piwik no script img

Ausstellung „Life in Cities“ in HamburgAuf engstem Raum

Der in Hongkong lebende Fotograf Michael Wolf zeigt in den Hamburger Deichtorhallen wie es aussieht, wenn Millionen Menschen zusammenleben.

Stadt als Fassade: Arbeit aus der Serie „Architecture of Density – Hong Kong 2003-2014“ Foto: Michael Wolf

Hamburg taz | „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten.“ Das ist so ein Satz, der vieles und nichts aussagt. Weil nicht klar ist, was mit Städten gemeint sein soll, das über den „urbanen Verdichtungsraum“ hinausgeht, weil „Stadt“ von Land zu Land unterschiedlich definiert ist, und nicht zuletzt, weil nicht gesagt wird, was es für das Zusammenleben der Menschen bedeutet, wenn sie mehrheitlich in Städten leben.

Aber egal, „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten“, das steht als Statement über „Life in Cities“, der Ausstellung des Fotografen Michael Wolf in den Hamburger Deichtorhallen, und zumindest klingt das schön weltläufig und urban.

Wolf bietet sich durch seine Biografie für das Label „weltläufig und urban“ an: geboren 1954 in München, aufgewachsen in Kalifornien und Kanada, Fotograf für Stern und Geo, lebt seit 1994 mit einer mehrjährigen Paris-Unterbrechung in Hongkong. Aber, Vorsicht, das Vorurteil oberflächlicher Urbanität führt in die Irre: Wolf studierte an der Folkwang-Hochschule in Essen bei Otto Steinert, und der stand für eine nüchterne fotografische Analyse des Alltäglichen.

Und so startet „Life in Cities“ auch: mit Wolfs Studienarbeit „Bottrop-Ebel“ von 1976, der Langzeitstudie einer unter dem schon damals spürbaren Strukturwandel ächzenden Zellensiedlung.

Momente der Zärtlichkeit

Armut, Umweltzerstörung, überraschende Momente der Zärtlichkeit finden sich in diesen Bildern, und obwohl die Aufnahmen manchmal noch nach ihrer eigenen Sprache zu suchen scheinen, manchmal auch gefährlich nahe ans Klischee geraten (Brieftauben!), findet man hier schon Motive, die auch spätere Arbeiten Wolfs prägen: den genauen Blick auf Details, einen altmeisterlichen Sinn für Bildaufbau, das Spektakel im Unspektakulären.

Gleichzeitig spürt man hier allerdings auch einen Hang zum Effekt, der den genauen Blick auf soziale Gemengelagen auszuhebeln droht

All diese Motive finden sich auch wieder in Serien wie „The Transparent City“ (2006) über die Glasarchitektur Chicagos und „Hong Kong Corner Houses“ (2005–2011), wo traditionelle (und mittlerweile vom Verschwinden bedrohte) Eckhäuser in Wolfs Wahlheimat im Zentrum stehen, einfache Nachkriegsbauten mit gemischter Wohn- und Gewerbenutzung, die immer wieder notdürftig saniert und erweitert und so zum Symbol ungeplanten Wachstums wurden.

Gleichzeitig spürt man hier allerdings auch einen Hang zum Effekt, der den genauen Blick auf soziale Gemengelagen auszuhebeln droht: Wenn in „The Transparent City“ etwa der Blick in ein Apartment fällt, wo auf einem riesigen Fernseher ausgerechnet Alfred Hitchcocks „Rear Window“ läuft, James Stewarts riesiges Teleobjektiv also auf den Betrachter zurückblickt, dann ist das ein gelungener Gag, ein Spiel mit dem Bild des Fotografen als Voyeur. Aber es ist keine Aussage mehr über die Spezifik einer bestimmten Stadt.

Zufällig vor die Kamera geraten

Der Voyeurismus erweist sich als weiteres Motiv von Wolfs Arbeit: Im Nebenprodukt „Transparent City Details“ (2006), bei dem Menschen in den Chicagoer Hausansichten vergrößert werden, bis sie in einer Pixellandschaft verschwimmen; in „Street View“ (2008–2012), Screenshots aus Google Street View, die zufällig vor die Kamera geratene Menschen zeigen, als dreckige, fiese, pixelige Störfaktoren in der Kartographierung des Alltags. Vor allem aber in „Tokyo Compression“ (2010–13), Bildern von U-Bahn-Passagieren, die in vollbesetzten Waggons gegen die Scheiben gedrückt werden und denen es sichtlich unangenehm ist, in dieser entwürdigenden Haltung fotografiert zu werden.

Zentral hängt die Serie „Architecture of Density“ (2003–2014), die inhaltlich mit „Tokyo Compression“ verknüpft ist: Wolf fotografiert hier gleichförmige Wolkenkratzer in Hongkong ohne architektonischen Anspruch als abstrakte Fassadenflächen, ohne Menschen, Himmel oder Erdboden ins Bild zu bekommen. „Architecture of Density“ ist so die Dokumentation einer mit über sieben Millionen Einwohnern massiv überbevölkerten Stadt, präsentiert als freie Hängung in der Mitte der Halle.

Die Ausstellung

bis 3. März 2019, Deichtorhallen, Haus der Photographie. Der Katalog kostet 50 Euro.

Vielleicht ist tatsächlich das mit „Life in Cities“ gemeint: die einerseits bedrückende, andererseits ästhetisch faszinierende Aufgabe, das Zusammenleben von Millionen Menschen auf engstem Raum zu organisieren. Und die künstlerischen Funken zu beobachten, die diese Organisation schlägt.

Von „Architecture of Density“ aus führt ein Weg zu ein paar installativen Arbeiten: „100 x 100“ (2006) ist der Nachbau einer neun Quadratmeter großen Wohnzelle im Hongkonger Shek Kip Mei Estate, der die liebevollen Versuche der Bewohner dokumentiert, den normierten Raum individuell zu gestalten. Ein wenig als Fremdkörper wirkt in der mehr ästhetisch als sozioökonomisch kuratierten Ausstellung die Plastikspielzeug-Arbeit „The Real Toy Story“ (2004), die an der Grenze zwischen Kunst und Fotojournalismus die Behauptung von China als „Werkbank der Welt“ weiterschreibt.

Ganz frei von Klischees ist keine dieser Arbeiten. Aber „Life in Cities“ ist so klug kuratiert und originell gehängt, dass diese Klischees nicht überspielt, sondern zum Teil des künstlerischen Konzepts werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Woher die übertriebene Angst vor dem Klischee an sich? Was könnte denn „gefährlich“ sein an (Zitat Wikipedia) „ehemals innovative[n] Vorstellung[en], Redensart[en], [...] Kunstwerk[en] oder [...] Stilmittel[n], die mittlerweile veraltet, abgenutzt oder überbeansprucht erschein[en]“? Und vor allem: Für wen?

    Ist es womöglich die drohende Blamage, die Falk Schreiber fürchtet wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser? Hat der Mann Angst davor, von Menschen attackiert zu werden, deren Lob ihm wichtig scheint? Fürchtet es, als Ewiggestriger gebrandmarkt zu werden, als einer, den die Zeit selbst überholt hat und dessen Ansichten schlicht unmodern sind aus Sicht von Leuten, die „etwas zu sagen haben“?

    Wenn ja, wieso fragt sich der taz-Autor dann nicht, ob er tatsächlich eine Kuh ist, die das Brenneisen zu fürchten hat? Kann ja gut sein, dass es mal weh getan hat, enttäuscht zu werden von Leuten, die man angehimmelt hat. Aber was soll‘s? Ist doch nicht jeder Mensch ein Kuhtreiber! Und überhaupt: Wer braucht schon Cowboys, wenn er weder Kuh ist noch Landwirt oder Metzger?

    Und noch eine Frage stellt sich mir: Was, um des Himmels willen, hätten die Kuratoren der Hamburger Deichtorhallen „klug kuratier[en] und originell []häng[en]“ sollen, wenn sie auch so viel Angst vor dem Klischee gehabt hätten wie Falk Schreiber? Ich meine: Sollte man es denn nicht den Betrachtern überlassen, die Bilder zu be- (und notfalls auch zu ver-)urteilen? Womöglich leidet ja ein großer Teil des adressierten Publikums gar nicht unter einer Klischee-Phobie. Womöglich sprechen die Bilder ja gerade deswegen zu Menschen, die ihre Brötchen nicht als Kunstkritiker verdienen, weil sie Klischees beinhalten, nicht nur ästhetische und sozioökonomische Theorien? Muss denn die Kunst tatsächlich keinerlei Beziehung schaffen?

    Ich denke, sie sollte es wenigstens versuchen. Schwer genug fällt es ihr, ich weiß. Aber es wäre doch schade um den Dialog – und um die potentiellen Eintrittsgelder...