Kolumne Mithulogie: Der Hinduismus gehört hierher
Islamdebatte? Hatten wir alles schon einmal. Mit den Hindus. Und das ist länger her als acht Jahre. Heute gibt es neue Feindbilder.
V ielleicht erinnert ihr euch noch: Damals, in der guten, alten Zeit – also in den 70er und 80er Jahren –, waren wir die gefährlichen Ausländer. Die Hindus, diese verschlagenen Orientalen, die – und das war das Gefährlichste an uns – ihre Frauen unterdrückten. Keiner war so gut darin wie wir, unsere Frauen zu unterdrücken #Mitgiftmorde #Witwenverbrennung #AbtreibungVonWeiblichenFöten #usw. Wenn es, als mein Vater nach Deutschland kam, Online-Dating-Plattformen gegeben hätte, wäre sein Profil in etwa so ausgefallen: Vorzüge Kamasutra-Kenntnisse, Nachteile Neigung zum Femizid.
Da gab es nur eine Lösung: Integration. Oder wie das damals ehrlicher hieß: Anpassung. Braune Männer wie mein Vater mussten beweisen, dass sie stubenrein waren und die deutschen Werte wie Frauenrechte, freie Sonntage und Fußball verinnerlicht hatten. Also kaufte er sich ein Feinripp-Unterhemd, lernte seine Abneigung gegen Bier zu überwinden und setzte sich bei jedem Spiel pflichtschuldigst vor den Fernseher. Er war ein Mann nach Horsts Herzen. Bei uns wurde nie Divali oder Durga-Puja oder eines der anderen Feste gefeiert, die laut Seehofer Ostern, Pfingsten und Weihnachten so sehr bedrohen.
Spoiler: Dadurch wurde mein Vater trotzdem kein echter Deutscher. Weil er nicht so aussah, wie sich der Brockhaus echte Deutsche vorstellte. Aber vor allem, weil er nicht mit dem Deutscher werden durfte, was er an Erfahrungen und Wissen mitbrachte, sondern sich mit Mitte zwanzig aus dem Nichts manifestieren sollte, ohne Geschichte und Vergangenheit, eine Art Android-Deutscher. Doch wie konnte man einem solchen Geschöpf vertrauen? Eben! Also musste er mit jeder Geste seine Absicht beweisen „mit uns [zu] leben, nicht gegen uns“. Sprich: dass er nicht einer von den fanatischen Hinduisten war. Folglich erzählte er mir nichts über sein Heimatland und seine Religion, und ich ging davon aus, dass er das halt deswegen nicht tat, weil ich ein Mädchen war. Man weiß ja, wie diese patriarchalen Ausländer so sind.
Das ist keine Karikatur. Das war meine Kindheit. Und warum erscheint uns das heute als Satire? Weil wir neue Feindbilder haben und Inder inzwischen das Sexieste seit der Erfindung von Schokolade sind.
Hier zu erklären, wie schädlich eine Gehört-XY-nach-Deutschland?-Debatte ist, ist, wie Eulen nach Athen zu tragen oder Seehöfer zur AfD. Und um nicht ebenfalls auszugrenzen, nehme ich das zurück: Herr Seehofer, Sie gehören nicht zur AfD. Sie gehören zu Deutschland. So wie der Islam und die Spaghettimonster-Religion und sogar Yoga-Studios, in denen mir weiße Deutschen erklären, wie der wahre Hinduismus aussieht, zu Deutschland gehören.
Der Hinduismus gehört zu Deutschland, weil die Welt zu Deutschland gehört. Und Deutschland gehört zur Welt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen