: Bürgen müssen zittern
Schon vor dem großen Flüchtlingsstrom konnten Tausende Syrer sicher mit dem Flugzeug nach Deutschland reisen. Alle Bundesländer außer Bayern hatten ab 2013 derartige Aufnahmeprogramme. Voraussetzung war, dass Verwandte oder deutsche Helfer eine Verpflichtungserklärung unterzeichneten, die den Staat von Kosten freistellte.
Damals unterschrieben die Bürgen bundesweit das gleiche Formular. Sie verpflichteten sich, bis zur Ausreise „oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ die Kosten für den Lebensunterhalt der Syrer zu übernehmen.
Zum Zeitpunkt der Unterschrift war umstritten, ob die Anerkennung als Flüchtling den Aufenthaltszweck ändere und damit die Haftung beende. In NRW, Niedersachsen, Hessen oder Rheinland-Pfalz ging man von einer kurzen Haftung aus. Im Bund und den meisten Ländern hielt man die spätere Anerkennung als Flüchtling dagegen für irrelevant.
Im Januar 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht den Streit: Die Asylanerkennung ändere nicht den Aufenthaltszweck. Dieser sei vorher und nachher humanitär bestimmt. Die Haftung der Flüchtlings-Bürgen ende also nicht mit der Asylanerkennung, und das Jobcenter könne sich anschließende Hartz-IV-Leistungen von den Bürgen zurückholen. 2016 hatte der Gesetzgeber die Haftung für alte Verpflichtungserklärungen immerhin auf drei Jahre begrenzt.
Am günstigsten ist die Situation für Bürgen jetzt in Baden-Württemberg. Dort hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim im Juli 2017 rechtskräftig entschieden, dass das Formular der Verpflichtungserklärung uneindeutig formuliert war. Das gehe zulasten des Staates, die Haftung ende doch mit der Asylanerkennung. Diesem Urteil folgte aber kein anderes Obergericht.
Das Oberverwaltungsgericht Münster ließ nicht einmal den NRW-Erlass von 2015 gelten, der von einer Haftung bis zur Anerkennung ausging. Denn die Verpflichtungserklärungen seien schon vorher, 2013 und 2014, unterschrieben worden. Nur dort, wo die Aufnahmeanordnung des Landes von vornherein die Haftung bis zur Anerkennung begrenzte, etwa in Rheinland-Pfalz, liege ein atypischer Fall vor. Dann müsse das Jobcenter Ermessen anwenden und in der Regel auf die Rückforderung verzichten – außer der Bürge ist reich.
Einen weiteren atypischen Fall sah das OVG Münster, wenn die Aufnahmeanordnung die Haftung für Krankheitskosten ausgeschlossen habe, wie generell in NRW. Dann müsse der Bürge in der Regel nicht für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aufkommen.
Gegen die Annahme atypischer Fälle wollten mehrere NRW-Jobcenter noch mal das Bundesverwaltungsgericht anrufen. Dieses bestätigte im März und April 2018 jedoch in drei Fällen die Nichtzulassung der Revision.
Die Jobcenter könnten nun von den Bürgen bis zur monatlichen Pfändungsfreigrenze die ausbezahlten Sozialleistungen zurückverlangen. Doch derzeit warten sie auf neue Signale aus der Politik. Christian Rath
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