Inhalte der Bewegung „Aufstehen“: Mehr Fragezeichen als Anworten

Wagenknechts Projekt einer linken Sammlungsbewegung bleibt vage. Was soll sie praktisch tun? Kann sie sich in der Migrationsfrage einigen?

Sahra Wagenknecht im Profil, dahinter Katja Kipping im Profil

Was wird aus Wagenknechts Bewegung? Druck wird sie auf jeden Fall von Kipping bekommen Foto: dpa

Berlin taz | Es ist eine seltsame Bewegung, die sich unter dem Namen „Aufstehen“ um Sahra Wagenknecht formieren soll. Eine, bei der die Hauptfrage nicht geklärt ist: Was genau soll sie eigentlich sein?

Große Bewegungen in Deutschland wie die Anti-Atom-Bewegung hatten nicht nur ein scharf umrissenes Thema, sondern auch typische Protestformen: Unterschriftensammlungen, juristische Verfahren gegen AKWs, Demonstrationen, Blockaden. Wagenknechts Sammlungsbewegung dürfte sich am Anfang auf Saalveranstaltungen beschränken, bei denen sie die politische Lage debattiert. Bald aber müsste sie entscheiden, ob sie sich thematisch fokussiert.

Eine jährliche Großdemonstration zu sozialer Ungerechtigkeit allgemein dürfte wenig Wirkung zeigen, eine allwöchentliche Demonstration à la Montagsdemos schnell zu Ermüdungserscheinungen führen. Konzentriert sich die Sammlungsbewegung aber zunächst auf ein Thema wie Mieten, könnten all diejenigen wegbleiben, die es nicht betrifft. Oder soll die Bewegung vielleicht eine Partei gründen – oder in die bestehenden eintreten?

Wagenknecht hat immer wieder zwei Vorbilder genannt: La France insoumise und die britische Momentum-Bewegung. La France insoumise ist eine eher zentralistische Partei rund um den charismatischen Jean-Luc Mélenchon. Der Versuch, eine ähnliche Bewegung in Deutschland zu starten, könnte Wagenknecht ein Parteiausschlussverfahren in der Linkspartei einbringen, weshalb sie die Idee derzeit dementiert.

AfD-Wähler zurückholen

Momentum wiederum hat Hunderttausende neue Mitglieder in die Labour-Partei gespült, die den linken Parteichef Jeremy Corbyn gegen die Versuche der alten blairistischen Parteieliten, ihn aus dem Amt zu befördern, unterstützten.

Dagegen, „Aufstehen“ für Eintritte in SPD, Grüne oder Linke zu nutzen, kann offiziell niemand etwas haben. Aber wären Parteieintritte koordiniert? Würde dann das Schwergewicht der Bewegung auf der Parteiarbeit liegen?

Und wäre das Ergebnis auch inhaltlich das, was sich Wagenknecht erhofft? Aus ihrer Sicht fehlt in Deutschland eine linke Partei, die Asyl und Einwanderung mit den Möglichkeiten des Sozialstaats austariert und die damit zur AfD und ins Nichtwählerspektrum abgewanderte Wähler zurückholen soll. Nur dann sei die Linke in der Lage, wieder parlamentarische Mehrheiten zu gewinnen.

Offen ist aber, ob der ausgeweitete Unterstützerkreis von „Aufstehen“ diese Linie teilt. Im Kern um Wagenknecht ist man sich weitgehend einig – Wolfgang Streeck etwa schrieb am Samstag in der FAZ in seinem Vorschlag für „eine zur Vernunft gekommene Linke“: „Wenn Einigkeit besteht, dass die vom deutschen, europäischen und internationalen Recht postulierten Pflichtenkataloge jedenfalls nicht bedeuten, dass jeder jederzeit unbesehen in Deutschland einreisen und dort Unterstützung beanspruchen kann, ist Platz für pragmatische Gerechtigkeitspolitik.“

Druck von Kipping und den Grünen

Der jetzt kursierende Aufruf­entwurf für die Sammlungsbewegung ist in der Migrationsfrage weitaus schwammiger: „Das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleisten, Armut vor Ort bekämpfen und in den Heimatländern Perspektiven schaffen“ heißt es dort. Wagenknechts Gegner von Linken-Parteichefin Katja Kipping bis zu den Grünen werden „Aufstehen“ mit dem Migrationsthema schon deshalb unter Druck setzen, weil ihnen dessen Moralisierung einen enormen Zulauf beschert hat. Sie werfen Wagenknecht Nähe zu rechtspopulistischen Positionen vor. Schon die Frage, ob zu Demonstrationen für die private Seenotrettung vor Libyen aufgerufen werden soll, taugt für Spaltungen.

Nicht auszuschließen, dass am Ende eine Sammlungsbewegung steht, die allgemein für mehr soziale Gerechtigkeit wirbt, aber die Migrationsfrage beschweigt, weil sie sich dabei so uneins ist wie SPD und Linke schon jetzt.

Varoufakis hatte seine Bewegung mit großem Getöse angekündigt – dann kam nicht viel nach

Scheitern könnte die Bewegung aber schon viel früher: So gerne Wagenknecht über Mélenchon und Momentum spricht, so ungerne erwähnt sie Yanis Varoufakis’ DiEM25. Varoufakis hatte seine Bewegung mit großem Getöse angekündigt – dann kam nicht viel nach.

Das zeichnete sich schon bei der Auftaktveranstaltung in Berlin vor zwei Jahren ab: Über lange Stunden hinweg lobten führende Vertreter linker Parteien DiEM25 und geißelten die EU-Politik. Kaum jemand sprach darüber, was DiEM25 eigentlich tun solle.

Dann fuhren alle nach Hause – und arbeiteten in ihren bisherigen Parteien weiter wie zuvor. Heute werkeln in den meisten europäischen Ländern nur ein paar kleinere Grüppchen vor sich hin.

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