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Kommentar über Vorwürfe gegen Hamburger KitaDie Empörungsmaschinerie rattert

Friederike Gräff
Kommentar von Friederike Gräff

Einer Kita in Hamburg wird Diskriminierung vorgeworfen und die Medien springen darauf an – ohne Reflexion, ohne Recherche. Sie bedienen Ressentiments der Leser.

Fast alle reihen sich ein: Medien werfen Kita unreflektiert Diskriminierung vor Foto: dpa

E in Elternpaar stößt in der Broschüre einer Hamburger Kita auf den Satz „Von den Familien mit Migrationshintergrund nehmen nur wenige unsere Betreuung in Anspruch“ und wendet sich damit an die Presse. Es sei migrantenfeindlich, mit eben diesem Sachverhalt zu werben. Die Presse greift den Vorwurf auf, bezeichnet das Verhalten der Kita als „asozial“, in den sozialen Medien empört man sich ebenfalls, die Kita erhält anonyme Schmähmails. Grundtenor der Empörung: die Elite bliebe unter sich, Integration würden nur die anderen leisten.

Es ist eine Empörungsmaschinerie, die einem Pawlowschen Reflex gleicht – sie kommt ohne Reflexion aus. Hätte irgend jemand die Broschüre zu Ende gelesen, wäre er auf die Passage gestoßen, dass Kinder jeglicher Herkunft in der Kita willkommen sind. Hätte sich jemand über den städtischen Träger informiert, hätte er oder sie erfahren, dass sie in nahezu allen Stadtteilen vertreten sind – auch in denen mit hohem Migrationsanteil. Medien haben schon immer mit Emotionen gearbeitet, es enthebt sie nicht der Pflicht der Recherche.

Die Treibjagd auf eine mutmaßlich diskriminierende Kita unterscheidet sich strukturell nicht von der auf die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration: In beiden Fällen bedient ein mäßig gut begründeter Vorwurf die Ressentiments der LeserInnen. Bei der Kita-Debatte zielt er auf die reichen Vorortler von Hamburg. Sie als die eigentlichen und einzigen Verhinderer von Integration zu brandmarken, ist ein bisschen zu schlicht.

Die Mittelschicht zieht, da, wo sie es kann, ebenso ihre Mauern hoch. Die Ummeldungen, um das eigene Kind auf die richtige Schule im richtigen Umfeld zu bringen, finden unübersehbar in den Stadtteilen statt, wo die Mittelschicht zu Hause ist – und, anders als die Vorortler, gelegentlich unbeabsichtigt in die Nähe bildungsfernerer Milieus rückt. Und noch ein Blick vor die eigene Haustür: Die Redaktionen der bundesdeutschen Zeitungen, inklusive der taz, sind nach wie vor fest in der Hand der biodeutschen, bildungsbürgerlichen Mittelschicht. Homogener geht es kaum.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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6 Kommentare

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  • Danke.

  • Die Passage klingt komisch. Es geht ja nicht darum, ob das den Tatsachen entspricht, sondern ob dies in einer Werbebroschüre geschrieben werden sollte.



    Womit Frau Gräff jedoch recht hat, ist die Empörungsmaschine. Sie dreht recht selektiv bei Kleinigkeiten los. Wer sich ihr entgegen stellt, wird nicht selten überrollt. Einer offenen Diskussion ist das eher abträglich. Andere, häufig gröbere Verstöße gegen ähnliche Werte finden kein Gehör.



    Fast meint man, das wäre Empörungs-Unterhaltung. Wie im Reality-TV wird einfach eine "Sau" durchs Dorf getrieben. Dabei ist nicht die Relevanz des Missstandes, sondern die Schlichtheit der Darstellung wesentliches Selektionskriterium.



    Es ist gut, wenn sich die taz von solchen Tendenzen distanziert und ein wenig mehr zur journalistischen Gelassenheit zurück zu kehren.

  • Also die Formulierung ist implizit sehr eindeutig. Dass die Kita das praktisch vielleicht gar nicht gemacht hat? Nun ja, ich habe Verwandte die dort waren und von Rassismus und Ausgrenzung war nie die Rede. Aber vielleicht waren sowieso kaum Ausländer da, die man hätte rausmobben müssen. Vielleicht waren die wenigen bunten Flecken eben auch genauso gering, dass sie sich gut machten. Der Träger ist auf jeden Fall unverdächtig - was das Thema angeht, jedenfalls oberflächlich und er beschäftigt auch viele MigrantInnen. Unter der harmonischen Oberfläche sieht es auch da nicht so toll aus. Allerdings ist diese Story hier wohl etwas überzogen. Aber sie zeigt eben auch, wie extrem die Unterschiede jetzt schon sind, je nach Wohnort. Und bei der Kita fängt es an, über Sportvereine und Schulen geht die geheime Auslese immer weiter.

  • Zitat: „Die Treibjagd auf eine mutmaßlich diskriminierende Kita unterscheidet sich strukturell nicht von der auf die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration: In beiden Fällen bedient ein mäßig gut begründeter Vorwurf die Ressentiments der LeserInnen.“

    Dass Treibjagten derzeit einen so miesen Ruf haben, hat Gründe.

    Ursprünglich waren Treibjagden nicht dem Adel vorbehalten. Die ersten Treibjäger waren Leute, die noch keine Viehzucht betrieben haben. Sie haben nicht zum Vergnügen gejagt, sondern um sich den Hunger vom Hals zu halten. Hätten sie sich nicht zusammengetan und richtig Krach geschlagen, wäre die Menschheit vielleicht schon vor 15.000 Jahren ausgestorben und bräuchte nicht von den Folgen des Klimawandels dahingerafft werden.

    Treibjäger gibt es auch im Tierreich. Delphine etwa jagen in Trupps, die sich die Fische zutreiben. Problematisch werden Treibjagden immer dann, wenn sie a) aus reiner Freude an der Verfolgung abgehalten werden, und wenn sie sich b) gegen wehrlose Menschen richten. Bei der in England beliebten Fuchsjagd ist das beispielsweise der Fall oder bei der von Bluthunden unterstützten Suche nach entlaufenen Sklaven im Amerika des 19. Jahrhunderts.

    Das Bamf ist weder ein Fuchs noch ein entlaufener Sklave. Es ist ein Machtinstrument. In sofern macht es schon einen gewissen Unterschied, ob Zeitungen eine „Treibjagd“ auf das Bamf abhalten oder eine auf, sagen wir, Flüchtlinge, die vor dem Bamf Schlange stehen. Ressentiment ist nämlich nicht gleich Ressentiment.

    Die Menschenrechte müssen für alle Menschen gelten, sonst sind sie keine. Wer künstliche Hierarchien etabliert, der untergräbt den Zusammenhalt der Gesellschaften. Er verhindert, dass Menschen im Sinne einer Sicherung der Zukunft zusammenarbeiten. In solchen Fällen wird der ursprüngliche Sinn von Treibjagden in sein genaues Gegenteil verkehrt. Die zum Un-Sinn verkommene Treibjagdt verdient dann jedes Ressentiment, das sie von irgendwo her kriegen kann.

  • Fragen: 1. Warum hält es die Kita in Wellingsbüttel für nötig, auf die geringe Frequentierung durch Migrantenkinder hinzuweisen? 2. Wenn auch die Mittelschichtler ihren Nachwuchs ummelden - und nicht nur die Vorortsnobs - damit ihr Nachwuchs von Kindern aus 'bildungsfernen Milieus' unbehelligt bleibt, geht deshalb diese 'Werbung' der Kita OK? 3. Die Redaktionen bundesdeutscher Medien sind vorwiegend deutsch, männlich und stammen aus dem Mittelstand bzw. Oberschicht. Eure ach so alternative Tageszeitung aus Berlin bot einst dem Chef des BILD als Werbegag kollegial einen Tag die Leitung an. Ist die Taz damit auf BLÖD-Niveau angekommen?! Fazit: Wenn man Selbstkritik am eigenen Milieu nur dazu benutzt, Kritik abzubügeln, zeigt das, wohin diese Tageszeitung mittlerweile abgesunken ist.

    • @Philippe Ressing:

      Eine Kita in einem Hamburger Villvorort hat wenig oder kaum Migranten.



      Wenn wundert das denn wirklich?

      Die Kinder werden meist in Nähe zum Wohnort oder Arbeitsplatz in der Kita untergebracht.

      Und wer wohnt in den Villen? Eher weniger die Migranten, die wohnen eher in den Brennpunktbezirken.

      Umd nein, ich will damit nicht ausdrücken, dass die Brennpunkte wegen der Migranten Brennpunkte sind, sondern das es vorher Brennpunkte waren, und die Migranten dann dort intergebracht wurden, sa die Mieten dort günstig sind