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Prozess gegen FlüchtlingshelferExempel gegen die Menschlichkeit

Scott Warren bewahrte MigrantInnen vor dem Verdursten. Jetzt steht der 37-Jährige vor Gericht. Ihm drohen 20 Jahre Haft.

Kriminelle? Scott Warren und Mitstreiterinnen in der Sonora-Wüste in Arizona Foto: John Moore/Getty Images/AFP

New York taz | Die Sonora-Wüste, die das Städtchen Ajo im Süden des US-Bundesstaates Arizona umgibt, ist der tödlichste Abschnitt der langen Grenze zu Mexiko. Je höher und unüberwindlicher die Befestigung in den städtischen Gebieten wird, desto mehr Menschen weichen in die Wüste aus, wo die Temperaturen auf über 50 Grad Celsius steigen und wo es weit und breit kein Wasser gibt. Längst nicht alle überleben. In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Gebeine von 7.242 Menschen in dem unwirtlichen Gelände geborgen worden. Die Experten sind überzeugt, dass die Dunkelziffer des Migranten-Sterbens in der Sonora-Wüste deutlich höher ist.

Dort nach Ajo hat sich Scott Warren 2014 zurückgezogen, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Und dort versteht der zutiefst christliche Mann, der heute 37 Jahre alt ist, dass er handeln muss, wenn er seinem Glauben treu bleiben will.

Scott Warren will Leben retten. Und wo es zu spät dafür ist, will er zumindest die Reste der Toten angemessen würdigen. Er schließt sich „No More Deaths“ an, einer Gruppe von Freiwilligen, die zu der Unitarian Universalist Kirche gehört. Als Warren am Mittwoch als Angeklagter bei seinem Prozess in Tucson aufsteht, um über sein Engagement zu sprechen, laufen vielen Tränen über das Gesicht. In dem bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal und in dem tiefer gelegenen Raum, wohin der Prozess per Video übertragen wird, sitzen viele, die Warren aus gemeinsamen humanitären Einsätzen kennen.

Humanitäre Arbeit wird kriminalisiert

Am Vormittag hatte die Gruppe ein Video ins Netz gestellt, das bis zum Abend eine Viertelmillion Mal angeklickt werden sollte. Es zeigt Beamte des US-Grenzschutzes, die grinsend Flaschen öffnen und das Wasser, das Menschenleben retten soll, in den Wüstenboden schütten. Wenige Stunden später findet eine große Razzia an einem Treffpunkt der Gruppe statt. Und Grenzpolizisten führen zwei Migranten aus Honduras und El Salvador in Handfesseln ab – und Scott Warren. Die beiden jungen Mittelamerikaner sind längst deportiert. Und Scott Warren steht vor Gericht. Ihm droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren.

Keine Einigung zwischen USA und Mexiko

Im Streit um angedrohte Zölle bei der Einfuhr von Waren aus Mexiko in die USA sind die beiden Länder bei einer ersten Gesprächsrunde am Mittwoch zu keiner Einigung gekommen. Es gebe zwar Fortschritt, aber „nicht annähernd genug“, erklärte US-Präsident Donald Trump per Twitter aus Irland. Die Gespräche im Außenministerium in Washington sollten am Donnerstag weitergehen. Trump hatte mit fünf Prozent Zollerhebung auf alle Waren aus Mexiko gedroht. Diese sollen schrittweise auf bis zu 25 Prozent erhöht werden. Trump will erreichen, dass Mexiko die Zahl der zentralamerikanischen Migranten, die die US-Grenze erreichen, verringert. Laut Plan treten die ersten Zölle am Montag in Kraft. Trotz starken Gegenwindes aus republikanischen Reihen im Kongress sei dies wahrscheinlich, schrieb Trump. (mit ap)

Für seinen Verteidiger Gregory Kuykendall ist Warren ein „guter Samariter. Ein Mann, der das Recht kennt und der menschlich handelt.“. Kuykendall hat den Richter in Tucson aufgefordert, den Prozess mangels Beweisen für ein kriminelles Handeln einzustellen. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und ein Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen haben das verlangt. Humanitäre Arbeit, um Menschenleben zu retten, darf nicht kriminalisiert werden, argumentieren sie.

Viele Beobachter in den USA, darunter auch Kirchengemeinden, die papierlose Migranten vor einer Abschiebung schützen, und Gemeinden, die sich selbst zu „Schutzgebieten“ für Migranten erklärt haben, schauen in diesen Tagen sorgenvoll auf den Gerichtssaal in Tucson. Sie wissen: Wenn die Geschworenen Warren für schuldig befinden, könnten sie selbst als nächstes in das Visier der Ermittler geraten.

Flucht und Hilfe

Im Januar 2018, drei Tage, bevor Warren abgeführt wurde, war er an die Hütte in der Wüste gekommen, die No More Deaths als Treffpunkt und als Lager für Wasserflaschen, Bohnen in Büchsen und Notfallmedizin benutzt. Am Abend war dort ein Essen mit Jugendlichen aus einer benachbarten Schule geplant. Sie sollten eine Einführung in die humanitäre Arbeit bekommen. An der Hütte wurde Warren von den beiden Migranten überrascht. Sie hatten Blasen an den Füßen, waren durstig, hungrig und übermüdet. Und sie baten ihn um Hilfe. Warren gab ihnen Wasser und Essen, holte ärztlichen Rat und erlaubte ihnen, zwei Nächte in der Hütte zu verbringen, um wieder zu Kräften zu kommen.

Der Geograf hat die beiden Männer weder in die Hütte gebracht, noch ist die Hütte sein Zuhause. Aber die Anklage beschuldigt ihn der kriminellen Beherbergung in zwei Fällen und der kriminellen Verschwörung. Im Klartext: Er ist der Fluchthilfe angeklagt.

Das Publikum im Gericht in Tucson und die Menschenrechtsgruppen im Rest der USA glauben, dass der Prozess vor allem abschrecken soll. „Die Aggressionen richten sich nicht mehr nur gegen die Migranten, sondern jetzt auch gegen humanitäre Helfer, die ihre Leben retten wollen, und gegen Journalisten, die darüber berichten“, sagt Sara Vazquez. Die Ärztin ist ebenfalls Aktivistin von No More Deaths in der Sonora-Wüste. Sie wird gerufen, um Migranten zu helfen, die von Klapperschlangen gebissen, von Bienen gestochen oder von Kakteen verletzt wurden oder – was das bei Weitem häufigste Symptom ist – wenn sie dehydriert sind. Sie beobachtet den Prozess gegen Warren seit seinem Beginn in der vergangenen Woche.

Flucht und Hilfe

No More Deaths betrachtet die Sonora-Wüste, wo so viele Bewaffnete in Uniform unterwegs sind und so viele Menschen umkommen, als „Konfliktgebiet“. Schon vor dem Amtsantritt von Donald Trump war die Lage an der Grenze hart. Aber es gab noch Möglichkeiten zur Verständigung mit der Grenzpolizei. In den zurückliegenden zwei Jahren sind die Feindseligkeiten immer häufiger geworden.Wie im Mittelmeer

Nach zahlreichen kleineren Verurteilungen wegen Ordnungsverletzungen – wozu das Hinterlassen von Büchsen mit Lebensmitteln und Plastikflaschen mit Wasser in Naturschutzgebieten gehörte – erfahren die Aktivisten jetzt in dem Prozess gegen Warren, dass die Grenzpolizei ihre Bewegungen im Gelände genau beobachtet. Und dass andere Behörden sie dabei unterstützen. „Ich bin sehr beunruhigt um die Migranten, wenn Leute wie wir hier abgeschreckt werden“, sagt Vazquez.

In der Zentrale von Amnesty International in Washington vergleicht der Nordamerika-Experte Brian Griffey das Geschehen in der Sonora-Wüste mit dem, was im Mittelmeer passiert. „Das sind zwei Friedhöfe“, sagt er.

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19 Kommentare

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  • Gibt es noch eine andere Information über das Passierte oder nur die TAZ ?

  • "Wie im Mittelmeer"



    Stimmt. Der unmenschliche Zeitgeist ist globalisiert. Reicher(landes)seits werden süffisante Unterlassung, Handschellen, Rechtsbeugung und Kugeln mit den ankommenden Fremd-Habenichtsen geteilt. Und viele Eigen-Habenichtse klatschen. Und die Inszenierer lachen sich krumm.



    So einfach geht's, wenn von oben auf Ego-Brutalität gesetzt wird. (Und wenn die Internationale Solidarität, mit beharrlichem Eifer desavouiert und demontiert seit damals, den spanisch-republikanischen Tagen, verschwunden ist.)



    Und wie gewissen (nicht nur) dänische "SozialdemokratInnen" das alles beurteilen ... will ich überhaupt nicht wissen. Mir ist schon so schlecht genug (nach der Artikellektüre).

  • Nennt sie endlich Faschisten!

    "Who are the heroes, the heroes of today?



    It must be the outsiders of society.



    ..."

    Tarnfarbe - Heroes of Today

    • @Reyde Lanada:

      Das nützt was?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Naja, zuersteinmal muss mensch eine Bedrohung kennen, um ihr effektiv gerecht zu werden.

        Wenn der Faschismus oder eine neue Form hier am Werke sind, dann kann man es, wenn man klar benennt, was hier passiert, besser angreifen.

        Es gibt sehr viele fundierte historische und soziologische Analysen zu Faschismus, seiner Entstehung und wirksamen Abwehrmechanismen.

        Wenn Reyde Recht hat, und viele dieser Analysen deuten darauf hin, dann schauen wir besser zu, dass wir das einer breiten Öffentlichkeit verklickern und wir diese in einem Antifaschistischen Bündnis mit breiter Legitimation in der Gesellschaft nutzen, um Druck auf die Politik zu machen.

        • @Peter Schwarz:

          Ich halte es immer noch mit dieser Definition:

          »Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.«

          Und davon sind wir noch ein Stück entfernt. Natürlich müssen wir wachsam sein, denn es besteht die reale Gefahr, dass wieder Faschisten an die Macht kommen. Aber durch die inflationäre Verwendung des Begriffs "Faschismus", wird er beliebig und verliert seine Alarmfunktion.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Vielleicht hat aber ein Faschismus der heutigen Zeit gar keine "imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" als Terroristen bezeichnet mehr nötig, weil er schon so fest in den Köpfen installiert ist, dass eine Bezeichnung als "inflationär" ·reichlich viel· zu spät kommt.



            Frauman bedenke auch "Konsumterror"… der "altbekannte" (BAH!) Faschismus in neuem, besser getarntem Gewand?!



            Gruselig.



            Humanes Verhalten als Straftat.



            Am aller-ober-gruseligsten.

          • 8G
            85198 (Profil gelöscht)
            @warum_denkt_keiner_nach?:

            Ich bin da auch nicht sicher, aber was ist mit jenem Neofaschismus, der sich als Freiheit ausgibt? Der muss vielleicht gar nicht offen terroristisch und diktatorisch sein. Er kann seine Ziele mitunter auch in Form einer "gelenkten Demokratie" umsetzen.

            Klar ist es erstmal Provokation, wie Egotronic von "Toleranten Nazis" zu singen. Aber die Geschichte wiederholt sich hier aus materialistischer Perspektive nur und sie tut das niemals auf die gleiche Weise.

            Warum sollte sich ein Neofaschismus, der diesmal sich als die Freiheit ausgibt, auf die gleiche Art und Weise gebärden wie das historische Vorbild? Das kann er vielleicht nicht, eben weil er sich aus Freiheit ausgibt. Heißt das, dass es kein Faschismus ist?

            Ich bin mir da nicht sicher. Ich sehe das anders als Adorno: Auschwitz hätte gar nicht erst passieren dürfen. Wenn der schlimmste Fall erst eintreten muss, ist das ein schlechter Grund, gegen den Faschismus zu sein. Dafür gab es auch vor Auschwitz schon hinreichend Gründe.

            Der Punkt ist doch gerade jener: da auch die SPD und die DDP, Sozialdemokratien und Liberale, in der Weimarer Republik schon die "Judenfrage lösen" wollten und zu diesem Zweck auch von 1921 bis 1923 in Cottbus und Ostpommern zwei damals schon so genannte Konzentrationslager eingerichtet hatten, war wohl für viele NSDAP-Anhänger und -Anhängerinnen ein Zivilisationsbruch nicht zu erkennen.

            Das setzt sich bis heute fort: in mehr als 70 Jahren hat es die BRD nicht geschafft, das Nazi-Wort "KZ" aus dem aktiven Sprachgebrauch zu drängen. Auschwitz wird als Konzentrationslager bezeichnet, obwohl das eine klare Verharmlosung ist. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist das auch schlichtweg falsch. Die richtige Kategorie ist hier das Vernichtungslager.

            Die Gefahr ist, dass sich die Geschichte wiederholt und wieder erst reagiert wird, wenn es schon zu spät ist. Die Konzentrationslager sind in Afrika schon errichtet, von der EU. Von hier aus ist es nur ein Schritt zur Menschenvernichtung.

            • @85198 (Profil gelöscht):

              "...der sich als Freiheit ausgibt..."

              Freiheit ist genau so ein inflationär verwendeter Begriff. Blöd nur, dass jeder etwas anderes darunter versteht.

              Gerade Faschisten sprechen gern von Freiheit. Tun Sie sich mal eine Goebbels Rede an...

            • @85198 (Profil gelöscht):

              ☀️ ☀️ ☀️ ☀️



              Absolute Zustimmung.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Wie muss das bewusste Verdursten- bzw Ertrinkenlassen genannt werden?

            • @aujau:

              Fahrlässige Tötung um das Wort nicht zu benutzen, auch wenn mMn ein Vorsatz durchaus erkennbar ist.

              @ Warum_denkt_keiner_nach: Danke

  • Verschwörungstheorie als Staatsdoktrin

    Zitat: "Aber die Anklage beschuldigt ihn der kriminellen Beherbergung in zwei Fällen und der kriminellen Verschwörung."

  • Wer Menschen in Not Hilfe verweigert, braucht sonntags nicht in die Kirche zu gehen (oder am Samstag in die Synagoge oder freitags in die Moschee). Vor Gott zählen zuerst die Taten, dann die Worte. Das ist meine Überzeugung.

  • Und Salvini und Trump, charakterlich völlig unterbelichtet finden das toll.

    • @Jakob Cohen:

      Sie schießen zu kurz. Die ganze "westliche Wertegemeinschaft macht mit". Inklusive der Kanzlerin. Sie hat voriges Jahr Salvinis Pläne nahezu unverändert durchgewinkt. Und die anderen "Humanisten" auch.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Zustimmung.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Genau so ist es.

        Und das muss viel Stärker kommuniziert werden.