piwik no script img

Debatte Große Koalition vor Hessen-WahlPolitik als Speeddating

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Leute sagen, es gehe ihnen gut. Die Groko macht Politik wie angekündigt. Woher kommt also der große Zorn auf die Volksparteien?

Keine Experimente: Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles (v.l.) Foto: ap

W enn man die Deutschen fragt, dann sagen die meisten, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht. Zudem glauben sie, dass es morgen noch besser wird. Die Ängste um den Job und vor der Zukunft sind zwar in der unteren Mittelschicht ausgeprägter als weiter oben, wo, laut einer Allensbach-Umfrage, schönste Sorglosigkeit herrscht. Aber auch unten bangt nur ein Viertel um den eigenen Job. Da ist nichts von german angst, nichts von jener ambivalenten Lust am Untergang, die den Deutschen oft bescheinigt wurde.

Die zukunftsfrohe Zufriedenheit, die Demoskopen schon seit Längerem messen, steht in merkwürdigem Kontrast zum Wahlverhalten. Die BürgerInnen mögen die Regierungsparteien, Union und SPD, nicht mehr. Sie stürzen sie von einer Krise in die nächste. Die Umfragen, die zurückliegende Wahl in Bayern und wohl auch die kommende in Hessen weisen in die gleiche Richtung. Der Verdruss über die staatstragenden Volksparteien, die doch jahrzehntelang für rationale, berechenbare Politik sorgten, ist massiv.

Ja, Seehofers Ego-Chaos-Kurs in der Flüchtlingspolitik, die Maaßen-Affäre, Merkels Getrickse beim Diesel katalysieren diese Stimmung. Aber sie sind die Verstärker, nicht der Grund. Konfuse Starts von Regierungen gab es schon öfter, etwa bei Schwarz-Gelb 2009 oder bei Rot-Grün 1999. Doch noch nie war der Missmut so gewaltig.

Dabei ist die Bilanz der Groko nicht überraschend miserabel. Sie versagt beim Klimaschutz, ihr fehlt der Mumm, sich mit der Autoindustrie anzulegen und auch für eine schwungvolle Unterstützung für Macrons EU-Reform. Aber wen wundert das wirklich? Diese Regierung funktioniert, wenn man die hysterischen Anfälle der CSU mal beiseite lässt, ziemlich genau so, wie es im Prospekt stand. Die SPD sorgt dafür, dass Kitas ein paar Milliarden mehr bekommen, die CDU für ein paar Tausend Pflegekräfte mehr und päppelt mit dem Baukindergeld die Mittelschicht. Durchschnittsverdiener müssen weniger Sozialabgaben zahlen und bekommen mehr Kindergeld. Keine großen Ideen, dafür kleinteiliges, ordentliches Handwerk. Genau dies war das lange unschlagbare Erfolgsrezept von Angela Merkel. Woher also der Zorn?

Rapider Wechsel von Zu- und Abwendung

Zum einen zeigt sich, was schon seit Jahren eine Binsenweisheit ist. Die Bindungen an die Parteien sind lockerer geworden. Die Frustschwelle ist niedriger, die Bereitschaft zum Wechsel höher. Ein wenig verhalten sich die BürgerInnen wie jemand, der das Zalando-Päckchen zurück zur Post bringt, weil die Hose in echt doch etwas langweilig aussah. Das ist nicht neu. Schon bei dem in Vergessenheit geratenen Hype um die Piraten war diese Flüchtigkeit, ein rapider Wechsel von Zu- und Abwendung, zu bestaunen. Politik als Speeddating.

Davon profitieren derzeit die Grünen, die sympathischerweise gar nicht so tun, als würden sie verstehen, was ihnen da widerfährt. Sie sind ja eher Projektionsfläche für diffuse oder widersprüchliche Wünsche als der sichere Hafen, in dem die Enttäuschten für die Zukunft andocken. Würden die Grünen derzeit in Berlin mitregieren, sie könnten von Ergebnissen wie in Bayern und Hessen nur träumen.

taz am Wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Also alles nur kurzatmige Stimmung, ein Wolkenbild, das der rasch wechselnde Wind demnächst in die andere Richtung jagt? Muss Merkel das nur stoisch wie immer aussitzen? Falsch. Einfach weiter kleinteilig Gesetze zu machen, wird nicht reichen. Die ewige Merkel, die SPD, die zwischen bravem Mitregieren und Leiden pendelt – man hat all das zu oft gesehen. Es ist wie bei einer alten Bekanntschaft, die zerbricht: Was früher beruhigend vertraut wirkte, scheint wie zähe, nervende Wiederholung.

Ob es besser wird, wenn die SPD die Regierung in die Luft jagt, wenn Merkel abtritt oder wenigstens ihren Abgang ankündigt – das weiß niemand. Aber sicher ist: Wenn einfach alle bleiben, die angeschlagene Merkel, die nervöse CSU, die hadernde SPD, dann geht die Agonie weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Sylvi's schlechte Herbstinterviews für die 'tageszeit'. Nr. 8



    Sylvi: 'Frau Dr. Merkel ...'



    Merkel: 'Danke, möchten Sie noch eine Tasse Tee ...'



    Sylvi: 'Nein, danke. Frau Dr... seit diesem Sonntag neigt sich ihre Amtszeit doch jetzt überraschend schnell einem Ende zu ...



    Merkel: 'Wie bitte? Ich verstehe Sie nicht'



    Sylvi: 'Sind jetzt die Ergebnisse Ihrer gut 13 Jahre Amtszeit eigentlich auch für die Katz' gewesen?'



    Merkel: 'Wissen Sie, ich tue das eigentlich sonst nie, aber ich möchte dieses Interview gerne abbrechen'.



    Sylvi: 'Schade, es wäre das letzte Interview für Sie als Bundeskanzlerin gewesen, schade eigentlich...'

  • Von den ganzen zuletzt genannten Alternativen verspreche ich mir ebensowenig wie von Neuwahlen.

    Wenn das Agonie ist, ist das auch okay. Es wird zumindest zur Zeit nix wesentlich schlimmer wie es schon ist. Ich fand auch die Zeit, als noch gar keine Regierung bzw nur die geschäftsführende im Amt war, ganz okay.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Meine Ratlosigkeit hält sich in (engen) Grenzen. Seit es Automaten gibt, die mir das Denken abnehmen (Wahl-o-mat), ist doch alles in Butter.

    Bei der Briefwahl zur Hessenwahl war das äußerst hilfreich. Es zwingt mich ja noch keiner dazu, das Kreuz dahin zu machen, wo es der Wahl-o-mat mir souffliert.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Und es soll ja auch Wähler geben, da kommt das heraus, was sie sowieso wählen wollen.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Sven Günther:

        In der Tat. So riesig waren die Abweichungen zwischen Wahl-o-mat und mir nicht. Die Ergebnisse haben mir immerhin geholfen, meine Erststimme einer anderen Partei zu geben als meine Zweitstimme.

  • Passen wir lieber auf, dass da nicht klammheimlich Jemand befindet, dass es besser wäre, wir würden wieder in Angst leben, der Steuerungsmöglichkeiten wegen.

  • "Die Ängste um den Job und vor der Zukunft sind zwar in der unteren Mittelschicht ausgeprägter als weiter oben, wo, laut einer Allensbach-Umfrage, schönste Sorglosigkeit herrscht. Aber auch unten bangt nur ein Viertel um den eigenen Job."

    Also alles in schönster Ordnung?

    Mir fehlen in dieser m. E. "Beschönigung" der Realität durchaus aktuelle Zahlen über die unterste Schicht unserer Bevölkerung.



    Wie groß die tatsächliche Armut ist, und vor allem wie viele Menschen inzwischen in Armut leben.



    Liege ich mit "meinen" 13 Mio. Bundesbürgern, die von etwas mehr oder weniger AlG2 leben müssen, richtig, oder ist es auch da ach soo viel besser geworden?

    Ist aber wahrscheinlich eh nicht wichtig…

    • @Frau Kirschgrün:

      Was meinen Sie mit „tatsächlicher“ Armut? Absolute oder relative Armut? Die 13 Mil. dürften der Armutsquote von 2012?, basierend auf relativer Armut entsprechen. Absolute Armut sollte in Deutschland durch staatliche Leistungen zum Lebensunterhalt grundsätzlich ausgeschlossen sein. www.bpb.de/politik...bedroht-28-03-2012

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        Absolute Armut ist aber nicht ausgeschlossen. Sie wird lediglich von vielen verleugnet. Einfach nur wegschauen.

        Das Leben ist halt etwas anderes als eine Statistik.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Wie wunderbar Sie das Konditional „sollte“ in meinem Beitrag wiedergegeben haben.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Kommentar entfernt. Bitte verzichten Sie auf pauschale Unterstellungen. Danke, die Moderation

    • @Frau Kirschgrün:

      "Aber auch unten bangt nur ein Viertel um den eigenen Job."

      Wenn 1/4 abgetan wird mit "NUR ein Viertel", dann scheint Armut und Zukunftsangst ja kein Problem zu sein. Mich erinnert einiges heute an die sogenannten GOLDENEN ZWANZIGER. Golden war das nur für die Oberschicht und die Lemuren. Die machten Party und dachten "Scheiß drauf".

      • @Rolf B.:

        Dass der Mensch dermaßen unfähig zu sein scheint, aus den Erfahrungen der Vorderen zu lernen oder auch nur durch gutes Zuhören in der Gegenwart die notwendigen Schritte daraus abzuleiten, frustriert mich schon mächtig.

        Alles wie ein großer Wiederholungszwang (naja, deswegen heisst's ja Zwang):



        Wirtschaftskrise, die Reichen kassieren (haben durch dieses Kassieren die Wirtschaftskrise ausgelös, die Kleinen zahlen, Arbeitslosigkeit, Rechtspopulisten übernehmen das Ruder, die Armen sterben – wenn sie Glück haben. Vielleicht gibt's aber wider besseren Wissens sogar Krieg. Uschi – dazu beauftragt – arbeitet ja m. E. daran…



        Denken und Hinterfragen des eigenen Handelns scheinen keine als nötig und gegeben angesehene menschlichen Eigenschaften zu sein…

        • 9G
          91672 (Profil gelöscht)
          @Frau Kirschgrün:

          Sie fassen die menschlichen Schwächen und die Lernunfähigkeit des Menschen sehr gut zusammen.



          Was könnten wir machen?



          Morgen ist eine Wahl in Hessen. Eine Möglichkeit, Ihren Rat: 'Denken und Hinterfragen des eigenen Handelns' umzusetzen?

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Frau Kirschgrün:

          Theodor W. Adorno hatte dazu schon vor einem halben Jahrhundert eine passende Idee zum Thema. Es käme darauf an, sich weder von der Macht der Anderen noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen.

          Auch heute ist dies noch immer aktuell, wie ich an mir selbst feststellen kann.

        • @Frau Kirschgrün:

          angeseheneN

  • Der Artikel ist ja nahezu sublim. Der Wähler, als ob es keine Unterschiede gäbe, der Wähler, als ob jeder Bürger vollständig die identischen Vorstellungen und Wünsche hätte, der Wähler, als ob er aus unerfindlichen Gründen seine Gunst wie eine"Wanderhure" verteilen würde, der Wähler, als wäre er ggf. undankbar, der Wähler, als sei er nur launisch, der Wähler, unergründbar die ein "Geheimnis" der Cheops-Pyramide, der Wähler weiß einfach nicht was er in seiner (angeblich) gemessenen guten Stimmung mit sich angfangen will.



    Na geht's denn noch?! Entschuldigung, den letzten "Hartmann" inhaltlich zur Kenntnis nehmen (Buch) hilft hier durch die "Druckerschwärze" des vorliegenden taz-Beitrages.

    Verzeihung, eventuell verstehe ich den Artikel auch nur falsch.

    Das Land, eher die Welt, sind durch die sozialen Zerwürfnisse, begleitet von der Einsicht, dass Wahlen aufgrund vieler Gründe, nichts mehr ändern. Das ist kein Ender der Demokratie, wenn man etwas tut, sondern eine Frage ihrer Organisation und des Willens der Machthaber, sich wieder mit den Menschen als humane Gesellschaft im Ganzen zu befassen.



    Politik für die oben zwei Prozent reicht nicht mehr - trickle down war gestern, und hat noch nie funktioniert.

  • "Keine großen Ideen, dafür kleinteiliges, ordentliches Handwerk. Genau dies war das lange unschlagbare Erfolgsrezept von Angela Merkel. Woher also der Zorn?"

    Mal abgesehen davon, dass das Handwerk durchaus nicht immer ordentlich war und ist. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt rapide ändert. Da reicht es nicht, ein paar kleine Schritte zu gehen. Das Land bracht dringend Politiker, die die Herausforderungen der Zukunft anpacken, statt sie nur zu streicheln. Immer mehr Bürger spüren das.

    Dazu kommt, dass sich die Wähler immer weniger verschaukeln lassen wollen. Oder wie soll man sonst den jüngsten Vorstoß der Mutti zum Thema Diesel einordnen?

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Zitat: 'Es ist wie bei einer alten Bekanntschaft, die zerbricht: Was früher beruhigend vertraut wirkte, scheint wie zähe, nervende Wiederholung'.



    Was sollen wir machen? Den vom Körpergewicht her der Merkel ähnlich potenten Altmaier auf den Thron setzen? Oder gleich eine Radikalkur mit Daniel Günther, einem wiederbelebten Seehofer und der Psychologin Kramp-Karrenbauer. Sollen wir auch gleich wieder die Sozialdemokraten aus der Kiste holen mit dem Kühnert.



    Ich weiß nicht, was wir machen sollen. Wer sagt uns, was wir machen sollen?

    • @91672 (Profil gelöscht):

      "Wer sagt uns, was wir machen sollen?"

      Wenn man "uns" sagen muss, was wir machen sollen, ist es schon zu spät...

    • @91672 (Profil gelöscht):

      Wie wäre es damit: Überlegen, was man möchte und nach Priorität sortieren. Gucken wer die eigenen Interessen am besten vertritt. Diese Partei wählen. Aber dann auch wirklich! Nicht von wegen: Hmm... die sind zu links, die zu öko. Parteien wählen, die mutige Lösungen für die Probleme anbieten.

      • 9G
        91672 (Profil gelöscht)
        @Michi W...:

        Gute Antwort. Das sollten wir machen.

        • @91672 (Profil gelöscht):

          Richtiger gesagt: das MACHEN wir...