piwik no script img

Kommentar Brexit-RücktritteKurz vorm Kollaps

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Theresa Mays Kabinett fliegt ihr nach und nach um die Ohren. Das liegt auch an ihrer widersprüchlichen Inside-Out-Politik in Sachen Brexit.

Wer steht noch hinter May? Bei ihrem Statement am Mittwochabend jedenfalls niemand Foto: ap

I st es der Durchbruch – oder eine Totgeburt? Der Brexit-Deal, den die EU und die britische Regierung ausgehandelt haben, wirbelt die britische Politik so kräftig durcheinander, dass an diesem Donnerstagvormittag völlig unklar ist, was am Ende des Tages noch davon übrig sein wird.

Zwar hat das britische Kabinett nach einer Mammutsitzung am Mittwoch dem kontroversen 585-Seiten-Dokument zugestimmt. Aber Donnerstagfrüh hat der für seine Umsetzung zuständige Brexitminister Dominic Raab sein Amt niedergelegt, weil er es nicht mitträgt – und er ist nicht der einzige.

Die Auswirkungen dieser politischen Erschütterung dürften erheblich sein. Schon zum zweiten Mal in vier Monaten tritt ein Brexitminister zurück, sobald die britische Premierministerin einen Brexit-Plan durchs Kabinett drückt. Und anders als sein glückloser Vorgänger David Davis gilt Dominic Raab als einer der klügsten und umsichtigsten Köpfe der britischen Politik.

„Durchgewunken“, wie manche deutsche Medien berichten, wurde der Deal von Theresa Mays Kabinett ohnehin nicht. Es gab am Mittwochabend eine lange, kontroverse und Berichten zufolge zeitweise hitzige Diskussion. Raab war ein Wortführer der Kritiker. Nun hat er die logische Konsequenz gezogen: May braucht einen Brexit-Minister, der hinter dem Deal steht, nicht einen, der ihn eigentlich ablehnt.

Die Grenze zu Irland darf nicht alles bestimmen

Das Problem dürfte sein, dass in der britischen Politik kaum jemand wirklich hinter dem Deal steht. Die Idee, Großbritannien in einer Zollunion mit der EU zu belassen, aus der London nicht mehr austreten darf, ist rational nicht zu verteidigen: das Land verlöre durch einen solchen Brexit mehr Souveränität, als es gewänne.

Grund für dieses absurde Konstrukt ist die Sorge um die Grenze zur Republik Irland – dieses Problem ist real, aber man muss es für sich lösen und ihm nicht sämtliche andere Aspekte der britischen Beziehungen zu Europa in einer Weise unterordnen, die gar keinen Sinn ergibt.

Theresa May rechtfertigt sich mit der Hoffnung, dass es dazu nie kommt, weil sie mit der EU sowieso ein Freihandelsabkommen aushandeln will. Aber abgesehen davon, dass man sich nach den bisherigen Erfahrungen durchaus Sorgen um den möglichen Inhalt eines von May ausgehandelten Freihandelsabkommens machen darf, wiegt ein vages Versprechen für die Zukunft nicht ein reales Desaster in der Gegenwart auf. Wer ein rechtskräftiges Abkommen in der Hoffnung unterschreibt, kontroverse Paragraphen davon nie anwenden zu müssen, sollte davon lieber gleich die Finger lassen.

Das einzige, was May noch Loyalität in ihrer konservativen Partei verschafft, ist die Angst vor einem Zusammenbruch der britischen Regierung und erneuten vorgezogenen Neuwahlen. Aber das ist kein Grund für einen widersprüchlichen Inside-Out-Brexit, der dazu noch den eigenen Laden auseinanderfliegen lässt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Brexit Verhandlungsverlauf wirkt auf mich, wie dass Narrativ über britisch-französisch-israelisch, anfänglich von britischen Medien enthusiastisch gefeiert, dann im Ergebnis gescheiterter Versuch, 1956 mit einer Militärintervention die Suez Kanal Zone zu besetzen, weil der ägyptische Präsident Nasser die britisch-französische Suez AG Kanalgesellschaft verstaatlicht hatte. Im damals pberwiegend immer noch rechtspopulistisch militaristisch kolonialistisch gesinnten Europa galt die Militärintervention als Selbstverständlichkeit. Die Internationale Lage bildete allerdings im Kalten Krieg übergeordnet andere Balance Verhältnisse ab. In Kairo, Peking, Moskau, Washington D.C. in der NATO wurde das militärische Vabanquespiel anders gesehen. US-Präsident Dwight D. Eisenhower pfiff, abgestimmt mit sowjetischem Staatsratschef Nikita Chruschtschow Moskau, Truppen des britischen Premierminister Athony ,französischen Präsidenten René Coty sowie israelischen Präsidenten Jizchak Ben Zwi in heimatliche Kaernen zurück.



    Steht 2018 für das United Kingdom nicht viel mehr auf dem Spiel als der Erfolg bzw. Ausbleiben des Brexit, nämlich drohende Implosion Commonwealth of Nation mit der britischen Krone als Scharnier, Vermächtnis unhaltbar assoziierter Steueroasen der Karibik, Kanalinseln, als ginge es darum auf der Flucht vor eigener Geschichte, deren unverantworteten Hinterlassenschaften der UdSSR Implosion 1991 zum Bilde zu verfahren? In Brüssel weiß man das und handelt wie selten gemeinschaftich im Einklang nach der Devise "Reisende soll man nicht aufhalten"



    Bei allem Gerede über britische Nordirland Interessen werden Interessen der Länder unter dem Commonwealth of Nation vDach in Brüssel ausgeblendet, die durch einen Premierministerin Theresa May Brecit Verlauf endgültig ohne Satisfaction, Ausgleichs out of Order geraten.



    Da frage ich, ob der Brexit, sein Scheitern nicht genau das Kollapps Ziel Londons ist, sich, wie Moskau 1991, aus historischer Verpflichtung lösen zu wollen?

  • Der Deal ist in der Tat ein äußerst seltsames Konstrukt. Man kann verstehen, dass die britische Regierung umbedingt in einer Zollunion unter anderem Namen bleiben wollte, nicht nur aber auch in Hinblick auf die nordirische Grenze, aber dieses Abkommen ist eine Scheinlösung. In typischer May-"kicking the can down the road a little further"-Manier werden die kritischen Fragen einfach in ein noch zu schaffendes Komitee ausgelagert, wo sie in zwei Jahren wieder auftauchen würden. In einem Konstrukt, dass weder die EU noch UK ohne die Zustimmung des anderen verlassen könnten. Ein solcher Status wäre tatsächlich demokratiefeindlich, womit die Brexiteers genau das erreicht hätten, was sie zuvor fälschlicherweise über die EU-Mitgliedschaft behauptet hatten. Die EU hätte sich nicht auf so eine solche Hängepartie einlassen sollen.

    P.S.: Die Meinung, dass Raab, der offenbar erst vor zwei Wochen gelernt hat, dass GB als Insel tatsächlich abhängig vom Schiffsverkehr Calais-Dover sei, eine der "umsichtigsten Köpfe" in der britischen Politik sei, geht wirklich zu weit. So groß das Versagen der britischen politischen Klasse auch war in den letzen Jahren, Raab war dennoch einer ihrer faulsten Äpfel, der sogar das Kunsttück fertigbrachte seinen Vorgänger auf der nach unten offenen John-Redwood-Unehrlichkeits-Slala zu unterbieten. Die Einschätzung hat der Autor wohl recht exklusiv.

    • @Alexander Radtke:

      Verzeihung, bei einer Unerhlichkeits-Skala würde er ihn natürlich überbieten. Man kann Raab jedoch zugestehen, dass er den Job zumindest etwas ernster genommen hat und nicht ganz so nonchalant bis faul dabei agierte wie Davis.

  • Erstaunlich, dass von den ehemaligen Vorantreibern des Brexit, wie Nigel Farage, Boris Johnson u. a., kaum etwas zu hören ist.



    Oder auch nicht: Eine gewisse Bauernschläue sagt ihnen wohl, dass ihr „Ruhm“, den Brexit in Gang gesetzt zu haben, nur ramponiert werden kann, wenn sie sich selbst an die tagespolitische Detailarbeit machen. Mögen doch Andere die von ihnen eingebrockte Suppe auslöffeln. Farage & Co. werden allenfalls noch bei der Suche nach Sündenböcken behilflich sein, wenn der Karren (erwartungsgemäß) vor die Wand fährt.



    So wie man das von Populisten kennt!

  • Yep, ein meiner Meinung nach sehr guter und zutreffender Kommentar.

    Wobei man vielleicht noch dazufuegen koennte dass der Grund dafuer dass May das Nordirland-Problem nicht anders loest ist dass ihre Minderheitsregierung von den nordirischen Unionisten toleriert wird.

    Und es sagt auch einiges ueber May's Verhandlungsgeschickt aus dass obwohl sie bereit war saemtliche anderen Aspekte der britischen Beziehungen zu Europa unterzuordnen sie trotzdem es nicht geschafft hat die nordirischen Unionisten zufrieden zu stellen. Womit wir wieder bei den Sorgen um den moeglichen Inhalt eines von May ausgehandelten Freihandelsabkommens waeren...