende sondern fängt erst an!!

  • Erst wenn die Grünen in einer Koalition unter Beweis stellen müssen, ob und wie sie Inhalte umsetzen, wird sich erweisen, wieviel hinter dem Dampfgeplauder der Führungsspitze steht. Unter Rot-Grün gab es Hartz IV und den ersten Deutschen Kriegseinsatz nach 1945. Umweltschutz? Ausstieg aus der Atomkraft brachte Fukuschima und nicht die Grünen. Bei den Jamaika-Verhandlungen waren die Grünen für miese Zugeständnisse in Flüchtlingsfragen bereit - das kritisierte sogar Habeck später. Und Baden-Württemberg zeigt, wie ein autohöriger Mischterpräsident und ein mit Rassismen spielender OB in Tübingen die Wirklichkeit der Grünen an der Macht aussehen lassen. Hic rhodus hic salta.....

    • @Philippe Ressing:

      Nur mal eine kleine Korrektur an Ihrer Schimpftirade: Rotgrün hatte hinsichtlich der Kernenergie einen mit der Industrie verhandelten Ausstiegsbeschluss, den die CDU-Kanzlerin dan wieder aufheben ließ. Fukushima hatte zur Folge, dass diese Aufhebung wieder von der Kanzlerin aufgehoben wurde (und dies technisch so schlecht, dass bis heute Gerichtsverfahren anstehen)

    • @Philippe Ressing:

      "Bei den Jamaika-Verhandlungen waren die Grünen für miese Zugeständnisse in Flüchtlingsfragen bereit"



      Kompromisse muss man eben machen bzw. anbieten, um woanders etwas zu erreichen.

      Hat sich denn die GroKo auf eine nach Ihrer Ansicht weniger miese Politik geeinigt? Falls nein, welche Option hätten die Grünen in den Verhandlungen gehabt? Flüchtlingsideale hochhalten, dafür Klimaschutz nur auf CDU-Niveau?

    • @Philippe Ressing:

      Interessanter wird der Umgang mit den Klimaschutzziel oder genaugenommen der Emissionsobergrenze für 2020.



      Wenn dieses Jahr Koalitionsverhandlungen stattfinden, müssten die Grünen dessen Einhaltung einfordern, auch wenn sie so kurzfristig natürlich schwieriger wird. Bei Verhandlungen im Lauf von 2020 kann man sich eher herausreden, jetzt wäre es ja eh schon zu spät, und stattdessen über Ziele für 2030 palavern, und darüber das baldige einholen des alten Ziels und den Ausgleich der Überschreitung "vergessen".

    • @Philippe Ressing:

      +1