Politikforscher zur Lage nach Brexit-Plan: „May hat keine Mehrheit“
Matt Bevington von der Forschungsgruppe “The UK in a Changing Europe“ erklärt, was nach der Billigung des Entwurfs zum Brexit-Abkommen passieren kann.
taz: Herr Bevington, Sie haben den Ratgeber „Brexit-Endpiel“ über die Prozeduren des Brexit-Prozesses herausgegeben. Was sind jetzt die nächsten möglichen Schritte und Szenarien?
Matt Bevington: Wichtig ist zu verstehen, dass Artikel 50 der EU-Verträge einen Austritt nach zwei Jahren auch dann bedeutet, wenn es keinen Deal gibt. Deswegen tut die Regierung alles, um eine „No-Deal“-Situation zu verhindern. Als nächstes wird die Regierung am 25. November beim Treffen mit dem Europäischen Rat einen Vorschlag zur Austrittsvereinbarung machen, über den die beiden Seiten sich dann einigen können. Hier könnten auch einige Veränderungen aufgeführt werden. Wahrscheinlich wird danach am 10. Dezember der gesamte Plan dem Parlament vorgelegt. Derzeit ist noch unklar, ob die Abgeordneten erst nur mit Ja oder Nein stimmen und Änderungen erst danach möglich sind, was der bevorzugte Weg der Regierung ist, oder ob Änderungsvorschläge schon während der Debatte möglich sind.
Was passiert, wenn das Parlament den Deal ablehnt?
Dann wird die Regierung versuchen, ihn nach der Winterpause nochmal vorzulegen. Es mag sein, dass der Zeitdruck, die Gefahr eines Verlassens der EU ohne Deal und die Stimmen aus der Geschäftswelt dann zu einem positiven Resultat für May führen.
Welche Gefahren gibt es dabei für Theresa May?
Die Hauptgefahr ist, dass sie nicht genug Stimmen im Parlament haben wird. Rein mathematisch hat May keine Mehrheit, es sei denn Abgeordnete fürchten das No-Deal-Szenario in einer zweiten Abstimmung.
Und wenn das Parlament zustimmt?
Nach der Bewilligung in Westminster wird das Europäische Parlament den Beschluss absegnen müssen. Der Zeitplan hierfür wird sich je nach den britischen Entwicklungen verschieben. Danach muss im britischen Unterhaus noch ein Austrittsgesetz verabschiedet werden. Dies ist im Grunde ein bürokratischer Schritt, man kann damit den Prozess aber auch zu untergraben versuchen.
Matt Bevington ist Politkforscher in der Forschungsgruppe “The UK in a Changing Europe”
Könnte das Parlament May stürzen?
Falls der Deal am 10. Dezember nicht verabschiedet wird, könnte May am Tag darauf das Misstrauen ausgesprochen werden. Hierbei ist es wichtig, wie viele Stimmen es aus dem eigenen Lager gegen ihren Plan gibt. Wenn es nur ein paar sind, kann May Konzessionen machen, wenn es über 50 sind, wird ihre Position schwer zu halten sein. Ein generelles Misstrauensvotum kann nur durch den Oppositionsführer ausgerufen werden und bedarf einer Zweidrittelmehrheit. Dann hätte die Regierung zwei Wochen Zeit, eine alternative Führung aufzustellen. Neuwahlen gibt es nur, wenn das nicht klappt.
Und die eigene Partei?
Es gibt auch die Möglichkeit eines Misstrauensvotums innerhalb der konservativen Partei. 15 Prozent der Fraktion müssen das anfordern, das sind 48 Abgeordnete, und dann gibt es eine Abstimmung in der Fraktion. Zuletzt kann Theresa May selbst das Handtuch werfen oder die Opposition auffordern, ein Misstrauensvotum gegen sie anzusetzen.
Wie sehen Sie Mays aktuelle Position?
Die Premierministerin hat ein hohes Maß an Kontrolle, denn sie kann den Zeitplan der Abstimmungen bestimmen. Das größte Problem sind die Rücktritte, die sie derzeit hinnehmen muss. Übrigens kann die Regierung auch eine Verzögerung des Artikels 50 anfordern, um sich mehr Zeit zu geben. Diese Verlängerung bedarf jedoch die Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedstaaten, was eine ziemlich hohe Hürde ist.
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