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Kommentar Antirassismus in ChemnitzWie werden wir mehr?

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

„Das nützt doch nur der AfD“ – Das ist heutzutage oft zu hören. Aber was stärkt die Rechten derzeit nicht? Es hilft nur eine klare eigene Haltung.

Nichtstun ist auch keine Lösung Foto: reuters

Das nützt doch nur der AfD“: Seit in Chemnitz Neonazis und sich-ihnen-trotz-Hitlergruß-anschließende Nicht-Neonazis gemeinsam aufmarschieren, habe ich diesen Satz oft gehört und gelesen; in politischen Debatten, in persönlichen Gesprächen, in klassischen Medien und sozialen Netzwerken.

Aus Berlin oder gar aus Westdeutschland zum Protest hinfahren? Das sei paternalistisch oder könnte zumindest von den Chemnitzern und Chemnitzerinnen so empfunden werden. Und wenn die Polizei den Aufmarsch der rechten Mischpoke unterbindet? Das könne deren Opferhabitus nur noch unterfüttern.

Wenn in Chemnitz am Montag auf Einladung der Chemnitzer Band Kraftklub bekannte Bands wie die Toten Hosen und K.I.Z spielen und antifaschistische Fans deshalb dorthin gefahren sind, dann käme das einer Invasion gleich und stärke die Polarisierung. Und ein Besuch Angela Merkels wirke ohnehin wie ein rotes Tuch, weshalb sie in Chemnitz besser nicht Gesicht zeige.

Was, bitte, stärkt die ganz weit Rechten derzeit nicht? Die Opfergeschichte ist eine äußerst wirksame Erzählung. Aus dieser Rolle, die Rassismus und National(sozial)ismus zu gestatten scheint, treten diese Menschen nicht freiwillig heraus.

Interpretationsmuster und Deutungen der schleichenden Vergiftung des Zusammenlebens gibt es viele. Das Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Gruppen, die Kluft zwischen liberal-kosmopolitischem Lager und sich national-reaktio­när abgrenzenden Teilen der Mittelklasse ist bekannt. Ein schlüssiger Weg, wie diese desintegrierte Gesellschaft auf dem Boden von Humanität, Grundgesetz und dem Wissen, dass der Hitlergruß „nicht okay ist“, wieder zusammengeführt werden könnte, fehlt. Manche Leute nicht nur in Sachsen haben sich längst so weit entfernt, dass sie zurückzuholen oder mit ihnen ins Gespräch zu kommen gar keine Option mehr ist.

In Chemnitz wurde eine Linie überschritten

Wenn aber jede Form von Engage­ment gegen Neonazis und sich-ihnen-trotz-Hitlergruß-anschließende Nicht-Neonazis aus politischer Sorge als falsch gilt, was bleibt dann für eine emanzipierte Linke als Alternative? Nichts tun, oder?

In Chemnitz wurde eine blutrote Linie überschritten. Die Entscheidung zu diesem Schritt haben mündige Bürgerinnen und Bürger getroffen. Auch für die emanzipierte Linke ist das eine Demarkationslinie. An ihr endet der Versuch, jenen hinterherzulaufen, die die Demokratie ablehnen. Genau hier muss die Sorge davor enden, bei der Ablehnung von Hass und Gewalt, von Rassismus und völkischem Biologismus, bei der bloßen Verteidigung der Werte des Grundgesetzes falsch verstanden zu werden. Das ist die Alternative zur Resignation, die derzeit viele so lähmt. Und wenn es heute eine radikale Form des Antifaschismus sein soll, das Grundgesetz zu verteidigen, dann heißt es jetzt, radikal antifaschistisch zu sein.

Die ARD-Jugendwellen haben das Konzert in Chemnitz am Montag live übertragen. Einer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist der eigenen Haltung gefolgt und hat für die Übertragung des Konzerts gesorgt. Wenn Gewissheiten fehlen, wie man diese rechte Welle stoppen kann, ist die eigene Haltung die beste Richtschnur dafür, nicht was falsch, sondern dafür, was richtig ist.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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10 Kommentare

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  • Super Kommentar!

  • Die Linke hat zu lange so getan, als muesse Antifaschismus zwingen mit Links einhergehen.



    Buergerlichkeit und Mitte wurden als Faschismus der Mitte verleumdet, da man sich in aller Dynamik immer an der Spitze des Fortschritts glaubte. Jetzt zeigt sich, dass mit breiteren Buendnissen mehr zu erreichen ist.



    Es muss nicht immer ein Rotes AntifaBanner in der ersten Reihe marschieren. Soetwas spaltet, nur um sich selbst besser zu fuehlen.



    Lieber bunt als rot.

  • Endlich! Danke.

  • "Engage­ment gegen Neonazis und sich-ihnen-trotz-Hitlergruß-anschließende Nicht-Neonazis" - das ist zwar eine hübsche Replik auf die sich ob der Bezeichnung als Nazi Empörenden, aber sagen wir's doch mal offen: wer sich den Nazis anschliesst, ist ein Nazi. Punkt. Man könnte höchtens noch umformulieren zu "Nazis, die nicht Nazis genannt werden wollen". Aus welchem Grund auch immer. Sie lassen sich öffentlich mit Nazis sehen und gröhlen Naziparolen, sind aber keine Nazis? Wer glaubt das denn?

  • 9G
    91690 (Profil gelöscht)

    Deutliche Worte !!!

  • Ich kann nicht für mich behaupten, dass ich ein Linker bin. Aber ich teile hier die Meinung der Autorin, dass beim Hitler-Gruß eine rote Linie überschritten ist die absolut inakzeptabel ist. Hinter dieser Linie gibt es keine Entschuldigungen mehr.

    Wenn Teile der Gesellschaft derart verblendet sind, dass nicht mehr zu erkennen und glauben mit solchen Leuten demonstrieren zu können und trotzdem keine Nazis zu sein ist Hopfen und Malz verloren.

  • Klare deutliche Worte mit Haltung - danke dafür!

  • Der Artikel teilt das Spektrum in liberal-kosmopolitisch/national-reaktionär auf, echt jetzt? Ach so, das Bürgertum. Dieser Artikel zeigt unfreiwillig, was jener über #Aufstehen nicht wollte: Warum es diese Sammlungsbewegung braucht; denn als einfache Leut und Linke möchte man nicht auf die hypermoralischen Besserverdienenden (aka liberale Kosmopoliten) angewiesen sein, um die Nazis zurück zu drängen.

  • Junge, Junge! So geht das Barbara! Danke!

  • danke!