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Kommentar Festnahme in BrasilienDramatischer Pseudoerfolg

Sunny Riedel
Kommentar von Sunny Riedel

Die Festnahme des brasilianischen Ex-Präsidenten Temer wird medienwirksam inszeniert. Sie sagt aber wenig über die Strafverfolgung aus.

Unter Korruptionsverdacht: Brasiliens Ex-Präsident Michel Temer Foto: Reuters

E rneut haben die Ermittler in Brasiliens größtem Korruptionsskandal „Lava Jato“ zugeschlagen. Und wieder ließen sie Köpfe aus den höchsten Kreisen von Politik und Wirtschaft rollen. Diesmal ließ Richter Marcelo Bretas zehn prominente Personen verhaften, darunter Ex-Präsident Michel Temer und dessen ehemaliger Energieminister Moreira Franco. Der Vorwurf lautet: Geldwäsche und Korruption bei der Vergabe von Aufträgen rund um ein Atomkraftwerk. Temer wird zudem angelastet eine seit 40 Jahren in Rio de Janeiro agierende kriminelle Organisation anzuführen.

Der Justizapparat ging dabei wie so oft äußerst medienwirksam vor. Wegen Verdunklungsgefahr wurde Temer in Sao Paulo von der Bundespolizei abgefangen und ins Gefängnis in Rio de Janeiro gebracht – auf unbestimmte Zeit, wie es hieß. Im Internet kursieren Bilder vom erniedrigten Temer und vom Sofakissen unter dem sein Freund und Finanzbetreiber Coronel Lima verdächtige Mobiltelefone versteckt haben soll: indem er darauf gesessen und sich geweigert habe aufzustehen.

Kein Zweifel, die Behauptung von Temers Anwalt, hier würden Trophäen präsentiert, ist einleuchtend. Dem Volk soll was geboten und zugleich ein Signal gesendet werden: Seht her, wir tun was. Die Genugtuung in weiten Kreisen der Bevölkerung dürfte enorm gewesen sein, überrascht hat die Festnahme kaum.

Als zweimaliger Stellvertreter der wegen ungleich geringerer Vergehen – Schönung des Haushaltes – entmachteten Präsidentin Dilma Roussef, hatte Temer 2016 ihren Sturz mit befördert und das Amt von ihr übernommen. Ihm blieben zweieinhalb Jahre als Interimspräsident. Zweieinhalb Jahre in denen er es schaffte zum unbeliebtesten Präsidenten aller Zeiten zu werden. Und in denen er es schaffte mit Hilfe einer großen Mehrheit im Parlament einer Untersuchung zu seinen dunklen Geschäften zu entgehen.

Abzuwarten ist nun, ob den jüngsten Festnahmen auch angemessene Strafen folgen. Denn in der fünfjährigen Geschichte der Lava Jato-Ermittlungen ist außer Ex-Präsident Lula da Silva kein hochranginger Politiker und kein Konzernchef mit mehr als einer lächerlichen Bewährungsstrafe davon gekommen.

40 Jahre soll Temer schon seinen kriminellen Machenschaften nachgehen. Dies wird bei den Brasilianerinnen vor allem Zweifel am bestehenden System säen. Und wenn die Richter und Ermittler auf lange Sicht zudem nichts mehr als dramatische Pseudoerfolge präsentieren können oder wollen, dann spielt das Militaristen und erklärten Demokratieskeptikern wie dem angeblichen Saubermann Präsident Jair Bolsonaro genau in die Hände.

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Sunny Riedel
Redakteurin taz1
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Anna Klöpper das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Lateinamerika, Gesellschaft, Aktuelles. An der DJS gelernt.
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2 Kommentare

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  • Der abschreckende Effekt und neue Hoffnung



    Al Capone wurde auch nicht verurteil, weil er Gangsterboss war, sondern weil er Steuern hinterzog. Genauso war es mit dem ex-Präsidenten Lula, unter dessen Führung sich der grösste Korruptionsprozess der Weltgeschichte entwickelte. Dilma Rousseff wurde offiziell wegen finanzieller Manipulation aus dem Amt gejagt, aber wie Al Capone hat sie auch viel Dreck am Stecken und wurde nur Dank mit Milliardensummen von Grossunternehmen wiedergewählt. Der neue Präsident hatte im Gegensatz dazu ein vollig lächerliches Budget zur Verfügung, jetzt schuldet er niemand nichts, Das abschreckende Beispiel wirkt also bereits, die Politiker und die Unternehmer haben jetzt endlich Angst.. Brasilianische Politiker kann man eben leider fast nur dann hinter Schloss und Riegel bringen, wenn sie aus der Politik ausscheiden, sie haben eine Art Sonderjustiz. Trotzdem ist z.B. der ex-Gouverneur von Rio ist schon zu rund 200 Jahren Haft verurteilt wurden. Das bedeutet: Hoffnung.

    • @Friedrich Helmke:

      In Lulas Amtszeit fällt das Ende von Hunger und Unterernährung in Brasilien. Er hat 40 Millionen Menschen aus absoluter Armut befreit, Millionen den Weg in die Bildung geebnet und die Vernichtung des Regenwaldes massiv eingedämmt. Was Korruption betrifft, also diese halbe Eigentumswohnung an der Copa Cabana, um die es sich dabei handelt, so wird er um Lichtjahre übertroffen von Politikern des Nordens, die wie Juncker Milliardenschleusen öffnen oder wie Trump zusätzlich noch die Militarisierung des Globus anfeuern. Ein modernes Brasilien ist ohne Lula undenkbar. Meinungen wie ihre entstammen aus dem hegemonialen Überlegenheitsgefühl des Westens, dessen arrogante Gerechtigkeitsfantasie sich in seiner Existenz bedroht sieht.