: Wie wir uns bewegen werden
Zahlreiche Verbände fordern von einer neuen Regierung den massiven Ausbau klimafreundlicher Verkehrsmittel. Die Wünsche der Wirtschaft sind meist nicht so umweltfreundlich
Von Alina Götz
Ein breites Bündnis aus Verbänden und Initiativen fordert von der neuen Koalition eine fundamentale Verkehrswende. „Rad-, Fuß- und öffentlicher Nahverkehr müssen zu den dominanten Verkehrsträgern der Stadt werden“, heißt es im Appell von BUND, ADFC, Greenpeace, Attac, „Einfach Einsteigen“, „Platz da“ und anderen. Der Autoverkehr müsse zurückgedrängt werden. Ende der Woche verhandeln SPD, Grüne und Linke darüber, welche Richtung die Stadtentwicklung einschlagen soll. Entscheidend: die Mobilitätsfrage.
Um individuelle PKW-Nutzung zu reduzieren, brauche es eine veränderte Haushaltsplanung, sagt Sonja Gerling von der Initiative „Platz da“: „Heute werden bereits 46 Prozent aller Wege in Bremen zu Fuß und per Fahrrad zurückgelegt.“ Dass diesen klimafreundlichen Fortbewegungsarten aktuell lediglich fünf Prozent des Verkehrsbudgets zugutekommen, müsse zügig auf Kosten des individuellen Autoverkehrs geändert werden. Dieser nehme ohnehin zu viel öffentlichem Straßenraum ein.Das sieht Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Land Bremen, ganz anders. Eine „Umverteilung des Straßenraumes zulasten des Autos, wie beispielsweise in Berlin praktiziert“, sagt er, „ist für eine Autostadt wie Bremen eine indiskutable Herangehensweise.“ Der Verein äußerte jüngst sein Bedauern über die Aufnahme der Koalitionsgespräche der Grünen mit SPD und Linke. Nun erwartet Neumann-Redlin, „dass sich die konstruktiven Kräfte bei SPD, Grünen und Linken gegen eine rückwärtsgewandte Verkehrspolitik stellen“.
Als Hauptgrund für ihre Forderungen führen die Organisationen rund um den ADFC den Klimaschutz an. Im Jahr 2015 verursachte der Verkehrsbereich immer noch über 1,4 Millionen Tonnen und damit 24 Prozent des bremischen CO2-Ausstoßes. Zudem sei ein Stadtverkehr mit weniger Abgasen und Lärm ein „bedeutsamer Beitrag für einen besseren Gesundheitsschutz aller Bremer*innen“, schreiben die Aktiven in ihrem Appell. Auch die Stadtentwicklung könne profitieren – weniger Flächenverbrauch durch Parkraum, weniger Staus.
Zur Diskussion für einen Ausbau der Radinfrastruktur stehen zusätzliche Fuß- und Radbrücken über die Weser. „Die beiden Brücken, also Habenhausen-Hemelingen und Piepe-Altenwall, haben wir schon in der letzten Legislaturperiode erwartet“, so ADFC-Sprecher Albrecht Genzel. Die designierten Koalitionspartner SPD, Grüne und Linke haben diese Pläne alle in ihren Wahlprogrammen festgeschrieben. Wenn es nach Grünen-Spitzenkandidatin Maike Schaefer geht, müsste aber vor allem die SPD nachbessern. Im Interview mit der taz hatte sie daran erinnert, dass die SPD in der vergangenen Legislatur Pläne zum Radverkehrsausbau „regelmäßig blockiert“ hatte.
Jens Volkmann (VCD)
Die Verbände ADFC und BUND fordern zudem mehr Geld und Personal für die in der Bremer Verwaltung für den Radverkehrsausbau Zuständigen, sagt Genzel. Das sei nötig, um Pläne wie die Rad-Premiumrouten endlich umzusetzen, die bereits 2014 im „Verkehrsentwicklungsplan 2025“ verabschiedet wurden. Zudem müsse das bestehende Radwegenetz verbessert werden. „Der Radverkehrsanteil sinkt, weil die Radwege zu schmal, zu kaputt und zu unsicher sind“, so ADFC-Geschäftsführer Sven Eckert. Am Freitag rufen ADFC und BUND daher zu einer Fahrraddemo auf.
Der VCD Bremerhaven weist zudem auf Nachholbedarf beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) hin. „Die Menschen in Bremerhaven warten seit Jahren auf eine wirkliche Alternative zum Auto“, sagt Sprecher Jens Volkmann. Die Politik habe die Zuwendungen an die Verkehrsgesellschaft Bremerhaven in den letzten 15 Jahren von acht auf 3,7 Millionen Euro mehr als halbiert. Zum Vergleich: Allein der Betrieb der Parkgarage Havenwelten werde mit jährlich 1,8 Millionen Euro subventioniert. In vielen Stadtteilen gebe es nur einen unattraktiven Fahrplan-Takt von 20 bis 30 Minuten. Gleichzeitig würden in Bremerhaven immer mehr Parkplätze und Fahrbahnen gebaut, kritisiert Volkmann. „Das fördert Autofahren und läuft jedem Klimaschutzgedanken zuwider.“
Auch die Handelskammer äußert verkehrspolitische Forderungen. Eine Unternehmerbefragung habe ergeben, dass es gerade in der Überseestadt Verbesserungswünsche gibt, sagt Olaf Orb, Verkehrsrefent der Handelskammer. „Das Problem mit der Auffahrt auf die B75 Richtung Süden muss gelöst werden, außerdem brauchen wir eine Straßenbahnlinie entlang der Überseestadt.“ Zudem wünsche man sich die Vollendung des Autobahnringes sowie einen S-Bahn-Haltepunkt am Technologiepark. Letzterer stehe auch im Verkehrsentwicklungsplan der Stadt.
Fahrraddemo mit Klingelkonzert, 21. 6, 15.30 Uhr, Marktplatz
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