piwik no script img

Kostenloser Nahverkehr und FahrverboteSchöne Idee, schwierige Umsetzung

Fünf von der Bundesregierung ausgewählte Modellkommunen könnten den kostenlosen ÖPNV testen. Sie wollen aber nicht.

Die Stadt Essen durfte sich 2017 „Grüne Hauptstadt Europas“ nennen. Das gilt jedoch nicht für die Essener Straßen Foto: dpa

Berlin taz | Der Testlauf für einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist offenbar vom Tisch. Ein so weitgehender Versuch sei in keiner der fünf Modellstädte zur Luftreinhaltung geplant, sagte am Montag der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) nach einem Gespräch im Bundesumweltministerium in Bonn. Ein komplett kostenloser ÖPNV ist damit laut Kommunen eher unrealistisch.

Zu dem Treffen geladen waren Vertreter aus Bonn, Essen, Mannheim, Reutlingen und Herrenberg. Dort sollten verschiedene Ideen wie etwa ein stärkerer Ausbau von E-Bus-Verkehr oder die Verkehrslenkung beraten werden, um die Luftbelastung zu verringern.

Der Oberbürgermeister der Gastgeberstadt Bonn, Ashok Sridharan (CDU), hatte sich bereits im Vorfeld skeptisch gezeigt. „Also, vollumfänglich zu 100 Prozent öffentlicher Personennahverkehr, glaube ich nicht, dass wir da so schnell den Schalter umlegen können“, sagte Sridharan dem Radiosender WDR 5. Gezielte Projekte wie eine kostenlose Fahrkarte für Autofahrer, die ihren Wagen stehen lassen, ließen sich eventuell realisieren, weil es nicht die Masse der Menschen betreffe. Das hätte dann aber nicht den gewollten Effekt, die Luftreinhaltung nachhaltig zu verbessern.

Einen kostenlosen ÖPNV umzusetzen ist alles andere als trivial: Dafür müssen nicht nur die Einnahmeausfälle durch das Wegfallen des Fahrkartenverkaufs ersetzt werden, sondern es müssen auch neue Busse und Bahnen angeschafft sowie FahrerInnen ausgebildet werden, weil deutlich mehr Menschen den ÖPNV nutzen würden.

Unkonkrete Fahrverbote

Die ­baden-württembergische Universitätsstadt Tübingen ist denn auch die einzige Kommune Deutschlands, die ein fertiges Konzept für einen kostenlosen ÖPNV in der Schublade hat. Weil in Tübingen nur Busse verkehren, lässt sich die nötige Angebotsausweitung um ein Drittel nach Ansicht von Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) leicht realisieren. Samstags ist im Moment der Tübinger Busverkehr bereits umsonst. 200.000 Euro lässt sich die Stadt diese ÖPNV-Förderung kosten.

Wenig konkret bleiben bislang die am Wochenende bekannt gewordenen Pläne des Bundesverkehrsministeriums, die rechtlichen Voraussetzungen für streckenbezogene Fahrverbote zu schaffen. Ein Ministeriumssprecher bestätigte am Montag zwar, dass noch in diesem Jahr im Rahmen einer Novelle der Straßenverkehrsordnung geplant sei, „den Rechtsrahmen zu präzisieren“, damit Maßnahmen zur Verkehrslenkung „nach einheitlichen Kriterien streckenbezogen in hoch belasteten Straßen“ umgesetzt werden können. In welcher Form dies geschehen soll, sei aber offen.

Unklar ist, wie örtliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge mit hohem Stickoxidausstoß kon­trolliert werden können. Denn eine „Blaue Plakette“ lehnt die Bundesregierung weiterhin ab. Daran ändere sich durch die neuen Pläne nichts, sagte der Sprecher. Auf die Frage, wie Fahrverbote dann kontrolliert werden sollen, gab es keine Antwort.

Die geplante Regelung steht laut Verkehrsministerium in keinem Zusammenhang mit dem für diesen Dienstag angekündigten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über Fahrverbote. Diese Aussage überrascht – denn das Gericht beschäftigt sich explizit mit der Frage, ob der Bund die rechtlichen Voraussetzungen für Diesel-Fahrverbote schaffen muss oder ob die Länder eigenständig tätig werden dürfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Ehrlich gesagt habe ich in der taz ein Plädoyer für den kostenlosen ÖPNV erwartet, immerhin ein urlinkes Thema, stattdessen neoliberales gewäsch von kosten anstatt einer gesamtgesellschaftlichen Analyse von kosten und nutzen. :(

  • zm Thema:

    https://jungle.world/artikel/2018/08/irgendwer-zahlt-immer

     

    fand ich des Lesens wert.

    • @pitpit pat:

      Finde ich nicht hilfreich, den Artikel. Denn die Leute, für die da Unterstützung als geboten angesehen wird, sind nicht die Leute, die üblicherweise auto fahren, also die Zielgruppe der Idee sind.

  • Bezeichnend ist der Halbsatz "...weil deutlich mehr Menschen den ÖPNV nutzen würden." Wenn das schon als Problem angesehen wird, dann wirds schwierig mit der Umsetzung.

    • @Helmut van der Buchholz:

      Schnell flocking dahinformuliert - aber es tatsaechlich ein Problem, auf die Schnelle neue Busse, Strassenbahnen, Fahrer, Infrastruktur etc zu bekommen. Und diese Kosten zusaetzlich zu den entfallenen Einnahmen zu kompensieren. Wuenschenswert aber nicht so einfach, wie man es hier mal eben schnell abhakt. Unwilligkeit zu unterstellen faellt immer leichter, als die Probleme loesen zu muessen.

  • Politischer Aktivismus. Jedem Bürger um die 30 Euro im Monat aus der Tasche ziehen und es dann "kostenlosen Nahverkehr" nennen - wie es Herr Palmer (Grüne) unlängst vorschlug.

     

    Das ist wie mit der GEZ: ich besitze seit 10 Jahren keinen Fernseher, aber weil ich eine Wohnung habe und mir der Anschluss bereit gestellt wird, muss ich monatlich 17,50 zahlen. Im Jahr sind das 210 Euro die ich quasi zum Fenster hinauswerfen muss. 210 € für die ich null Gegenleistung erhalte, nur die Möglichkeit, einen Fernseher anzuschließen. Politiker sollten so ehrlich sein, die GEZ als Steuer zu deklarieren. Und genauso auch bei diesen "kostenlosen" Nahverkehrsmodellen.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Hier sind wieder Autobauers Schergen in Form von Sparschweinen unterwegs. Natürlich muss für den ÖPNV richtig Geld hingelegt werden - aber wieviel Geld wird für den Autowahn hingelegt???

  • Es gibt schon gute Systeme in den verschiedenen Städten.

     

    Wenn jemandem für 45€ einen Monat ÖPNV fahren kann, bei kurzen TAktzeiten, und er am Wochenende auch noch Mitfahrer mitbringen kann lohnt sich die Fahrt mit dem Auto im Normalfall nicht mehr.

    • @Martin_25:

      Das wären dann ca. 40€ mehr im Monat, als ich derzeit für den Bus zahle, kann ich nicht und will ich nicht und umsonst ist das auch nicht.

  • Das Geld ist schon da. Wenn weniger in den Straßenbau versenkt werden würde, wenn den Reichen geringere Bereicherung erlaubt würde, wenn Steuern bspw. auf CO2 erhoben werden würde... dann gäbe es genügend um ÖPNV und Fernzugnetz auszubauen und genügend Spielraum die Fahrpreise (auf Null) zu senken. Allein der Wille, Einsicht, vielleicht auch Macht fehlt. Dann doch lieber Hybrid-Autos, Benziner, E-Autos... damit das Autoindustriekapital bedient wird, ne? ;)

    • @Uranus:

      Was nicht ernsthaft bestritten wird. Geht aber eben nicht so ad hoc...