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Theresa May nach dem VertrauensvotumErst Brexit, dann Mexit

Die britische Premierministerin hat ein Vertrauensvotum überstanden – um den Preis eines Rücktrittsversprechens.

Verlässt die Downing Street möglicherweise bald for good – Theresa May Foto: imago/i Images

London taz | Nach der Wahl ist vor der Wahl. Großbritanniens Premierministerin hat am Mittwochabend die Vertrauensabstimmung ihrer konservativen Parlamentsfraktion zwar gewonnen, aber zugleich den Startschuss für den Kampf um ihre Nachfolge abgegeben. Indem sie in einer Fraktionssitzung vor der Abstimmung bekräftigte, die Konservativen nicht in die nächste Parlamentswahl führen zu wollen, machte sie deutlich: Ihr braucht einen neuen Chef – spätestens zum nächsten regulären Wahltermin im Jahr 2022, wenn nicht deutlich früher.

May siegte mit 200 zu 117 Stimmen. Die konservative Parlamentsfraktion, die am Mittwochmorgen noch 315 stimmberechtigte Abgeordnete zählte, hatte rechtzeitig zur Abstimmung zwei wegen Sexskandalen suspendierte Mitglieder wieder aufgenommen und zählte damit wieder 317.

Ein klarer Sieg ist Mays Ergebnis nur, wenn man davon absieht, dass 142 der 317 Abgeordneten auf der Gehaltsliste der Regierung oder der Partei stehen – als Minister, Staatssekretäre, Ministerialberater und Parteifunktionäre. Die 117 Nein-Stimmen dürften überwiegend aus den Reihen der 175 Hinterbänkler stammen, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Machtapparat stehen. Also haben möglicherweise um die zwei Drittel von diesen die Premierministerin abgelehnt.

Das erklärt, warum der Wortführer der Brexit-Hardliner unter den Hinterbänklern, Jacob Rees-Mogg, die Premierministerin nach ihrem Sieg umgehend zum Rücktritt aufforderte. May ist ab jetzt offiziell Premierministerin auf Abruf. „Zu Weihnachten gibt’s lahme Ente“, titelte das Boulevardblatt Daily Mirror.

Zu wichtig zum Taktieren

Dass Theresa May die Tories nicht in die nächste Wahl führen will, hat sie schon öfter gesagt, aber erst jetzt scheint es einer breiteren Öffentlichkeit aufzufallen. Schon am Mittwochmorgen betonte die Parteichefin: Es geht nicht um den nächsten Spitzenkandidaten, sondern darum, wer den Brexit umsetzt. Heißt: Winkt endlich meinen Brexit durch, dann seid ihr mich los.

Allerdings ist der Brexit vielen Konservativen viel zu wichtig für solches Taktieren. Der Brexit-Deal, den May mit der EU ausgehandelt hat, ist derzeit klinisch tot, aus inhaltlichen Gründen. Mangels Mehrheitsaussichten legte May am Montag das parlamentarische Ratifizierungsverfahren auf Eis, nach jetzigem Stand bis ungefähr Mitte Januar.

Zu Weihnachten gibt’s lahme Ente, titelte der „Daily Mirror“

Wenn der Deal bis zum 21. Januar nicht ratifiziert ist, geht die Initiative für weitere Schritte an das Parlament über. Sollte weder ein neues Verhandlungsmandat für die Regierung, ein zweites Referendum oder ein Antrag auf Verlängerung der Austrittsfrist oder gar auf Absage des Brexit eine Mehrheit im Parlament finden – und nichts spricht momentan für eine Einigung auf irgendeine dieser Optionen –, verlässt Großbritannien die EU gut zwei Monate später ohne Abkommen.

EU will Backstop „entmystifizieren“

Eine Mehrheit für einen Brexit-Vertrag kann bis 21. Januar nur entstehen, wenn dem Parlament dann ein anderer Vertrag vorliegt als bisher. Die EU aber schließt jede Neuverhandlung des im November vereinbarten Deals kategorisch aus. Rechtsverbindliche Zusätze zur Befristung oder Abmilderung des umstrittenen Backstop für Nordirland, wie May sie zur Vermeidung einer dauerhaften unfreiwilligen britischen Mitgliedschaft in der EU-Zollunion fordert, will die EU keineswegs gewähren.

Die EU sei bereit, „zusätzliche Versicherungen“ zum Backstop zu geben, sagte am Donnerstag zum Auftakt eines EU-Gipfels in Brüssel Angela Merkel. Allerdings könne man das Abkommen nicht ändern. Der niederländische Regierungschef Marc Rutte sagte, die EU wolle dazu beitragen, den Backstop zu „entmystifizieren“, allerdings könne man keine rechtlichen Garantien geben, da dies den Austrittsvertrag „aufbrechen“ würde. Die bereits ausgearbeitete Abschlusserklärung des Gipfels enthält keine belastbaren Garantien für die britische Seite.

So herrscht weiter Stillstand – sowohl beim Brexit als auch bei den Konservativen. Und May darf sich weiter fragen, warum sie sich zwar durchsetzt – aber nichts umsetzt.

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6 Kommentare

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  • Der Brexit wird als fatalste Entscheidung der Engländer in die englische Geschichte eingehen - nicht so sehr wegen des Austritts an sich, sondern weil er so dilettantisch umgesetzt wurde und den Engländern, aber auch den Europäern, mehr Probleme bringen wird als vermeintliche Vorteile für England. Die Engländer, die weiterhin für den Brexit unter diesen chaotischen Umständen sind, verhalten sich wie die Lemminge. Eigentlich unfassbar, was da abläuft.

  • Es ist eine nicht enden wollende Litanei von nicht nachvollziehbaren Argumenten. Schade, dass ein einflussreicher Kommentator der taz offenbar davon überzeugt ist, die EU müsse sich bewegen. Muss sie nicht! Das Festhalten der EU am 'backstop' mag befremdlich sein, konsequent und dem Friedensprozess in Nordirland zuträglich ist es schon. Wenn GB das nicht will (dabei ist es nur ein Symptom des Schwanzes DUP, der mit dem Hund 'Tories' wedelt), dann ist die Errichtung von Grenzkontrollen auf der irischen Insel absolut folgerichtig. Da braucht niemand etwas nachzuverhandeln, sondern nur seine Hausaufgaben zu machen. ANSCHLIEẞEND kann die EU mit den Briten einen großzügigen Grenzverkehr für Personen verhandeln und bei Warenbewegungen ernst machen. Kein Endverbraucher muss Angst vor Zöllen haben, wenn die Wirtschaft in GB einbricht und die Preise britischer Waren purzeln. Vor diesem Szenario brauchen auch die Briten keine Angst zu haben, weil es ihre Währung schwächt und damit den Export beflügelt. Schwierig wird es für europäische Firmen, die vom Export nach GB leben. Sie müssen sich andere Absatzmärkte suchen. Das muss und kann die EU aushalten. In 5 bis 10 Jahren könnte GB dann - wenn noch immer gewünscht - den gleichen Status wie Norwegen erhalten.

  • "Mangels Mehrheitsaussichten legte May am Montag das parlamentarische Ratifizierungsverfahren auf Eis, nach jetzigem Stand bis ungefähr Mitte Januar."

    Was will sie eigentlich bis dahin tun? Weiter in Brüssel um Dinge betteln, die sie nicht bekommt?

    Sie soll endlich den Vertrag zur Abstimmung stellen. Wird er, wie zu erwarten, abgelehnt, muss sie schnellstens all die Maßnahmen treffen, mit denen sie schon vor einem Jahr hätte beginnen müssen. Sie muss endlich anfangen Regelungen zu treffen, wie GB ab dem 19.03.2019 funktionieren soll. Dazu dürfte sie eigentlich nicht mehr schlafen, wenn sie auch nur das Allernötigste schaffen will.

  • Wenn es einen No-Deal gibt, dann wird die Grenze zwischen Irland und Nordirland doch automatisch dicht? Ist das den Briten lieber? ...ich habe noch nicht so recht verstanden, was sie eigentlich wollen... Wissen sie wohl selbst nicht. Vielleicht mal eine realistische Alternative entwickeln als zu allem Nein zu schreieb?

    • @Frank Roger:

      Es ist so, wie es immer mit den Briten ist, seit sie in der EU sind. Sie wollen alles was Vorteile bringt, aber keine Nachteile.



      Das heißt, raus aus der EU damit sie nicht mehr zahlen müssen, aber weiter mit bestimmen. Keine Zollschranken, aber auf keinen Fall eine Zoll Union!



      Sie wollen also alles und nichts. Und Mey und ihre Regierung schaffen es nicht, den Leuten klar zu machen, entweder dieser Vertrag, oder keiner.

    • @Frank Roger:

      Na ja, im Zweifelsfall gibt es wieder krasse Gewalt in Nordirland und ne Auswanderungswelle nach Irland. Der DUP dürfte es gefallen.