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Wohnungslose Menschen in HamburgMassenweise Notlösungen

Die Zahl der Menschen, die in Hamburg öffentlich untergebracht werden müssen, nimmt stetig zu. Jeder Vierte ist ein Kind.

Von unten isoliert: Eine Parkbank mit Isomatte wird in Hamburg zunehmend zur Notlösung Foto: dpa

Hamburg taz | Es klingt fast wie eine Erfolgsmeldung: Mehr als 4.800 wohnungslose Menschen, und damit fast doppelt so viele wie noch vor drei Jahren, leben heute in Hamburg in städtischen Unterkünften. Inzwischen, so der Landesbetrieb „Fördern und Wohnen“, gebe es rund 120 Standorte in der Stadt, in denen von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen unterkommen können. Bereits im Mai, als die Zahl der öffentlich untergebrachten Wohnungslosen noch 4.600 betrug, waren darunter nicht weniger als 1.187 Jugendliche und Kinder sowie 1.623 Frauen.

Doch die hohe Zahl der öffentlich untergebrachten Menschen zeigt auch: Immer mehr HamburgerInnen finden keine Wohnung mehr. Denn die durchschnittliche Verweildauer in ein und derselben öffentlichen Unterkunft ist hoch – sie liegt bei rund eindreiviertel Jahren. Viele Wohnungslose haben jedoch schon vorher in einer anderen Unterkunft gewohnt.

Um keinen Neid zwischen verschiedenen Gruppen zu schüren, die keine Wohnung finden, wurden vor allem Flüchtlingsunterkünfte schon vor drei Jahren auch für Wohnungslose ohne Migrationshintergrund geöffnet. Die Folge: Während die Zahl der Flüchtlinge zumindest in den Hamburger Erstaufnahmen abnimmt, nimmt die Zahl der öffentlich untergebrachten Obdachlosen zu, die dann – ein schöner Nebeneffekt für die Stadt – aus der Obdachlosenstatistik verschwinden.

„Es gibt keinen Grund, darauf stolz zu sein, dass mehr als 4.800 Menschen auf eine öffentliche Unterkunft angewiesen sind, zumal viele dort jahrelang festhängen“, beschreibt die Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft, Cansu Özdemir, das Problem. „Die Unterkünfte können nicht mehr als eine vorübergehende Notlösung sein.“

Es gibt keinen Grund, stolz zu sein, dass 4.800 Menschen auf eine Unterkunft angewiesen sind

Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft

Die Linkspartei fordert den Bau von noch mehr Sozialwohnungen, doch diese Forderung stößt laut Senat an ihre Grenzen. Schon heute habe Hamburg bundesweit mit den größten Neubau-Zuwachs im sozialen Wohnungsbau.

Unzureichend, so kritisieren die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, seien auch die Unterbringungsmöglichkeiten für die verbliebenen Obdachlosen für die kalte Jahreszeit im Rahmen des Winternotprogramms. In einem offenen Brief an die Stadt forderten sie kürzlich die Ausweitung des Programms und die ganztägige Öffnung der Einrichtungen in den kommenden Monaten.

Bislang haben die Unterzeichner des Briefs, wie Ärzte der „Praxis ohne Grenzen“ keine Antwort der Stadt erhalten. Sie erfuhren lediglich über die Medien, es gäbe für mehr Plätze und längere Öffnungszeiten „keinen Bedarf“.

Das sehen die Initiativen anders: Rund 2.500Menschen leben nach ihren Informationen in Hamburg auf der Straße. Im Rahmen des Winternotprogramms können ab Anfang November ein Drittel von ihnen in zwei Notunterkünften am Friesenweg und in der Kollaustraße sowie in den von Kirchengemeinden aufgestellten Containern übernachten. Für über 1.600 Obdachlose gebe es nach ihrer Kalkulation aber keine warmen Schlafplätze.

Zudem kritisieren die Initiativen, dass die Notunterkünfte nur zwischen 17.30 und 9.30 Uhr geöffnet sind. An kalten Tagen aber sei das Gesundheitsrisiko für Menschen, die auf der Straße leben, besonders hoch – auch tagsüber drohen Unterkühlung und Erfrierungen. Auch die Linkspartei fordert deshalb den Rund-um-die-Uhr-Betrieb der Unterkünfte.

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