piwik no script img

Kommentar rassistischer Amoklauf ItalienFortschreitende Enthemmung

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Die Tat in Macerata war nicht die Erste ihrer Art – anders als von einigen behauptet. Schockierend ist auch, dass viele Verständnis für den Täter äußern.

Forensiker fotografieren einen der Tatorte; der Täter soll auf sechs Menschen geschossen haben Foto: dpa

E s gab keine Toten. Das ist das wohl einzig Positive, das man über den rassistischen Amoklauf im italienischen Macerata sagen kann, der am Ende sechs verletzte Afrikaner zurückließ. Anders als etwa vom Corriere della Sera behauptet, war diese Tat keineswegs die Erste ihrer Art. Im Jahr 2008 erschossen Mafiosi der Camorra sechs Afrikaner im süditalienischen Castelvolturno, im Dezember 2011 feuerte ein Faschist in Florenz tödliche Schüsse auf zwei Senegalesen ab.

Neu ist allerdings, dass der Amoklauf von Macerata mitten in einen Wahlkampf fällt – und dass er auf ein dramatisch geändertes Meinungsklima trifft. Nicht nur jede Menge Einträge in Internetforen und Social Media, auch die Stimmen, die die Reporter der italienischen Zeitungen in den Kaffeebars von Macerata einsammelten, zeichnen sich durch offenes Verständnis für den rassistischen Rächer aus, bis hin zu Kommentaren wie „er hätte allerdings besser zielen sollen“.

Erschreckend ist, dass die verbale Enthemmung von politischen Kräften mit vorangetrieben wird, die gar keine so schlechten Chancen haben, sich nach den Wahlen vom 4. März in einer rechten Parlamentsmehrheit zu finden. Gleich zwei der vier Parteien in der von Silvio Berlusconi geschmiedeten Rechtsallianz, die Lega Nord unter Matteo Salvini und die postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI, Bürger Italiens) unter Giorgia Meloni, machen den Schuldigen keineswegs in dem faschistischen Täter aus, sondern in der „unkontrollierten Einwanderung“ (Salvini) und in „der Linken“ (Meloni), mit ihrer angeblich laxen Politik auf dem Feld inneren Sicherheit.

Deutliche Worte finden nur die Parteien links der Mitte. Berlusconi dagegen hütet sich, zu seinen Alliierten auf Distanz zu gehen. Am groteskesten erscheint aber die Nichtpositionierung der 5-Sterne-Bewegung. „Schweigen“ sei jetzt geboten, der Amoklauf gehöre nicht in den Wahlkampf, sagt der Spitzenkandidat Luigi Di Maio. Eine zu bequeme Lösung, wenn Leute wie Lega-Chef Salvini fleißig hetzen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • In Macerata wurde am 01.02. eine 18 jährige Italienerin ermordet und in Stücke gehackt worden von einem Nigerianer. Vielleicht war das der Auslöser für den Amoklauf?

     

    //http://www.ilgiornale.it/news/cronache/macerata-18enne-fatta-pezzi-fermato-spacciatore-nigeriano-1489362.html

    • @Jens Frisch:

      das muss ich mir merken. den nächsten afd/pegida hohlkopf den ich sehe, knalle ich auch über den haufen, und wenn mich einer fragt, sage ich "der auslöser war der zweite weltkrieg".

       

      aber nein, zum glück bin ich nicht so ein simpel und weiss, dass auge-um-auge zu gar nichts führt (ausser mehr leid und verzweiflung auf allen seiten).

    • @Jens Frisch:

      Um deswegen Unschuldige abzuknallen muß noch einiges mehr hinzu kommen. Diese Art von Mensch, mordet auch schon wenn man sie falsch anlächelt.

  • 4G
    42682 (Profil gelöscht)

    Statt immer wieder in das gleiche Horn zu blasen, sollten Lösungen her.

    Ja, es ist erschreckend, dass es Zustimmung für diesen Täter und die Tat gibt.

    Das zeigt aber auch auf, dass es so nicht weitergehen kann. Es kann keine unkontrollierte Zuwanderung geben ansonsten gerät alles ausser Kontrolle und in die Hände der rechten Vollpfosten.

    Wir können das alle beklagen und darüber lamentieren. Fakt ist aber, in Italien und anderswo leben schon Menschen und oft in nicht einfachen Verhältnissen. Es kann nicht gutgehen, einfach die Grenzen zu öffnen und alle hier willkommen zu heissen.

    Es muss dringendst Hilfe vor Ort geleistet werden und dazu muss die Politik richtig viel Geld in die Hand nehmen. Die Freihandelsabkommen müssen weg ebenso wie die Rüstungsexporte.

    Ist noch Wunschdenken. Ich würde mir aber eine Medienkampagne in diese Richtung wünschen, statt des ewig gleichen Betroffenheitstextes.

    • @42682 (Profil gelöscht):

      Die Zuwanderer sind aber echt an allem schuld. Sogar daran, dass rechte Vollpfosten ihnen die Schuld an allem geben.

    • @42682 (Profil gelöscht):

      Ich kann mir gut vorstellen, das dieses Rechtfertigungsgesülze schon 1932 in ähnlicher Weise abgelassen würde. Opfer zu Tätern zu machen ist ja nichts Neues.

      • @Dorian Müller:

        Jeder Konflikt lebt davon, Täter zu Opfer zu machen und umgekehrt. Ein Angriff wird als Verteidigung getarnt. Das machte nicht nur Hitler so, sondern das passiert praktisch bei jedem Angriffskrieg. Bei jedem Konflikt geht es um die Deutungshoheit: Wer darf entscheiden, wer hier Täter und wer hier Opfer ist. Das gilt für Rassismus genauso wie für den #metoo-Pranger. In einem Rechtstaat haben wir daher Gerichte, die meistens gründlich und mit Sachverstand entscheiden um danach den Frieden wiederherzustellen. Dort wo das nicht passiert, haben wir eine Eskalation von Lynchjustiz, bei der sich jede Seite als Opfer begreift und im Recht sieht. Da wird dann schnell die grausame Ermordung einer 18-jährigen Italieniern durch einen Nigerianer zur Rechtfertigung um andere Menschen, die mit dem Täter lediglich die Hautfarbe teilen, ebenfalls umzubringen. Das zeigt, wie wichtig ein funktionierender Rechtstaat ist. Nur dieser kann uns vor rassistischer, sexistischer oder anderen Arten von Lynchjustiz bewahren.

  • Die verbale Enthemmung zeigt an, daß viele Menschen in Europa jetzt die Maske fallenlassen, die sie bisher widerwilling in der Öffentlichkeit getragen haben. Darunter kommt das zum Vorschein, was Europa zwei Weltkriege eingebrockt hat. Nationalismus, Dummheit, Rassismus und Größenwahn.

     

    Der Letzte macht das Licht aus...

    • @kditd:

      Das bewährte Täter zum Opfer und Opfer zum Täter machen. Auch gut bekannt bei Vergewaltigungsopfern ("war doch selbst Schuld, hat doch einen kurzen Rock an..."wollte es doch so"...oder als Rationalisierung mit unerschütterlicher "Logik": die Biologisierung ... Männer sind von Natur aus sexuell aggressiver usw.)

       

      Die warenproduzierenden, arbeitsverherrlichenden, Konkurrenzgesellschaften haben extrem tiefliegende psychologische Probleme, die leider nie angesprochen werden und als "normal" gelten.

      Stichwort Sadismus, autoritäre Persönlichkeit, Spaltung, anti-sozial, Narzissmus usw.

      • @down:

        Es gibt nur einen, der hier versucht. Opfer zu Tätern zu machen. Und das sind SIE. Die rechten Gewalltäter - und dabei ist es egal ob es sich um den Schützen im Macerata handelt oder die Brandstifter, die in Ostdeutschland Asylbewerberheime anstecken. Sind NICHT Opfer von Gewalt durch Flüchtlinge. Ihre Motivation ist ganz schlicht und ergreifend Hass. Hass auf Fremde.

        • @Kaboom:

          Sag ich doch, Sie haben mich falsch verstanden (eine Projektion ihrerseits :) )

          Die Täter (der Nazi) wird zum Opfer gemacht bzw. sein Verhalten wird gerechtfertigt, das habe ich geschrieben und gemeint.

          Naja, wie bereits geschrieben... in den warenproduzierenden, arbeitverherrlichenden Konkurrenzgesellschaften ist es dringend angebracht, daß der Großteil der Bevölkerung sich dringend in psychotherapeutische Behandlung begibt.

        • @Kaboom:

          Hä? Wieso unterstellen Sie Down lauter Sachen, von denen er/sie gar nichts schreibt?

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...entsetzlich finde ich, dass die EU, allen voran Frau Merkel und Herr Macron, Italien mit der ganzen Flüchtlingsproblematik alleine lässt. Gleiches gilt für Griechenland.

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Es gibt verschiedene EU-Partner, die Italien allein lassen.

      Wieso rechnen Sie da aber Merkel mitein?

       

      Man findet im Netz unterschiedliche Zahlen, aber Deutschland hat 2015 soviel aufgenommen, wie es Italien in mehrere Jahren tut. Auch in den anderen Jahren ist die Zahl in Italien nicht exorbitant höher.Auch nicht poportional zur Bevölkerung.

       

      In Griechenland sind es ebenfalls nicht die großen Zahlen. Das UNHCR spricht von 44.000 zu versorgenden Menschen 2017 in Griechenland.

      https://www.welt.de/politik/deutschland/article169640255/Griechenland-trickst-bei-der-Fluechtlingszahl.html

       

      Wo genau sehen Sie die Verantwortung Merkels für die ineffektive Verwaltung in beiden Staaten?

      • @rero:

        Greichenland hat 2012, Italien 2013 um Hilfe gebeten. Schäuble hat beides mit dem Hinweis, das ging D nichts an, kaltlächelnd abgelehnt. Italien hat anschliessend mehrfach und mehrstufig Reaktionen angekündigt. Irgendwann hat man den Flüchtlingen dann Zugkarten gegeben.

        Oder anders gesagt: Wenn Schäuble nicht so ein kleinkarierter Dummkopf wäre, hätten wir das Problem vermutlich gar nicht.

      • @rero:

        Frau Merkel ist eben immer für alles verantwortlich: dafür dass sich zu viel verändert, dafür dass sich zu wenig verändert; dafür dass die Politik zu links ist, dafür dass die Politik zu rechts ist; dafür, dass zu wenig für die Armen getan wird, dafür dass zu wenig für die reichen ("Leistungsträger") getan wird.

         

        Die Deutschen wollen eben keine Politker, sie wollen den Messias. Das alte Denken "Führer, komm und mache alles gut" ist immer noch prägend.

        • @Breitmaulfrosch:

          ...ist ja auch viel leichter. so "räumt einer auf" und zum schluss kann man immer sagen, ich wars nicht, es waren die anderen.