Verhaftung von Ex-Präsident Lula da Silva: Im Sumpf der Korruption

Bestechlichkeit ist in Brasilien Teil des politischen Systems. Statt sie zu bekämpfen, werden Institutionen wie die Justiz politisch instrumentalisiert.

Jemand hält Real-Scheine in der Hand

Brasilianische Real: Darf's ein bisschen mehr sein? Foto: dpa

RIO DE JANEIRO taz | Die Verhaftung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva treibt die politische und institutionelle Krise in Brasilien auf den Höhepunkt. Die Spaltung in zwei diffuse politische Lager vertieft sich. Für die einen ist das vorläufige politische Aus von Lula ein Sieg des Rechtsstaats gegen Straflosigkeit von korrupten Politikern. Für die anderen ist es das genaue Gegenteil: der Sieg einer politischen Strömung, die mithilfe einer willfährigen Justiz den Rechtsstaat und demokratische Wahlen aushebelt. Beide Seiten eint die Überzeugung, gegen Korruption zu sein. Doch scheint es just das Thema Korruption zu sein, das Brasilien immer weiter in Richtung Abgrund schiebt.

Korruption ist keineswegs ein besonders lateinamerikanisches Phänomen, sondern ein weltweites Problem – das wissen die Menschen beispielsweise in Südkorea ebenso wie die Kundschaft von Volkswagen oder der Deutschen Bank. Genauso wenig haben korrupte Umtriebe Brasilien erst seit dem Amtsantritt von Lulas Arbeiterpartei PT im Griff. Allerdings hat der illegale Tausch von Geld gegen Gefälligkeiten in Brasilien ein Ausmaß erreicht, dass er inzwischen als Teil des politischen und wirtschaftlichen Systems verstanden werden muss.

Im Grunde handelt es sich bei der in Brasilien üblichen Korruption um eine klassische Win-win-Situation für die Beteiligten: Unternehmer oder andere Interessierte zahlen eine begrenzte Summe Geld, um im Gegenzug Verträge oder Leistungen zu bekommen, die dem Geschäftsbetrieb später eine wesentlich höhere Einnahme ermöglichen. Die Geldnehmer, oder „Korrumpierten“, sind diejenigen, die aufgrund öffentlicher Ämter oder Machtposition in der Lage sind, andere zu bevorteilen.

Sie stecken die illegalen Geldgeschenke entweder in die eigene Tasche oder in die chronisch knappen Kassen politischer Parteien. Da das Tauschgeschäft sehr gut funktioniert, solange Staat und Justiz wegschauen, und oft von vielen Beteiligten geradezu als Selbstverständlichkeit eingefordert wird, ist es nicht nur ein Problem korrupter Individuen, sondern auch des Systems als Ganzem.

Der aktuelle Skandal: eine „Autowaschanlage“

Der aktuelle Korruptionsskandal in Brasiliens – allgemein als „Java Jato“, also Autowaschanlage bekannt, da die Ermittlungen auf einer Tankstelle begannen – funktionierte genau nach diesem Schema. Vor allem große Bauunternehmen, aber auch der weltgrößte Rindfleischproduzent JBS und andere Unternehmen schmierten Politiker aller Couleur, um überteuerte Aufträge von Staatsunternehmen wie dem Ölkonzern Petrobras zu ergattern oder um per Dekret oder Gesetzesinitiative Vorteile zu erheischen.

Nicht nur der Odebrecht-Baukonzern, der in über zehn Ländern Politiker schmierte, unterhielt eigene Abteilungen, um über Jahre hinweg die mehreren Milliarden Euro Bestechungsgeld so breit zu verteilen, dass die Bevorzugung seitens der Politik nicht von einem Regierungswechsel beeinträchtigt werden konnte. Ähnlich offen wurde innerhalb der Parteien mit dem Geldsegen umgegangen. Es gibt viele Zeugenaussagen über Spitzenpolitiker, die über die Verteilung der Pfründen an Koalitionspartner und andere Verbündete beratschlagten.

Vor allem große Bauunternehmen schmierten Politiker jeder Couleur

Das Lava-Jato-System funktioniert zumindest seit den 90er Jahren und wird erst seit vier Jahren juristisch verfolgt. Zeitgleich wurde der sogenannte Zelotes-Skandal aufgedeckt, bei dem Beamte von Steuerbehörden und des Finanzministeriums bestochen werden, damit sie Steuerschulden von Unternehmen unter den Tisch fallen lassen. Die Summen, die dabei veruntreut werden, sind ungleich höher als bei Lava Jato, doch weder die Öffentlichkeit noch die Justiz zeigt großes Interesse an einer Aufklärung.

Der erste Höhepunkt der Korruptionsbekämpfung war allerdings der sogenannte Mensalão am Ende der ersten Amtszeit von Lula da Silva 2006. Dabei ging es um den Kauf von Stimmen im Kongress, um Gesetzesvorhaben durchzubringen. Hintergrund war, dass die PT-Regierung nicht genug Parlamentarier hatte und auf die Unterstützung durch dubiose Politiker und Kleinstparteien angewiesen war. Der Stimmenkauf innerhalb von Regierungskoalitionen ist in Brasilien seit langem üblich und zum Teil dem präsidentiellen Wahlsystem geschuldet.

Bis heute sitzt kein Beteiligter hinter Gittern

Mehrere PT-Minister und Spitzenpolitiker wurden zu Haftstrafen verurteilt. Auch damals schon klagte die PT – wie viele ihrer Unterstützer – über das selektive Vorgehen von Justiz und Ermittlungsbehörden. Ein identischer Skandal im Bundesstaat Minas Gerais, in dem die konservative PSDB, der wichtigste Gegenspieler der PT in den letzten 25 Jahren, die Strippen zog, war schon lange zuvor aktenkundig. Trotz mehrerer Prozesse sitzt bis heute kein Beteiligter hinter Gittern.

Der Vorwurf, dass die Korruptionsermittlungen politisch instrumentalisiert werden, ist kaum von der Hand zu weisen. Jahrzehntelang wurde über korrupte Machenschaften nur geklagt. Als 2003 erstmals seit der Militärdiktatur eine fortschrittliche, sozial ausgerichtete Regierung in Brasilien an die Macht kam, war es plötzlich zu Ermittlungen gekommen.

Korruptionsrichter Sérgio Moro, heute der große Held der rechten Anti-PT-Bewegung, trieb gezielt Prozesse gegen PT-Politiker voran, ließ Lula einmal vor versammelter Presse mittels eines martialischen Polizeieinsatzes zum Verhör abführen und veröffentlichte ungestraft einen illegalen Telefonmitschnitt der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff mit Lula. Seine Verurteilung Lulas wegen der angeblichen Überlassung eines Apartments durch einen Baukonzern aufgrund einer Kronzeugenaussage und ohne materielle Beweise wird auch international stark in Zweifel gezogen.

Während viele PTler hinter Gittern sitzen, endete noch kein Korruptionsprozess gegen die zahlreichen verdächtigten PDSB-Politiker mit einer rechtsgültigen Haftstrafe. Dass Mitglieder der jetzigen konservativen Regierung teilweise juristisch verfolgt werden, ist darauf zurückzuführen, dass sie zuvor Teil der PT-Regierungskoalition waren und just deswegen in das Visier von Moro gerieten.

Einfluss auf die Wahl

Das Problem des selektiven Vorgehens der Strafverfolger ist nicht nur die Ungerechtigkeit, es sind vor allem die politischen Konsequenzen. Jenseits der Schuldfrage von Lula da Silva nimmt der angebliche Kampf gegen Korruption direkt Einfluss auf die kommende Wahl. Während Umfrageführer Lula im Knast sitzt, darf sich der vielfach verdächtigte PSDB-Mann Geraldo Alckmin in Stellung bringen.

Schon die umstrittene Amtsenthebung von Rousseff im Kontext einer breiten Antikorruptionsstimmung hat keinesfalls den Rechtsstaat geschützt, sondern nur eine rechtskonservative Regierung an die Macht gebracht, die an den Urnen keine Chance hatte. Institutionen wie Staatsanwaltschaft, Justiz und Polizei werden heute in Brasilien im Namen der Korruptionsbekämpfung mehr für ideologische Zwecke missbraucht, als dass sie dem Übel an die Wurzel gehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.