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Frauenrechte in ItalienSchenkt dem Vaterland ein Kind

Nicht nur im Haushaltsstreit sollte die EU skeptisch auf Italien schauen. Europaweit mühsam errungene Zivil- und Frauenrechte werden zurückgedreht.

Italienische Feministinnen protestieren verkleidet im Stil der Serie „The Handmaid's Tale“ Foto: dpa

Ein Gespenst geht um in Europa und erschreckt Märkte und Regierungen: der Italexit. Noch wissen wir nicht, wie das Tauziehen um das Haushaltsgesetz und die Machtprobe zwischen der italienischen Regierung und Europa ausgehen wird. Was aber bereits jetzt passiert, unbemerkt von Europa, ist ein klammheimlicher EU-Ausstieg Italiens im Bereich der Zivilrechte. Die gegenwärtige populistische Regierung setzt ganz Italien in eine Zeitmaschine, die uns weit zurückzuwerfen droht, besonders was die Frauenrechte angeht. Ein Rechtsruck nach polnischem Vorbild, der unter aller Augen stattfindet und mindestens so sehr alarmieren sollte wie die Haushaltsfrage.

Denn auch in Italien hebt die fundamentalistische Rechte des Katholizismus ihr Haupt, und sie verfügt über beste Verbindungen in die Regierung. Den ersten Vorgeschmack gab schon die Zusammensetzung der Regierungsmannschaft: Weg mit dem Ministerium für Chancengleichheit, es gibt nun ein Ministerium für Familie und Menschen mit Behinderung.

Schon die Namensänderung bezeichnet einen präzisen kulturellen und politischen Horizont: Am Herzen liegt dieser Regierung nicht Chancengleichheit – insbesondere von Männern und Frauen –, sondern die Unterstützung des sogenannten traditionellen Familienmodells, das Frauen möglichst an den heimischen Herd zurückschickt (wo sie sich vermutlich auch um Menschen mit Behinderung kümmern sollen).

Dieser kulturelle Ansatz schlägt sich auch im vieldiskutierten Haushaltsgesetz nieder; anstelle einer seriösen Politik zur Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit und der Sozialsysteme sieht es unter anderem vor, dass Familien, die in den drei Jahren von 2019 bis 2021 ein drittes Kind bekommen, sich um ein öffentliches oder brachliegendes Grundstück bewerben können, mit Förderkredit für den Kauf einer nahegelegenen Immobilie. Schenkt dem Vaterland ein Kind, das Vaterland wird euch mit Land bezahlen!

Durchschnittlich 70 Prozent der italienischen Gynäkologen weigern sich, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen

An die Spitze des Familienministeriums wurde Lorenzo Fontana berufen. Der Mann ist davon überzeugt, dass eine fabulöse „Gendertheorie“ existiert, die für die Auflösung der traditionellen Familie verantwortlich sei. Er ist ein Gegner der Lebenspartnerschaft. Er steht der extremen Rechten von Verona nahe. Und er ist vor allem ein erbitterter Gegner des weiblichen Rechts auf Schwangerschaftsabbruch. Als solcher ist er Mitglied des ComitatoNo194 (das auch von der faschistischen Forza Nuova unterstützt wird). Es fordert nicht nur die Abschaffung des Gesetzes 194/1978 – das in Italien den Schwangerschaftsabbruch regelt –, sondern sogar Gefängnisstrafen (zwischen acht und zwölf Jahren) für abtreibende Frauen und Ärzte, die Abbrüche durchführen.

In diesem angeheizten Klima verwundert es nicht, dass in einigen italienischen Städten Anträge gestellt – und in einigen Fällen auch genehmigt – wurden, Organisationen von Abtreibungsgegnern zu unterstützen. An die Spitze setzte sich Verona, nicht zufällig Fontanas Heimatstadt, wo sich der Gemeinderat im Oktober mit 21 Jastimmen und 6 Gegenstimmen dazu verpflichtete, ultrakatholische sogenannte Prolife-Organisationen zu finanzieren, und Verona überdies zur „Stadt des Lebens“ erklärte.

Wochenendkasten 8./9. 12. 2018

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bereits heute kann das Gesetz 194 nur unzureichend umgesetzt werden. Denn die sogenannte Verweigerung aus Gewissensgründen ist weit verbreitet – und vielfach vorgeschoben: Durchschnittlich 70 Prozent der italienischen Gynäkologen weigern sich, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, mit Spitzen von 98 Prozent in Teilen des Landes. Erst kürzlich wurde ein Krankenhausarzt fristlos entlassen, weil er sich geweigert hatte, eine Frau zu behandeln, die in der 18. Woche eine Fehlgeburt erlitten hatte und dringender Hilfe bedurfte. Die Frau wäre wahrscheinlich gestorben, wenn nicht ein Kollege eingesprungen wäre, der gar nicht im Dienst war.

Das Gesetz 194 sieht zwar die Verweigerung aus Gewissensgründen vor, jedoch ausschließlich für Eingriffe, die zu einem Schwangerschaftsabbruch führen, doch es entbindet das ärztliche Personal selbstverständlich keineswegs von seiner Behandlungspflicht im Notfall. Aber wenn selbst der Papst sich erlaubt, Abtreibung mit der „Inanspruchnahme eines Auftragsmörders, um ein Problem zu lösen“ zu vergleichen, wird die Berufung auf Gewissensgründe wohl zunehmen: Wer will sich schon als Auftragsmörder fühlen?

Kein Schutz der Kinder vor häuslicher Gewalt

Während die Italienerinnen die wiederkehrenden Attacken auf das Gesetz 194 bereits gewohnt sind, kommt der jüngste Angriff auf das Scheidungsgesetz aus heiterem Himmel. Ein Gesetzentwurf zum gemeinsamen Sorgerecht des Senators Simone Pillon von der Lega diente dabei als Trojanisches Pferd. Der Entwurf will das aktuelle Scheidungsrecht ändern und soll dabei offensichtlich der Abschreckung vor Scheidungen mit Kindern dienen.

Zu den umstrittensten Vorschlägen zählen die Verpflichtung zur Mediation (kostenpflichtig, zu Lasten der Ehepartner) und die zwischen den Eltern gleichmäßig aufzuteilenden Kinderbetreuungszeiten. Damit wirft der Gesetzentwurf das Grundprinzip um, auf dem das aktuelle italienische Familienrecht beruht, nämlich das übergeordnete Kindeswohl. Mit diesem Prinzip im Hinterkopf versuchen die Richter heute die Situation der einzelnen Familie einzuschätzen und zu entscheiden, wo der „Lebensmittelpunkt“ liegt, der die Stabilität und Ausgeglichenheit des Kindes zu garantieren vermag. Heute sind es also die Eltern, die sich den Bedürfnissen ihrer Kinder unterzuordnen haben – wenn Pillons Entwurf Gesetz wird, könnten diese wie Pakete zwischen den Eltern verschoben und verhandelt werden.

Finanziert werden die ultrareligiösen, rechten Organisationen zum Teil mit beträchtlichen Geldflüssen aus Russland und Aserbaidschan

Zudem garantiert Pillons Entwurf keinen Schutz der Kinder vor häuslicher Gewalt. Er möchte nämlich das Argument der sogenannten Eltern-Kind-Entfremdung (PAS – Parental Alienation Syndrome) einführen, ein „Syndrom“, das alle psychiatrischen Vereinigungen der Welt als inexistent ablehnen und das, kurzgefasst, die Aussagen eines Kindes, das ein Elternteil des Missbrauchs bezichtigt, als unzuverlässig einstuft, da sie fast immer auf Gehirnwäsche durch den anderen Elternteil zurückzuführen seien. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass missbrauchte Kinder gezwungen sind, weiterhin mit dem missbrauchenden Elternteil Umgang zu haben (oder gar mit ihm zusammenzuleben).

Doch wer ist Simone Pillon? Ein glühender Katholik aus Brescia und Mitorganisator einiger „Family Days“. Auch er ist überzeugt von der Existenz eines Komplotts der „Gendertheorie“, das die traditionelle Familie zersetze, und vor allem ist er als Anwalt spezialisiert auf jene Mediation, die sein Gesetzentwurf verpflichtend einführen will: ein mächtiger Interessenkonflikt.

Gegen Pillons Gesetzentwurf regt sich breiter Protest, organisiert von feministischen Vereinigungen. Am 10. November demonstrierten auf 50 italienischen Plätzen Zehntausende von Frauen. Der Protest stand auch im Zentrum der großen nationalen Demonstration, die am 24. November in Rom anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen stattfand. Doch ob er Erfolg hat, ist fraglich.

Cinzia Sciuto

ist Redakteurin der Kulturzeitschrift Micromega.

Die Anzeichen für eine Wiederkehr der religiösen Rechten, die die Zivilrechte und besonders die Frauenrechte einschränken will, sind jedenfalls besorgniserregend, sie sollten Europa mindestens so sehr in Aufruhr versetzen wie die Erhöhung des Haushaltsdefizits und des Spread. Zur Diskussion gestellt (und an ihrem Ausbau gehindert) werden diese mühsam errungenen Rechte von einem dichten Netz ultrareligiöser, rechter Organisationen, die in vielen Ländern verbreitet und miteinander eng verflochten sind, von Ungarn bis Spanien, von Polen bis in die USA. Finanziert werden sie zum Teil mit beträchtlichen Geldflüssen aus Russland und Aserbaidschan, wie kürzlich eine Recherche des Wochenmagazins L’Espresso ergab.

Viele dieser Organisationen werden sich im kommenden März beim „World Congress of Families“ in Verona treffen. Ein Termin, den auch all jene im Auge behalten sollten, die verhindern wollen, dass Italien um sechzig Jahre zurückgeworfen wird.

Aus dem Italienischen von Michaela Heissenberger

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6 Kommentare

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  • Bemerkenswert, dass hier Kindererchte unter dem Thema Frauenrechte behandelt werden. Kinder haben übrigens das Recht mit beiden Elternteilen aufzuwachsen. Wenn Parteien wie die Lega dieses Recht einfordern, sehen wir wo das Versagen der angeblich fortschrittlichen Parteien liegt.

    Übrigens ist es schlichtwegs falsch, wenn die Autorin behauptet, dass PAS von allen psychiatrischen Vereinigungen der Welt als inexistent abgelehnt wird. Richtig ist, das PAS (Auf deutsch Elterliches Entfremdungs Syndrom) schrittweise in die ICD der WHO aufgenommen wurde und nunmehr in der ICD-11 unter dem Begriff Caregiver-Child Relationship (QE52.0) aufgenommen wird.

  • PAS, "ein „Syndrom“, das alle psychiatrischen Vereinigungen der Welt als inexistent ablehnen"

    Das ist eine typische Falsch-Meldung:



    "3.4.2.4. Sonderformen seelischer Misshandlung



    Eine seelische Misshandlung kann auch in einem von den Bezugspersonen so gar nicht erkannten, aber dennoch zu verantwortenden situativen Zusammenhang vorliegen:



    Einbeziehung des Kindes bzw. des Jugendlichen in bestehende Partnerkonflikte mit Anheizen eines Loyalitätskonfliktes für das Kind und damit einem Angriff auf die Bindung zum anderen Elternteil.



    Beispiel
Ein 11-jähriger Junge wird seinem inzwischen von der Mutter geschiedenen Vater, zu dem emotional eine große Hingezogenheit besteht, durch die Mutter entfremdet, indem diese ENTGEGEN TATSÄCHLICHEN Gegebenheiten von der vermeintlich durch den Vater verschuldeten schwierigen finanziellen Situation, von körperlichen Übergrifflichkeiten des Vaters in der Vorgeschichte, terrorisierenden Anrufen und dem Hass auf den Freund der Mutter berichtet."

    www.aerzteleitfade...elische-gewalt.php

  • "Zu den umstrittensten Vorschlägen zählen die Verpflichtung zur Mediation (kostenpflichtig, zu Lasten der Ehepartner) und die zwischen den Eltern gleichmäßig aufzuteilenden Kinderbetreuungszeiten."

    Damit wird lediglich EU Recht und der Stand der Wissenschaft umgesetzt - wogegen sich Deutschland immernoch wehrt.

    Schade, das ein Plus an Kinderrechten als Minus der Frauenrechte betrachtet wird ...

  • Gegenfrage. Sind wir darauf vorbereitet, wenn diese Welle zu uns herüberschwappt? Es sitzen genug "Eiferer" in den relevanten Gremien dieser Republik, vom Ehrenamtlichen in der KJG, bis hinauf zum EKD-Bundespräsidenten. Was können die Millionen Arbeitskräfte in kirchlicher Trägerschaft erreichen, wenn ihnen diese politisch gewollte Monopolstellung der Kirchen, ohne volle Arbeitnehmerrechte, zum Verhängnis wird. Gegen ihren Arbeitgeber stimmen? Würden wir die Kirchen auch weiter mit Staatsleistungen, besonderem Kirchgeld und Gratiseinzug der Kirchensteuer über das FA, unterstützen, obwohl sie im Kern am Stuhl der Demokratie sägen? Via 219a machen das christliche Parteien ja schon heute, aus religiösen Weltanschauungsgründen, Menschen die Information zu medizinischen Leistungen vorenthalten. Italien ist zwar schon deutlich weiter, aber gar nicht mal so weit entfernt!

    • @Weidle Stefan:

      Och nö, bitte kein Fake-News:

      www.lto.de/recht/h...steuer-einzug-fdp/

      "Die Kirchen zahlen den Ländern dafür einen kostendeckenden Betrag in Höhe von zwei bis vier Prozent der Kirchensteuer [...]"

      Und das für die Berechnung von



      x = Steuer*0.09

  • Zitat: „Schenkt dem Vaterland ein Kind“

    Super Idee! Aber Achtung: Schenkt eurem Vaterland nicht irgendein Kind. Schenkt ihm eins (oder auch zwei, drei oder vier, notfalls sogar behindert), die ihr so sehr liebt, dass sie dem Vaterland Beine machen, wenn es sie nicht zu schätzen weiß!

    Wie wäre es, würden „die Italiener“ Lorenzo Fontana zeigen, dass die „Gendertheorie“ nicht nur „existiert“ sondern sogar funktioniert – und dass sie nicht zur Auflösung der traditionellen Familie führt, sondern zu ihrer Stärkung? Ob Lorenzo Fontana nachher glücklich ist mit starken italienischen Familien, muss „die Italiener“ ja nicht unbedingt kümmern. Der Mann hat ihnen zu dienen, nicht umgekehrt. Überhaupt: Das Wichtigste ist ja wohl, Europa lebt – und Italien bleibt ein selbstbewusster Teil davon.

    Merke: Es ist keine Frauenpflicht, Kinder zu kriegen. Schon gar keine, Vater Staat mit Kanonenfutter zu beliefern. Es ist ein Menschenrecht, Kinder zu bekommen. Kinder, die ihr Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Selbstbestimmung entschieden einfordern. Bitte, erklärt das doch mal jemand Cinzia Sciuto. Und zwar so, dass es verständlich wird. Sieht ja fast aus von hier, als hätte Cinzia Sciuto Angst vor der eigenen Courage...