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Warten aufdasWirtschaftswunder

Schmuddelkind im Süden, im Norden schick – die Potsdamer Straße ist beides, und sie gilt als Toplage. Auch Sony Music richtet sich an der Straße ein, „Im Wirtschaftswunder“ heißt das Bauprojekt, das den Kiez verändern wird

Im Umbau zum „Wirtschaftswunder“: das ehemalige Bankgebäude an der Potsdamer Straße, Ecke Bülowstraße Foto: Christian Thiel

Von Plutonia Plarre

Aus der Ferne sieht es so aus, als habe sich der Verpackungskünstler Christo an der früheren Zentrale der Berliner Commerzbank ausgetobt. Die Fassade des siebenstöckigen Gebäudes an der Potsdamer Straße in Schöneberg ist mit weißer Folie verkleidet. Auf dem Baugerüst hinter dem Vorhang hört man Maschinen hämmern und bohren und Arbeiter schreien. Drei riesige Kräne schweben über der Baustelle, die sich um den ganzen Block bis zur Steinmetzstraße erstreckt.

Bis Ende 2020 soll hier ein „New Work Areal mit hoher Aufenthaltsqualität“ öffnen. „Im Wirtschaftswunder“ heißt das Projekt der Pecan Development, die das Vorhaben auf dem ehemaligen Gelände der Commerzbank realisiert. Zu den Kosten macht Pecan keine Angaben. Von insgesamt 27.000 Quadratmeter Bürofläche, die hier entstehen, sind 16.000 Quadratmeter bereits vermietet: KWS Saat, eines der größten Pflanzenzüchtungsunternehmen der Welt, zieht mit 350 Leuten ein. Und, für die Musikszene interessant: Sony Music verlegt seinen deutschen Hauptsitz und die Zentrale Continental Europe von München an die Potsdamer Straße. Rund 400 Arbeitsplätze und ein Aufnahmestudio richtet der weltweit zweitgrößte Musikkonzern ein, der damit nach 15 Jahren an die Spree zurückkehrt.

Oft wird behauptet, Berlin sei für die Kreativbranche nicht mehr interessant. Jan Kunze, als Projektentwickler von Pecan Development zuständig für das Bauvorhaben an der Potsdamer Straße, sieht das anders: „Berlin ist international hochspannend für Nutzer aus dem kreativen Bereich.“ Philipp von Esebeck, Finanzchef von Sony Music Deutschland, Continental Europe und Afrika, sagt, dass Berlin zwar nicht mehr das sei, was es vor 20 Jahren war. Dass aber, anders als anderswo in Deutschland, hier immer noch viel entstehen könne. „In München ist alles fertig“, so Esebeck. „Berlin ist der deutlich größere Teich, an dem man fischen kann, was kreative Talente angeht.“ (siehe Interview Seite 49)

Noch ist unklar, welche weiteren Unternehmen das Pecan-Projekt beziehen. Auch für die 3.000 Quadratmeter im Erdgeschoss für kleine Läden und Gastronomie werden noch Mieter gesucht. Eines lässt sich aber schon jetzt sagen: Mit der Ankunft von Sony & Co erfährt nun auch der südliche Teil der Potsdamer Straße eine deutliche Aufwertung.

Denn anders als der nördliche Teil der Straße, in dem sich zunehmend teure Galerien, Boutiquen und Restaurants breit machen, hat das südliche Pendant noch viel von seiner ursprünglichen Geschäftsstruktur und Mischung bewahrt. Einzelne Gentrifizierungsopfer indes sind aber auch dort schon zu beklagen: Die autonomen Jugendzentren Drugstore und Potse haben ihre Räume nach 46 Jahren verloren.

Die Potsdamer Straße, mal liebevoll, mal verächtlich auch Potse genannt, führt vom Kleistpark zum Potsdamer Platz. Täglich durchfahren sie Abertausende Autos, die Straße ist eine der verkehrsreichsten der Stadt. Gleich am Kleistpark steht das Kammergericht, bis Mauerfall war es Sitz des Alliierten Kontrollrats, in der Nazizeit verhängte dort der Volksgerichtshof unter Roland Freisler seine Todesurteile.

Hausbesetzungen und Straßenschlachten prägten Anfang der 80er-Jahre das Gesicht der Straße, die damals noch ein Bankenstandort war. Vor der Zentrale der früheren Commerzbank, wo jetzt das „Wirtschaftswunder“ entsteht, starb am 21. September 1981 der Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay. Bei einem Polizeieinsatz nach Häuserräumungen wurde er von einem BVG-Bus überfahren. In den 90er-Jahren traf sich auf der Potsdamer Straße die Drogenszene. Mittlerweile sind an Stelle der ausgemergelten Junkies, von der Polizei vertrieben, Obdachlose aus Osteuropa getreten. Vor den türkischen Obst- und Gemüseläden sieht man sie betteln, in den Hinterhöfen Mülltonnen durchstöbern.

Eines aber hat sich immer gehalten: die Prostitution. Seit Ende des 19. Jahrhunderts existiert rund um den Bülowbogen ein Rotlichtmileu. Anders als früher, als es auf der Straße noch viele Bordelle gab, handelt es sich heute aber um eine von Drogensucht und organisiertem Menschenhandel diktierte Armutsprostitution, die weitgehend auf der Straße abgewickelt wird.

Die Kreuzung Kurfürstenstraße mit dem heruntergekommenen Sexkaufhaus LSD – Love, Sex and Dreams – auf der einen und dem nicht weniger heruntergekommenen Woolworth auf der anderen Seite markiert die Gebietsgrenze. Nördlich gehört die Potsdamer Straße zum Bezirk Mitte, südlich zu Tempelhof-Schöneberg. Das LSD sei kürzlich für 40 Millionen Euro verkauft worden, heißt es. Auch Woolworth soll die Baupläne für eine Aufstockung zu Büroetagen in der Schublade liegen haben.

Eines aber hat sich hier an der Straße immer gehalten: die Prostitution

Immobilienexperten zufolge explodieren die Büromieten in Berlin gerade. Die Potsdamer Straße mit ihrer Anbindung an drei U-Bahn-Linien sei „eine Top­lage“, heißt es. Nach Informationen der taz zahlt Sony Music pro Quadratmeter 30 Euro Miete – also 240.000 Euro im Monat – an die Pecan Development.

Der Schöneberger Norden – mit dem südlichen Teil der Potsdamer Straße, wo sich nun der Musikkonzern ansiedelt – stand lange unter Quartiersmanagement. Ein Drittel der Bevölkerung lebt dort von Transferleistungen. Mehr als jedes zweite Kind ist von Kinderarmut betroffen. Größter Eigentümer in dem Gebiet ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, was eine gewisse Mietenstabilität garantiert.

Aber man kennt es aus anderen Bezirken, wie das mit der Gentrifizierung funktioniert, wenn Softwareentwickler mit hohem Einkommen einen Kiez fluten, die Mieten explodieren und familiengeführte Geschäfte nicht mehr mithalten können.

Die Kreuzberger haben rechtzeitig die Reißleine gezogen, als Google im früheren Umspannwerk in der Ohlauer Straße einen Campus mit 300 Arbeitsplätzen für Start-ups einrichten wollte. Eine vergleichbare Protestbewegung gibt es im Schöneberger Norden nicht. Dafür aber eine Interessengemeinschaft Potsdamer Straße mit einer rührigen Vorsitzenden. Aber muss es wirklich so schlimm kommen? Manche sehen in der Veränderung aucheine Chance.

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