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Wohnraum in BerlinBesetzer fordern den Senat heraus

Die Räumung eines besetzten Hauses schürt den Konflikt zwischen Politik und Bewegung. Bürgermeister Müller sagt: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“

Ist das nun eine angemessene Protestform? Foto: dpa

Berlin taz | Als das Blaulicht schon die Nacht durchschnitt, Polizisten die ersten BesetzerInnen in die Wannen zerrten und die Sprechchöre der Demonstranten eindringlicher wurden, duckten sich die Verantwortlichen lieber weg. Ingo Malter, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land und Wohnungs-Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) harrten am Sonntagabend gegen 21.30 Uhr zwar immer noch vor dem besetzten Haus in der Neuköllner Bornsdorfer Straße aus, doch sie waren in die Knie gegangen. Unsichtbar für die meisten Umstehenden kauerten sie auf dem Boden, umgeben von drei hüfthohen Mauern und einem Polizeifahrzeug.

Im übertragenen Sinne ganz ähnlich hatten den Tag über auch Berlins Senatsmitglieder gehandelt. Die professionell vorbereiteten und konzertierten Besetzungsaktionen hatten die rot-rot-grüne Regierung in die politische Arena gezogen. Doch es fand sich niemand, der sich hervorwagte, um die polizeiliche Lösung für ein politisches Problem zu verhindern.

Der formal für die Wohnungsbaugesellschaften zuständige Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) hätte „Stadt und Land“-Chef Malter aus der Verantwortung nehmen können, wohl auch eine resolute Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Doch beide hielten sich bedeckt – und ermöglichten damit die durch Malter angeforderte Räumung.

Damit ist weder das Problem einer für viele zur Existenzfrage gewordenen Wohnungsnot gelöst, noch die Aktionsform Besetzen delegitimiert. Im Gegenteil: Statt die in dem Wohnhaus seit zehn Jahren leer stehenden 40 Wohnungen schnellstmöglich wieder bewohnbar zu machen, werden diese auf absehbare Zeit weiter leer stehen.

Und statt einen Konsens darüber zu haben, dass das Aneignen fremden Eigentums unmoralisch und falsch ist, wird bundesweit die Debatte darüber geführt, ob nicht das Gegenteil davon richtig ist. Exemplarisch für viele Debatten fragte die Süddeutsche Zeitung am Dienstag: „Hausbesetzung – ein angemessener Protest gegen Wohnungsnot?“

Die Linke in der Kritik

Weniger in der SPD, dafür bei Verantwortungsträgern von Grünen und Linken beantworten viele diese Frage mit Ja – dennoch hat der Senat nun das erste Mal in seiner anderthalbjährigen Amtszeit einen ernsthaften Konflikt mit der außerparlamentarischen linken Szene der Stadt. Besonders die Partei, die mit „Und die Stadt gehört Euch“-Plakaten für sich geworben hatte, bekommt den Unmut zu spüren.

Auf Indymedia machten einige der BesetzerInnen die Linkspartei für die Räumung „verantwortlich“. Einen Tweet der Linken Berlin, in dem Verständnis für die Aktion und ein Bedauern über die Räumung ausgedrückt wurde, kommentierte die offizielle #besetzen-Kampagne: „Solange ihr nur Lippenbekenntnisse aussprecht, können wir auf eure Solidarität verzichten!“ In einer Mitteilung kündigte die Initiative zudem an: „In Zukunft werden wir uns nicht mehr auf Rot-Rot-Grün und ihre Zusagen verlassen. Bald kommen wir wieder!“

Auf Indymedia machten Besetzer die Linkspartei für die Räumung verantwortlich

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller äußerte gegenüber der taz Verständnis für die „Angst vor steigenden Mieten“. Weiter sagte er: „Doch der Zweck heiligt nicht die Mittel. Hausbesetzungen sind kein probates Instrument, sie verletzen Recht und Gesetz. Und das können wir nicht zulassen.“ Die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Iris Spranger zeigte sich über den Leerstand in einem „Stadt und Land“-Haus überrascht und kündigte an: „Wir werden jetzt mit den Wohnungsbaugesellschaften sprechen. Wir wollen wissen, wie viele das genau sind.“

Angebot als Novum

Malter hatte seit dem Nachmittag mit den BesetzerInnen verhandelt, später unterstützt von Scheel, und ihnen das Angebot unterbreitet, in dem Haus ein selbstverwaltetes Projekt zu realisieren. Die Rede war von einem „Vorzugsrecht“ und Mieten von sechs Euro pro Quadratmeter. Dafür allerdings sollten die BesetzerInenn umgehend das Haus verlassen. Ein noch am selben Tag den BesetzerInnen zugesichertes Haus wäre selbst für Berlin ein Novum geblieben, zumal die Polizei seit Jahren die „Berliner Linie“ verfolgt und Besetzungen innerhalb von 24 Stunden beendet.

Dennoch war die Skepsis der KampagnenvertreterInnen groß. Würden sie das Haus verlassen, wäre ihr einziges Druckmittel dahin. Auch der Mietpreis von 6 Euro überzeugte nicht alle. Noch während der Vorschlag mit den BesetzerInnen diskutiert wurde, bat Malter die Polizei um Räumung. Ihm zufolge sei die für die Verhandlungen gesetzte Frist von einer halben Stunde überschritten und niemand mehr zu erreichen gewesen.

Senatorin Lompscher forderte am Montag von der Stadt und Land, auf Strafanzeigen gegen diejenigen BesetzerInnen zu verzichten, die „das Gebäude ohne Widerstand verlassen haben“. Laut Polizei werde gegen sechs der angetroffenen 56 Personen auch wegen Widerstands ermittelt. Alle Anzeigen seien nun aber Sache der Justiz. Der taz sagte Malter, er sei verpflichtet, die Anzeigen wegen Hausfriedensbruch aufrecht zu erhalten: „Ich bin an den rechtlichen Rahmen gebunden, da gibt es keinen Weg heraus.“ Aus der Senatsverwaltung hieß es: „Wir sind noch in der Diskussion.“

Mitarbeit Stefan Alberti

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23 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    6€ pro Quadratmeter sind also noch nicht günstig genug für Berlin. Vielsagend.

  • Bei allem nötigen Respekt, nicht einmal 10 Jahre braucht auch eine noch so gescholtene Verwaltung, um die nötigen Genehmigungen zu erteilen.

     

    Wenn aber nun, und erst durch die Besetzung öffentlich bekannt, dass Haus mehr als 10 Jahre leer stand, dann können sich die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft auch nicht aus der Verantwortung stehlen. Das ist schlicht und einfach ein Skandal, bei der Knappheit für bezahlbaren Wohnraum in dieser Stadt.

    • @Illoinen:

      Weshalb 10 Jahre. Das Haus gehört der Gesellschaft seit ca. drei Jahren. Diese hat im Rahmen von längeren Untersuchungen festgestellt, dass ein erheblicher Sanierungsbedarf besteht.

       

      Die gesamte Sanierung muss ausgeschrieben werden. Das braucht entsprechnde Mitarbeiter und Zeit.

       

      Ein Skandal ist, dass bestimmte Politiker (insbsondere Herr Ströbele und Frau Bayram; beides Juristen) den Straftatbestand des Hausfriedensbruches als nicht erfüllt ansehen wollen.

  • Wenn anscheinend nicht mal RRG ein wirkliches Interesse an der Lösung der Berliner Wohnungsproblematik hat, wen soll man denn da noch wählen? Kann ja mit den anderen Parteien nicht besser werden.

    • @Shane:

      Das ist eine berechtigte Frage. Naja, die Besetzer_innen treten offensichtlich für andere gesellschaftliche Ideen ein...

  • Leerstand ist gewollt, denn durch die Verknappung von Wohnraum kann "man"

    a) die Mieten in die Höhe treiben

    b) bei Neubauten kleinere Wohneinheiten durchsetzen .

     

    Das ist das eigentliche Ziel:

    Lebe in einem Hamsterkäfig und sei dankbar dafür.

    • @Meinberg:

      Leerstand ist in Berlin nicht das Problem. Es gibt in quasi kaum.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein anschauliches Beispiel dafür, dass Politiker nicht nur unterschiedliche Interessen moderieren, sondern durchaus eigene Interessen verfolgen. DerKonflikt: Durchsetzung der Eigentumsordnung versus Tolerierung von Hausbesetzungen. Während bei letzteren der Zweck (laut Müller) nicht die Mittel heiligen soll, tut er das bei ersterem ganz selbstverständlich.

     

    Ein Lehrstück für Scheinheiligkeit, bei dem auch staatstreue Foristen eifrig mitmischen.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      "Durchsetzung der Eigentumsordnung" und "staatstreue Foristen" hört sich bei Ihnen irgendwie so negativ an. Die Eigentumsordnung ist eine wesentliche Basis unserer Rechtsordnung und die Staatstreue (im Sinne der Rechtsstaatlichkeit) doch hoffentlich eine Selbstverständlichkeit.

       

      Wo bitte sollte die Scheinheiligkeit liegen?

  • Es gab keinen erdenklichen Grund, den Polizeieinsatz zu verhindern oder die Besetzer bzw. die Aktionsform zu delegitimieren.

     

    Angeblich haben diese Aktivisten die Überlassung des Hauses für EUR 4 kalt pro Quadratmeter gefordert (!). Wohnen auf Kosten der Steuerzahler und auf Kosten der Kita.

     

    Der Geschäftsführer und die Polizei sind an dieser Stelle ausdrücklich zu loben.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Wer zu loben ist - und wer zu tadeln, ist auch hier eine Frage von Blickwinkel und Interesse. Besitzer sanierter Altbauwohnungen oder chicer Lofts sehen dies naturgemäß anders als Mieter von Bruchbuden oder Wohnungslose.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Ich bin weder Besitzer einer sanierten Altbauwohnung noch eines chicen Lofts.

         

        Ich sehe jedoch nicht ein, weshalb es vermummten selbsternannten vorgeblichen Gentrifizierungsgegnern gestattet werden sollte, eine Kita und anderen möglichen redlichen Mietern Raum und Wohnraum mit der Brechstange wegzugentrifizieren, während der Staat das Ganze auch noch subventionieren soll. (Ja, ich gehöre zu den paar verbliebenen Seuerzahlern dieser Stadt.)

         

        Wenn es angeblich so viel Leerstand in Berlin gibt, wie von bestimmter Seite aus immer behauptet wird, dann hätten sich diese Extremisten für ihre Aktion ohne weiteres ein geeigneteres Ziel aussuchen können.

        • @DiMa:

          "Ja, ich gehöre zu den paar verbliebenen Seuerzahlern dieser Stadt."

          Ist das als Plädoyer für Plutokratie verstehen?

          "Extremisten"

          Uiuiui, da schlagen Sie aber einen Ton an! Die_der (rechte?) Bürgi empört sich, dass ihre_seine heilige Eigentumsordnung angetastet wurde? ;)

          • @Uranus:

            Den Ton hat derjenige angeschlagen, der so mir nix dir nix widerrechtlich fremdes Eigentum betritt und die Überlassung von EUR 4/qm verlangt. Das sind dann wohl schon keine Aktivisten mehr.

             

            Plutokratie, nein nicht unbedingt. Nur wenn die Leute alles für umsonst fordern (EUR 4/qm ist nichts anderes als das), frage ich mich, weshalb ich überhaupt noch Steuern und Sozialabgaben zahlen sollte.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @DiMa:

          Noch ein weiterer Kommentar mit dieser Konnotation und es bleibt nichts mehr vom Thema übrig. Dieses hieß übrigens .... tatata ... Wohnraum in Berlin. In rot, ganz oben.

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Themen sind Häuser besetzen und die Räumung besetzter Häuser. Eine Hausbesetzung ist keine gesetzlich geschützte Demonstration und kein Mittel zur politischen Meinungsäußerung. Daher sollte man sich das Thema auch nicht von Kriminellen vorgeben lassen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorgeblichen Motiven treibt diese doch nur weiter an und verbietet sich mir daher.

             

            Wenn diese Aktivisten / Extremisten im Übrigen nur auf eine wie auch immer geartete Lage hätten hinweisen wollen, dann hätten sie ja nach kurzer Zeit abziehen können. Ihnen ging es nach eigener Aussage jedoch um eine langfristige Übernahme des Hauses. Damit war die Aktion höchst eigennützig und auf Kosten aller anderen. Die Gerhart Hauptmann Schule ist da ja ein schlechtes Beispiel.

        • @DiMa:

          ?

          der letzte derer die steuern zahlen? alles klar? im übrigen zahlt ein jeder und eine jede steuern.

           

          was wäre denn aus ihrer sicht ein adäquates ziel.

           

          die zentrale von stadt und land? damit leute wie sie wieder nur auf chaoten schimpfen?

           

          weil ein plakat eben nicht so viel aussagt wie die aktuelle aktion

           

          denn ohne darauf hingewiesen zu werden, dass selbst kommunale unternehmen mitspielen im spiel; markt-nachfrage-bla?! als ganz ganz kleine fische und eigentlich verloren haben und deshalb die haie nicht herausfordern können..!

           

          und ich gehe nicht davon aus, dass kita oder redliche mieter ihre räumlichkeiten hätten räumen müssen.

          • @Komi:

            Ein adequates Ziel wäre ein aufgrund spekulativen leerstands unbewohntes Haus gewesen. Wenn dieser spekulative Leerstand ein so großes Problem darstellt, wie mancherorts behauptet wird, dann hätte sich ja ohne weiteres ein solches Haus finden lassen können. Warum musste es dann ein Haus sein, bei welchem dieser Tatbestand offensichtlich nicht vorliegt?

             

            Wie hätte die Kita ebend jene angestammten Räume in diesem Haus wieder beziehen sollen, wenn Stadt und Land das Haus an die vermummten Besetzer entsprechend des Angebotes für 6,50 nettokalt zur Eigenverwaltung überlassen hätte?

  • "Noch während der Vorschlag mit den BesetzerInnen diskutiert wurde, bat Malter die Polizei um Räumung."

    Ganz großartig. So hat diese kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die von Herrn Malter (Parteibuch wenn ja, welches?) vertreten wird, gleichermaßen den Politikern guten Willens und den Hausbesetzern ins Gesicht geschlagen und die Türe für Lösungen ohne Staatsgewalt wahrscheinlich zu...

    Da wundert sich dann die Staatlichkeit, wenn sie jedes Restvertrauen vergeigt?

    • @Da Hias:

      Was, wirklich.

      Eine kommunale, also staatliche, Gesellschaft hält sich an das Recht?

       

      Was für ein Skandal.

  • "Der Regierende Bürgermeister Michael Müller äußerte gegenüber der taz Verständnis für die „Angst vor steigenden Mieten“."

    WTF? Steigende Mieten bzw. Wohnungsräumungen sind in Berlin seit Jahren Realität!

    "Weiter sagte er: „Doch der Zweck heiligt nicht die Mittel. Hausbesetzungen sind kein probates Instrument, sie verletzen Recht und Gesetz. Und das können wir nicht zulassen.“"

    Kommt darauf an, welche Perspektive bedient werden. Für Staatsaffine wie Bürgermeister Müller, heiligt die Durchsetzung der Eigentumsordnung Gewalt. Seinen Ordnungsfetisch stellt er vor das grundlegende Bedürfnis nach Wohnraum und kriminalisiert lieber die Aktivist_innen, die sich gegen Arme gerichtete Wohnraumpolitik, die u.a. SPD&Müller seit Jahren verfolgt, zur Wehr setzen.

    "Dennoch war die Skepsis der KampagnenvertreterInnen groß. Würden sie das Haus verlassen, wäre ihr einziges Druckmittel dahin. Auch der Mietpreis von 6 Euro überzeugte nicht alle."

    Nur verständlich. Es wäre auch reichlich naiv, anzunehmen, dass Poltiker_innen/ Eigentümer Wort halten würde. Mensch denke da u.a. an O-Platz, Gerhart-Hauptmann-Schulgebäude...

    • @Uranus:

      O-Platz + Gerhart-Hauptmann-Schule sind wirklich gute Beispiele, wie solche Aktionen ausufern können. (Bei der GHS finde ich es besonders schade, weil es ein Leuchtturm hätte werden können.)

       

      Kein Wunder, dass Stand und Land auf klare Vereinbarungen bestand.

      • @rero:

        "Kein Wunder, dass Stand und Land auf klare Vereinbarungen bestand."

        Sicher ;/