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die dritte meinungBegehren ist kein elitäres Privileg. Deshalb braucht es PrEP als Kassenleistung, sagt Sven Lehmann

Sven Lehmannist Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Queer­politik und Sozialpolitik der Grünen.

Das Aufkommen von Aids Anfang der 80er war eine Zäsur, die unsere Sexualität tiefgreifend verändert hat. Das galt insbesondere für Männer, die Sex mit Männern hatten. Plötzlich standen alle gerade erkämpften Freiheiten wieder zur Disposition. Ganz zu schweigen von den traumatischen Erlebnissen vieler Menschen, die durch Aids ihr Leben, ihren Partner, ihre Freunde verloren, stigmatisiert von Teilen der Gesellschaft, die in ihnen eine Seuche sah, die man möglichst abkapseln müsse. Leute wie Peter Gauweiler und Horst Seehofer hätten HIV-Positive am liebsten zwangsgetestet und in abgeschotteten Lagern untergebracht. Zum Glück setzte sich dank liberaler Politiker*innen wie Rita Süssmuth eine vernunftorientierte Aufklärungspolitik durch.

Seitdem hat sich viel getan: Neben dem Kondom gibt es mit der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) und dem Schutz durch Therapie zwei weitere zuverlässige Methoden zum Schutz vor HIV. Ein Glück! Denn mit dem Aufkommen von Aids waren auch Stimmen wieder lauter geworden – auch innerhalb der schwulen Community – die das Virus als quasi „gerechte Folge“ eines promisken Lebensstils betrachteten.

Menschen können sexuell freizügig leben und trotzdem beziehungsfähig sein. Ja, das geht beides zusammen. Selbstbestimmte Sexualität mit wechselnden Partner*innen, verbindliche Partnerschaft und alle Varianten dazwischen: Darüber selber entscheiden zu können ohne Stigma ist Kern einer liberalen Gesellschaft. Und dazu gehört auch eine sex-positive Politik.

Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn nun ankündigt, die Finanzierung von PrEP über die Krankenkassen abzusichern, ist das wichtig und längst überfällig. Denn die rund 70 Euro pro Monat kann sich nicht jeder leisten. An zuverlässiger Prävention muss die Gesellschaft aber ebenso ein Interesse haben wie an erfüllter Sexualität. Das gilt übrigens genauso für die Übernahme der Kosten für andere Verhütungsmittel für Menschen in sozial schwieriger Lage. Denn Begehren und Lust sind kein elitäres Privileg.

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