piwik no script img

Politologin über den Zustand der Union„Die SPD stellt die richtige Diagnose“

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hält die Hartz-IV-Korrekturen der SPD für stimmig. Nur sei die Partei dafür in der falschen Koalition.

Die Reform heißt auch langjährige Beitragszahler besser zu stellen als neu angekommene Flüchtlinge Foto: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Münch, SPD und CDU arbeiten gerade ihre jeweiligen Traumata auf: Hartz IV die einen, die Flüchtlingspolitik die anderen. Ist diese Aufarbeitung geeignet, die Glaubwürdigkeit der beiden Volksparteien wieder herzustellen?

Ursula Münch: Beides sind ja riesige Themen, die man eigentlich in einem größeren Format behandeln müsste. Bei der SPD nehme ich es so wahr, dass sie jetzt beginnt. Jetzt liegen genauere Pläne vor, wie man sich eine Änderung der Hartz IV-Gesetze vorstellt. Das wird zwangsläufig weitergehen und vermutlich auch mit weitergehenden Vorschlägen. Und bei der CDU redet man nun zumindest mal über die Flüchtlingspolitik. Vielleicht betreibt man ein bisschen wenig Aufwand dafür, dass das Thema so groß ist.

Ist es denn glaubwürdig, wenn die SPD sagt, wir wenden uns von Hartz IV ab, reden von Bürgergeld, belassen aber die Regelsätze gleich?

Ich denke, die SPD stellt die richtige Diagnose. Ein Punkt, der viele Leute so unheimlich erzürnt hat, war, dass Menschen, die viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, nach einem Jahr aus der Versicherung raus- und in eine sozialpolitische Leistung gefallen sind. Diese Gleichstellung von langjährigen Beitragszahlern mit Sozialhilfeempfängern ist den Leuten im Rahmen der Flüchtlingspolitik so richtig deutlich geworden. Auch Flüchtlinge, die erst wenige Monate in Deutschland leben, können Hartz IV bekommen, sobald sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus, aber noch keinen Job haben. Das Interessante ist also, dass es eine inhaltliche Verbindung zwischen beiden Themen – der Flüchtlingspolitik der CDU und den Hartz IV Reformen der SPD – gibt.

Die CDU nähert sich ihrem Trauma in einem zweitägigen Werkstattgespräch. Sie sagen selbst, der Aufwand sei überschaubar. Ist diese Aufarbeitung glaubwürdig?

Ja, das Format ist relativ harmlos, aber es geht ja auch nicht um massive Änderungen. Die sind im Grunde längst geschehen und Merkel hat sie mitgetragen. Sie hat es nur nie gesagt. Man sollte also die Symbolkraft dieses Werkstattgesprächs nicht unterschätzen. Wenn man es vergleicht mit der Politik der Kanzlerin und bisherigen CDU-Vorsitzenden, die das Thema nie thematisieren und einen Schlussstrich ziehen wollte, erfüllt es schon seinen Zweck. Nämlich der eigenen Anhängerschaft zu zeigen: Wir reden nicht zur davon „Das soll sich nicht mehr wiederholen“, sondern wir beschäftigen uns mit dem, was nicht richtig gelaufen ist und wo wir den Eindruck eines schwachen Staates hinterlassen haben. Und wenn die CDU-Anhänger irgendetwas nicht brauchen können, ist das der Eindruck eines schwachen Staates.

Merkel ist ja gar nicht dabei und wird wohl auch nie sagen, sie habe einen Fehler gemacht. Reicht es, wenn ihre Nachfolgerin stellvertretend ein Gespräch moderiert, das ausdrücklich keine Abrechnung mit der Kanzlerin sein soll?

Annegret Kramp-Karrenbauer steckt ja in einer Zwickmühle. Selbstverständlich kann sie die Kanzlerin und Vorgängerin im Amt nicht beschädigen. Das wäre ein grober Fehler, vor allem mit Blick darauf, dass sie sie wohl auch im Amt der Kanzlerin beerben will. Sie kann also nicht sagen, Angela Merkel war schuld, aber sie kann es ihrer Partei auch nicht antun zu sagen: „Augen zu, wir machen weiter, als wäre nichts geschehen“. Und vor diesem Hintergrund ist die Lösung zwar schwach, aber Kramp-Karrenbauer wird dem Dilemma wenigstens gut gerecht.

Im Interview: Ursula Münch

ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München und seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung.

Wirklich?

Ja, sie gibt ein Zeichen nach außen, verfällt aber nicht darauf, immer wieder Fehler herbei zu reden. Das kann die CDU auch nicht brauchen. Wenn man ständig nur auf dem herum hackt, was man vermeintlich falsch gemacht hat, wie es Horst Seehofer getan hat, belohnen einen die Leute auch nicht, sondern sie belohnen die, die aus solchen Fehlern politisches Kapital schlagen, nämlich die AfD.

Aber reicht Kramp-Karrenbauers Balanceakt aus, um die CDU-Anhänger, die die Flüchtlingspolitik doch für einen Fehler halten, zu versöhnen?

Er würde nicht ausreichen, wenn sonst nichts geschehen wäre. Aber es gab ja fundamentale Einschnitte für den Zuzug von Flüchtlingen in die Bundesrepublik, nicht zuletzt unter dem Druck der anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Die Politik hat sich also verändert, aber Angela Merkel und andere in der CDU waren nicht bereit das zuzugeben. Weil sie dieses Zugeständnis nicht machten, gab es im Grunde diesen idiotischen Streit zwischen CDU und CSU um eine längst geänderte Flüchtlingspolitik. Also vor diesem Hintergrund, ist das Werkstattgespräch zwar nicht grandios, aber ein ordentlicher Weg.

Müssten in beiden Parteien nicht auch personelle Konsequenzen gezogen werden?

Die gibt es doch längst. In der CDU ganz offensichtlich und in einer überschaubaren Zeit auch in der Kanzlerschaft.

Und bei der SPD?

Die SPD wäre extrem töricht, wenn sie in den alten Fehler verfallen und ihr Personal austauschen würde. Die SPD kann ihr Führungspersonal noch zwanzig Mal austauschen, solange sie nicht den Grundkonflikt klärt: Mit wem müssen wir solidarisch sein? Müssen wir genauso solidarisch sein mit Flüchtlingen oder müssen wir mit langjährigen Beitragszahlern solidarischer sein. Und meiner Meinung nach geht es bei der angekündigten Hartz-IV-Reform um genau diese Frage. Die SPD will keine Gleichstellung von Flüchtlingen mit langjährigen Beitragszahlern. Flüchtlinge kann man nicht schlechter stellen, also zieht die SPD die richtige Schlussfolgerung und stellt die anderen eben besser. Das wird so nicht thematisiert, aber es läuft darauf hinaus.

Haben beide Parteien nun an Glaubwürdigkeit gewonnen, wird sich die Aufarbeitung auszahlen?

Eigentlich würde das bei beiden Parteien gut klappen, wenn beide nicht in einer Großen Koalition wären. Das ist ausgesprochen misslich, besonders für die Sozialdemokraten. Sie arbeiten an Hartz IV-Reformen ausgerechnet in einer Regierung und mit einem Partner, der damals 2010 aus der Opposition heraus, Hartz IV mitgetragen hat. Das kann die Union nicht gutheißen, vor allem mit einer CDU-Vorsitzenden, die den Wirtschaftsflügel stärken will. Es ist das Dilemma der SPD, nicht in der Opposition sein zu dürfen. Es ist fast unmöglich, der Union hier Änderungen abzutrotzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Es wäre eigentlich ganz einfach: Setzen wir die Leistungen in H-IV einfach auf ein würdiges Maß herauf und stellen es sanktionsfrei.

    Geld dafür ist da, wie die Bestrebungen, den Soli abzuschaffen oder die Erhöhung des Verteidigungshaushalts aufzeigen.

    Die Wirkung: Die Löhne müssen steigen und es gibt eine neue Dynamik.

    Daran zu gehen, davor hat die SPD jedoch Angst, denn es werden von allen Lobbyisten die Geschütze aufgefahren.

  • Prachtvoll: Erst meuchelt die SPD gemeinsam mit den Grünen das Sozialsystem und stellt jetzt für die Leiche "die richtige Diagnose". Nahles und Co wollen sich bei den Opfern von Hartz IV, den Menschen, die sich heute mit prekären Jobs durchschlagen, einen weißen Fuß machen - mehr nicht. Am Problem, dass hier zunehmend qualifizierten Jobs verloren gehen, ändert die gebetsmühlenartig vorgetragene Mär von der Weiterbildung als Lösung nichts. Zunehmend werden qualifizierte Tätigkeiten per Digitalisierung ausgelagert oder automatisiert. Den Ausgesonderten bleiben nur mies bezahlte Jobs in der Dienstleistungsbranche, so sieht die Zukunft 4.0 aus und darauf weiß die SPD nicht nur keine Antwort, sie verschleiert mit ihrem Geschwätz die Entwicklung.

  • Zu wenig und vorallem ZU SPÄT! Die Strategie der SPD wird scheitern! Wer fällt denn heute noch auf schöne Worte und Versprechen rein? Worte sind billig und die SPD hatte genug Zeit etwas in eine positive Richtung zu bewirken. Das ist die letzte Verwarnung auch an alle anderen Parteien!

  • Zitat: „Eigentlich würde das bei beiden Parteien gut klappen, wenn beide nicht in einer Großen Koalition wären. Das ist ausgesprochen misslich, besonders für die Sozialdemokraten.“

    Ob es tatsächlich „ausgesprochen misslich“ für die SPD ist, in einer großen Koalition zu stecken, bleibt abzuwarten. Könnte auch sein, sie profitiert davon, sich in eine Art Pseudo-Opposition zu begeben. Die neue CDU-Vorsitzende spielt das Spiel jedenfalls momentan ganz super mit. Sie wirft der SPD vor, sich vom „Fordern und Fördern“ zu verabschieden und signalisiert damit, dass sie sich keine Änderungen abtrotzen lassen wird. Ihrer eigenen Klientel tut sie damit einen Gefallen schätze ich. Und die SPD darf weiter ungestraft behaupten, sie würde an einem eigenen Profil arbeiten. Das dürfte ihr um so leichter fallen, als bislang nicht abzusehen ist, dass sie ihre angeblichen Pläne demnächst umsetzen muss.

    Womöglich haben sich die Koalitionspartner ja angesichts der politischen Lage überlegt, dass sie im selben Boot sitzen. Beide wollen als demokratische Alternative zur AfD bzw. zu den Linken/Grünen wahrgenommen werden. Dass sie nicht um die selbe Mitte kämpfen können, ohne Wähler an die Ränder zu verlieren, ist ihnen allerdings inzwischen aufgefallen. Also versuchen sie, jene Restwähler unter sich aufzuteilen, die das demokratische Prinzip der alten Bundesrepublik noch nicht ganz abgeschrieben haben. Im besten Fall, werden sie sich gesagt haben, kommen ein paar Abgewanderte wieder zurück.

    Ob das funktioniert, werden wir sehen. An der Tatsache, dass Autoritäten nicht mehr sind, was sie mal waren in der Wahrnehmung der Bürger, ändern taktische Spielchen jedenfalls nichts. Es bleibt dabei: Die, die noch auf Autorität setzen, wollen mehr Autorität, als echte Demokraten ausüben dürfen. Alle anderen aber wollen schon deutlich weniger.

  • Richtige Diagnose? Na ja, dafür ist sie viel zu kurz gesprungen. Ein bisschen über Lebensleistung zu reden hilft da auch nichts! Der Steuerzahler soll etwas bezahlen was die SPD im Gießkannenprinzip und ohne Bedürftigkeitsprüfung verteilen will. Zumindest dem Steuerzahler gegenüber lässt sie dabei jeden Respekt missen!

  • "Ein Punkt, der viele Leute so unheimlich erzürnt hat, war, dass Menschen, die viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, nach einem Jahr aus der Versicherung raus- und in eine sozialpolitische Leistung gefallen sind."

    Nun, für Altere gab es die Möglichkeit des ALGI Bezuges bis zu 24 Monaten. Das will die SPD um 9 Monate verlängern und für die anderen (?) gilt Wohn-/Vermögensschutz von bis zu 2 Jahren.

    Das ist aber nicht der Punkt. Die SPD schreit "Arbeit, Arbeit, Arbeit" verkennt aber, welch lohnsenkende Wirkung HartzIV als System für Milionnen Arbeitnehmer hat. Oft sind diese Mechanismen nicht mal der Öffentlichkeit bewusst weil sie komplexer psychologischer,ökonomischer, sozialer und verwaltungstechnischer Natur sind. Ich nehme an, dass die Führung der SPD nicht dumm ist und um diese Wirkung weiß. deswegen möchten die Sozialdemokraten die entscheidenden Komponenten des Systems (Satzhöhe, Definition der "zumutbaren Arbeit", Sanktionen, gesellschaftliche Stigmatisierung inkl. Kinder) beibehalten. Denn diese Partei liebt den Niedriglohnbereich - sie hat ihn quasi kreiert.

  • „Die SPD wäre extrem töricht, wenn sie in den alten Fehler verfallen und ihr Personal austauschen würde.“



    Es war kein Fehler sondern notwendig. Das Personalkarusell bei der SPD musste sich solange drehen bis es die Seeheimer herauszentrifugiert hat, ansonsten wäre es nie zu einer solchen inhaltlichen Wandlung gekommen.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Was heißt hier eingentlich „ Glaubwürdigkeit“? Die SPD hat unter Zustimmung der CDU/CSU den Sozialstaat beerdigt, die Grundlagen für Kinder- und Altersarmut geschaffen und - man/frau beachte - das Gefühl für soziale Gerechtigkeit stark beschädigt. Und die CDU/CSU hat zusammen mit der SPD in der Aufarbeitung der Flüchtlingswelle ihre wahres menschliches Gesicht gezeigt.



    Nun sollen in dieser festgefahrenen Situation zwei closed-shop Veranstaltungen mich dazu ermutigen, denen Vertrauen entgegen zu bringen? Sag‘ mal - geht‘s noch?

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    "Das Interessante ist also, dass es eine inhaltliche Verbindung zwischen beiden Themen – der Flüchtlingspolitik der CDU und den Hartz IV Reformen der SPD – gibt."

    Ja, es gibt auch einen Zusammenhang zwischen dem Elend der Armen und dem Wohlstand der Reichen. Der dann auch die Fluchtursachen ebenso wie die Unzufriedenheit mit "denen da oben" erklären könnte.

  • "Die SPD kann ihr Führungspersonal noch zwanzig Mal austauschen, solange sie nicht den Grundkonflikt klärt: Mit wem müssen wir solidarisch sein? Müssen wir genauso solidarisch sein mit Flüchtlingen oder müssen wir mit langjährigen Beitragszahlern solidarischer sein. Und meiner Meinung nach geht es bei der angekündigten Hartz-IV-Reform um genau diese Frage."

    Diese Analyse lässt außer Acht, dass die SPD den Arbeitsmarkt liberalisiert und einen massiven Niedriglohnsektor geschaffen hat, in dem vielen Bio-Deutsche arbeiten müssen, um zu überleben. Dieser Niedriglohnsektor ist gewerkschaftsfrei, d.h. es gibt hier keine Möglichkeiten für die Arbeitnehmer sich Gerechtigkeit zu erstreikten oder durch gewerkschaftliche Arbeit die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

    Das hat m.M. nichts mit Zuwanderung zu tun. Die SPD hat keine echte Meinung zur Zuwanderung, sondern die SPD ist gespalten, weil sie eigentlich die Partei ist, die Gewerkschaftsmitglieder und Arbeitnehmer wählen - vielleicht sogar wählen müssen, aber sie hat von 1998 bis 2005 eine krude neoliberale Politik gemacht, und die Risiken auf Seiten der Arbeitnehmer massiv erhöht.

    Die SPD steht eben nicht mehr für eine gerechte, solidarische Verteilung, sondern für ein elitäres Leistungskonzept, von dem aber auch Millionen-Erben profitieren und leistungsstarke Menschen das Nachsehen haben, weil sie über Steuern die Ungerechtigkeiten mitfinanzieren müssen.

    Ich finde überhaupt diese Flüchtlingsfrage hier nicht gut thematisiert. Viele CDU/CSU-Wähler sind ältere Leute und hängen an konservativen Themen - was ist damit?



    Warum tritt die CDU / CSU wie eine Ersatz-SPD an, während sie die SPD gleichzeitig zerlegen will, dauerhaft schwächen und einbinden in CDU-Politik, die aber fast identisch ist mit Schröders Agenda-Politik?



    Trägt das nicht auch zur Auflösung der CDU/CSU als Volkspartei bei? Haben die CDU-CSU-Rentner nur Angst vor Asylbewerbern? Würde Merkel 45 Prozent schaffen, wenn keine Flüchtlinge gekommen wären?