piwik no script img

Kommentar „March for our lives“Ein Moment der Selbstermächtigung

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Was wird von der US-Waffenprotest-Bewegung bleiben? Das ist egal! Denn sie signalisiert Veränderung. Wenn nicht für immer, dann für den Moment.

Die 17-jährige Colette Schule beim March for Our Lives in Washington Foto: reuters

D a ist die eine junge Frau, die minutenlang vor dem Mikrofon steht und schweigt. Und schweigt. Und schweigt. Und weint. Bis es einige der fast eine Millionen ZuhörerInnen nicht mehr aushalten. Bis sie schreien. Klatschen. Und wieder ruhig werden. Da ist die andere, die mit unglaublicher Wucht ihre Worte in rhythmischen Schleifen ins Mikro hämmert, sodass sie locker jeden Poetry Slam gewinnen würde, die kurz zusammenbricht, wieder aufsteht und „Happy Birthday“ singen lässt. Für einen toten Freund. Einen erschossenen.

Da sind die beiden Schwarzen, die sich das Klebeband vom Mund reißen und von ihren Gewalt­erfahrungen aus Chicago erzählen. Da ist der rothaarige Strubbel, der Bücher statt Waffen und mehr Lehrer fordert und an seine Mitschüler appelliert: Registriert euch! Geht wählen!

Die Bilder, die am Samstagabend aus den USA gesendet wurden, waren vor allem eins: beeindruckend. Man musste sich nur kurz in einen der Livestreams vom March for our lives in Washington einklicken, um zu spüren: Hier entsteht gerade etwas. Etwas Seltenes. Etwas Eigenes. Und endlich auch mal wieder etwas ganz Neues.

Natürlich drängen sich nun Fragen auf: Werden die jungen Leute tatsächlich etwas bewegen können? Wird die bisher allmächtig erscheinende Waffenlobby in den Vereinigten Staaten am Ende zurückstecken müssen? Ist dies vielleicht gar der Anfang vom Ende der hoffentlich sehr kurzen Ära Trump? Oder ist das nicht alles arg utopisch? Jugendlicher Überschwang? Der – schlimmer noch – am Ende nur zu noch mehr Resignation führen muss, weil die erträumte Revolution natürlich wieder nicht kommt?

Es geht bei jeder Art von politischem Protest auch um das praktische Erleben, dass es gelingen kann, ein Thema auf die politische Agenda zu setzen

Die Antwort auf alle diese Fragen aber lautet: Das ist egal. Es ist egal, weil der Wert einer Protestbewegung sich niemals ausschließlich an der Erfüllung ihrer Forderung misst. Es geht bei jeder Art von politischem Protest auch um das praktische Erleben, dass es gelingen kann, ein Thema auf die politische Agenda zu setzen. Durch einen Moment der Selbstermächtigung die Welt zu verändern. Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ein paar Stunden. Auch das ist ein Gewinn.

Denn die Sexyness von Widerstand politisiert. Sie stand schon am Anfang vieler lang anhaltender Engagements. Umso schöner, dass in Zeiten eines nahezu weltweit grassierende Rechtspopulismus mal wieder der Kampf, das Einstehen für eine offene, tolerante, weniger brutale Gesellschaft den angesagten Erfahrungshorizont bieten.

Und wenn aus dem „March for our lives“ dann doch tatsächlich eine so starke Bewegung wächst, dass am Ende die Waffengesetze in den USA verschärft werden? Umso besser.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Mittlerweile gehen mehr als die Hälfte des angloamerikanischen Staatshaushalts für Rüstung drauf und dabei ist Nordamerika ja eigentlich eine Insel. Ich sag mal Aufbruch.

    • @Pele :

      4,1 Billionen Dollar Haushalt und 654 Milliarden Dollar Ausgaben für den Verteidigungsetat. Zahlen für den ersten Haushalt von Trump, 2017.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Irgendwie fehlt noch die Musik dazu. Etwas mit ähnlicher Wirkung wie das: https://www.youtube.com/watch?v=MN_9VqfVQ9c

  • An wenn ist diese Aktion eigentlich gerichtet? An zukünftige Gewalttäter?

     

    Die wissen schon, woher sie ihre Waffen bekommen, auch bei einem Verbot.

    • @Klartext:

      Ihr Name ist wie der Zusatz "Demokratisch" in Namen von gewissen Ländern. Was sich dahinter verbirgt ist einfach Wischiwaschi Blablabla.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Da kann ich nur zustimmen. Man spürt, dass da was besonderes passiert. Etwas, das selten passiert. Und Potential hat. Allein die Rede, bzw. das Schweigen von Emma Gonzales hat mich sehr bewegt. Das sind sehr viel junger und jüngster Leute, die es ernst meinen. Die aufstehen und damit genau das tun, was das Recht der Jugend ist.

     

    Mal dahingestellt, ob sie Erfolg haben werden und wie der dann möglicherweise aussieht, allein die Tatsache, dass sie tun, was sie da tun, wird sie selbst verändern.