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Höchste Zeitfüreine Wende

Klimaschutz ist das Thema der Stunde, auch dank der DemonstrantInnen von „Fridays for Future“. Gefordert wird ein radikales Umsteuern. Und der Senat? Tut nicht nichts. Nur reicht das noch nicht für die Energiewende gegen den Klimawandel, so die Kritik

Von Claudius Prößer Illustration Xueh Magrini Troll

Ein paar Kilometer südlich der Berliner Stadtgrenze, zwischen der Justizvollzugsanstalt Heidering, dem Mercedes-Werk Ludwigsfelde und der Golf-Range Großbeeren, erzeugt ein kleiner Windpark seit Jahren saubere Energie. Drei Räder erheben sich auf einer ovalen, von einer Schienenschleife umschlossenen Brache, dazwischen stehen Photovoltaikpanels. Seit März 2018 dreht sich jenseits der Bahngleise ein viertes Rad, das von einem neuen Player auf dem Energiemarkt betrieben wird: den Berliner Stadtwerken. Die Anlage des Herstellers Vestas ist mit Flügeln 200 Meter hoch und versorgt rechnerisch rund 3.800 Haushalte mit Ökostrom.

War’s das schon? Nein: Ihr Windrad bei Großbeeren sei „mehr als nur ein Ökokraftwerk“, verkündeten die landeseigenen Stadtwerke bei der Inbetriebnahme stolz. „Es ist die Möglichkeit für BürgerInnen, Teil der Energiewende zu werden und davon zu profitieren.“ Denn im Rahmen eines „Klimarendite“ genannten Finanzierungsmodells bekamen diese BürgerInnen die Gelegenheit, Anteile zu kaufen, die mit 1,75 Prozent jährlich – für Stadtwerke-KundInnen sogar 2,25 Prozent – eine in diesen Zeiten fast schon beträchtliche Rentabilität boten.

Allein, die Leute kauften nicht. Oder jedenfalls viel zu wenige: Nach Ende der einjährigen Zeichnungsfrist hatten allem Zielgruppen-Marketing zum Trotz nur 349 AnlegerInnen Anteile im Wert von 1,35 Millionen Euro erworben, deutlich weniger als ein Drittel der benötigten Summe von 4,7 Millionen Euro. Den Rest müssen die Stadtwerke sich nun bei der Bank besorgen – was grundsätzlich kein Problem ist, aber der AfD im Abgeordnetenhaus eine Steilvorlage lieferte. Auf deren Anfrage hin musste die Wirtschaftsverwaltung einräumen, dass die glanzlose Bürgerbeteiligung inklusive der damit verbundenen Werbemaßnahmen das Land rund 230.000 Euro extra gekostet hat.

Energiewende, sauberer Strom, Klimaschutz – ist das den BerlinerInnen egal? Das Beispiel Stadtwerke könnte diese Annahme nahelegen, auch beim Blick auf seine sonstigen Zahlen: Obwohl das einst als „Bonsai“ verspottete Unternehmen vom rot-rot-grünen Senat mit frischem Kapital aufgepäppelt wurde, dümpelt es mit derzeit rund 11.600 KundInnen weiterhin in einer unteren Liga. „Wir liegen deutlich hinter den Erwartungen, aber es geht aufwärts“, sagt Sprecher Stephan Natz mit Zweck­optimismus. Tatsächlich konnten nur 14,2 der im Jahr 2018 erzeugten 46,4 Gigawattstunden (GWh) an eigene EndkundInnen verkauft werden. Und das, obwohl die regional produzierte Power aus Wind und Sonne billiger ist als der Mischstrom von Platzhirsch Vattenfall.

Ganz schön paradox – wenn man sieht, mit welcher Inbrunst gleichzeitig die von SchülerInnen und Studierenden getragene Fridays-for-Future-Bewegung immer wieder Zehntausende mobilisieren kann, um gegen den völlig normalen CO2-Wahnsinn zu demonstrieren. Auch für den Freitag vor den Wahlen zum Europaparlament, bei denen der Klimaschutz mittlerweile zum Topthema aufgestiegen ist, luden die jungen AktivistInnen wieder zur Großdemo am Brandenburger Tor (siehe Text auf Seite 45).

Mittlerweile haben die Jungen Unterstützung von einem neuen Bündnis bekommen, das die Berliner Politik zu einer radikalen Anpassung ihrer Klimaziele und zum schnellstmöglichen Handeln zwingen will: Die Volksinitiative „Klimanotstand Berlin“ will einen solchen ganz offiziell ausrufen lassen und sammelt dafür zurzeit Unterschriften. Wenn sie bis Mitte August 20.000 Stück zusammenhat, erwirbt sie damit das von der Verfassung verbriefte Recht, ihr Thema in die Plenar­debatte des Abgeordnetenhauses und in dessen Ausschüsse zu tragen.

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