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Kommentar Paritätisches WahlrechtDie Quadratur des Kreises

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Eine breite Initiative fordert ein Ende der Dominanz von Männern in der Politik. Dass das nach 100 Jahren nötig ist, zeigt: Frauen wird nichts geschenkt.

Bis Parität endlich Realität wird, darf es nicht noch einmal so lange dauern: 100 Jahre Frauenwahlrecht Foto: dpa

E s ist ein Meilenstein: 100 Jahre nachdem es Frauen in Deutschland zum ersten Mal erlaubt war, zu wählen und gewählt zu werden, fordert der Deutsche Frauenrat, endlich die noch immer männlich verkrusteten Strukturen der Politik aufzubrechen. Allein die Bündnisbreite – über 60 Organisationen sind vertreten – zeigt, wie unzeitgemäß das derzeitige Wahlrecht ist, das zu der haarsträubenden Tatsache führt, dass im Bundestag gerade mal ein Drittel und unter den BürgermeisterInnen hierzulande nicht einmal zehn Prozent Frauen sind.

Es waren erbitterte Kämpfe, die dazu geführt haben, dass das aktive und passive Wahlrecht eingeführt wurde. Und selbst dann war, wie an der aktuellen Geschlechterverteilung in der Politik zu sehen ist, Fortschritt nur langsam möglich. Trotzdem zeigen die vergangenen 100 Jahre, wie fundamental wichtig weibliche Perspektiven sind, um Themen zu erkennen und Strukturen zu verändern: Ohne Frauen, die diese Gesetze vorantrieben, wäre weder Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand noch wären der Mutterschutz eingeführt und die Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch juristisch verankert worden. Und eine freiwillige Quote, auch das zeigt die Erfahrung, reicht eben nicht, um institutionelle Politik nachhaltig zu verändern.

In der Praxis wäre die paritätische Besetzung der Politik die Quadratur des Kreises. Wann sollen Frauen, die noch immer 50 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer übernehmen, denn überhaupt Politik machen? Die Möglichkeit, von zu Hause oder in Teilzeit zu arbeiten, damit auch Männer ihre Kinder um 16 Uhr aus der Kita holen können, eine Selbstverständlichkeit von Doppelspitzen oder die Abschaffung des anachronistischen Ehegattensplittings wären politische Projekte, die Frauen im Parlament dringend anschieben müssten – sofern sie denn die Zeit dazu finden.

Dass uns nichts geschenkt wird, zeigen die vergangenen 100 Jahre. Bis Parität endlich Realität wird, darf es nicht noch einmal so lange dauern.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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8 Kommentare

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  • Außerdem: Aus den Frauenanteilen der Bundestagsparteien ergibt sich ein Durchschnitt von 27,7%. Der Anzahl weiblicher Parteimitglieder entsprechend sind Frauen im Bundestag also eher über- als unterrepräsentiert.

  • 1. "Frauen wird nichts geschenkt."



    Männern auch nicht.

    Und 2.: Nicht zehn, sondern hundert Prozent aller Bürgermeisterinnen sind weiblich.

  • Wie wäre es zum Besipiel, auch für das Kanzleramt eine Quote einzuführen- das würde aktuell bedeuten, dass es eine gesetzliche Vorgabe geben müsste, nach der eine Frau für die Nachfolge von Fr. Merkel ausdrücklich ausgeschlossen werden müsste.



    Wäre das wirklich erstrebenswert?

    Und werden damit nicht auch die Pforten der Hölle geöffnet? Falls mal eine stramm rechte Partei mehr Macht erlangen sollte, könnte sich diese dann auf genau solche Regelungen der Bevorzugung berufen.



    Ein Ständestaat, oder eine anteilige Aufteilung des Bundestages nach "Volksgruppen", ist meinen Augen reichlich gruselig.

  • Es ist richtig, dass es strukturelle Hindernisse gibt beim Aufstieg von Frauen in der Politik und Ungerechtigkeiten bei Arbeitszeiten und Hausarbeit, aber eben auch ein weit verbreitetes Desinteresse von Frauen an Politik im allgemeinen und Parteipolitik im besonderen. Keine Hausarbeit hindert Frauen daran, Mitglied einer Partei zu werden.

    Und so sehen die Frauenanteile dort aus (Zahlen 2017): Grüne 39,8%, Linke 36,5%, SPD 32,5%, CDU 26,2%, FDP 21,9%, CSU 20,5%, AfD 17%.



    Wenn Frauen nicht in die Parteien gehen, können sie auch keine parlamentarische Politik mitgestalten. Auch ohne Quote sind sie beispielsweise in CDU-Führungspositionen mehr als überrepräsentiert angesichts ihres Mitgliederanteils. Umgekehrt hat die Quote dazu geführt, dass mehr Frauen bei SPD, Grünen und Linken Mitglieder wurden.

  • Vielleicht einfach mal artikel 3 des gg lesen, dann bräuchte ein solcher unsinn nicht diskutiert werden.



    Art 3

    (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

    (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

    (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden

  • Und wenn man dann noch bedenkt, dass das am 19. Januar 1919 neben dem Wahlrecht für Frauen auch das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Männer eingeführt wurde, ist das wirklich ein bemerkenswertes Datum. Endlich konnten auch arme und wenig vermögende Männer in einer geheimen Wahl sich an der politischen Willensbildung beteiligen.

    de.wikipedia.org/w...eiklassenwahlrecht

  • Klasse statt Masse! Wenn 60 Organisationen teilnehmen heißt das nicht, gar nichts! Quantität war noch nie ein Maß für Qualität - das sollte keine neue Information sein, oder doch?



    Wer Interesse an Politik und deren Mitgestaltung hat, findet Möglichkeiten. Ich habe einen guten Job im gehobenen Management, zwei Kinder und engagiere mich in zwei karitativen Einrichtungen und Vereinen. Wer bereit ist mehr zu leisten - ja, vielleicht auch mehr als so mancher Mann - kann auch viel erreichen. Wer darauf wartet, dass er/sie etwas geschenkt bekommt, ist nur zu faul, sich aus der Komfortzone zu bewegen. Meine Meinung.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Im aktuellen Bundestag sitzen 217 Frauen. In der Unionsfration gibt es 19,9% weibliche Mitglieder, bei der SPD sind es 41,8%, bei der FDP 22,5%, bei der AfD 10,8%.



    Bei den Günen sind es 58,2% und bei der Linke 53,6%.

    de.wikipedia.org/w...undestag_seit_1949

    Also: Mehr Frauen - vor allem in den rechten Parteien, bei Linke und Grüne mehr Männer.