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Energieproduktion mit ÜberschussAufregung um „Stromgeschenk“

Trotz Milliardengewinnen beim Stromhandel: Wie mit Warnungen vor „negativen Strompreisen“ Stimmung gegen die Energiewende gemacht wird.

Negative Strompreise verminderten die Milliardengewinne nur minimal Foto: dpa

Berlin taz | Es klingt nach einem echten Skandal. „Deutsches Stromgeschenk“ titelte das Handelsblatt vergangene Woche und klagte mal wieder über den „Wahnsinn Energiewende“. Grund für die Aufregung: Wenn in Deutschland deutlich mehr Strom produziert als verbraucht wird, bilden sich negative Strompreise. Energieversorger – auch im Ausland – bekommen zu einem solchen Zeitpunkt Geld, wenn sie deutschen Strom abnehmen, statt dafür zu zahlen. „Die Kosten trägt der Verbraucher“, beklagt der Artikel.

Das ist im Grundsatz richtig. Doch es zeichnet ein völlig unvollständiges Bild. Tatsächlich waren die Strompreise im vergangenen Jahr nach Angaben der Bundesnetzagentur in 146 Stunden negativ. Das ist im Vergleich zu den Vorjahren zwar ein deutlicher Anstieg. Aber auch 146 Stunden sind gerade 1,6 Prozent der Stunden eines Jahres. Und auch in den übrigen 98,4 Prozent wurde viel Strom ins Ausland geliefert – und damit gutes Geld verdient.

Die Datenbank des Berliner Thinktanks Agora Energiewende zeigt, dass Deutschland im Jahr 2017 für den ins Ausland exportierten Strom 3,3 Milliarden Euro erhalten hat. Für Strom­importe wurden im gleichen Zeitraum 1,9 Milliarden Euro ausgegeben. Der Exportüberschuss betrug somit 1,4 Milliarden Euro.

Das lautstark kritisierte „Stromgeschenk“ hat daran nicht viel geändert: Die Energie, die in den Stunden mit negativen Strompreisen ins Ausland geliefert wurde, führte zu Kosten von knapp 41 Millionen Euro – und verminderte den Milliardengewinn des Stromhandels damit nur minimal.

Hauptsache, die Schlagzeile klingt gut

Doch solche Details spielen keine Rolle, wenn eine Schlagzeile gut klingt. Nicht nur in sozialen Medien wurde das „Stromgeschenk“ genutzt, um gegen die Energiewende zu hetzen. Auch andere Medien wie Spiegel Online verbreiteten die Handelsblatt-Zahlen eins zu eins weiter.

Und selbst die Politik nutzte sie, um vor den Sondierungsgesprächen von Union und SPD noch einmal Stimmung gegen den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien zu machen. „Wir können uns diesen Irrsinn auf Dauer nicht leisten“, sagte SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal dem Handelsblatt.

Im SPD-geführten Wirtschaftsministerium sieht man hingegen keinen akuten Handlungsbedarf. Negative Strompreise seien „kein neues Phänomen“, sagte eine Sprecherin der taz. Sie träten vor allem auf, wenn an verbrauchsschwachen Tagen viel Wind- und Sonnenstrom produziert werde, konventionelle Kraftwerke jedoch nicht ausreichend heruntergefahren würden.

Das Ministerium habe „kontiniuerlich daran gearbeitet, die Flexibilität das Stromerzeugungssystems zu erhöhen“ und damit die Wahrscheinlichkeit negativer Strompreise zu verringern.

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19 Kommentare

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  • Das eigentlich Perverse ist nicht die Tatsache der negativen Strompreise, die wie schon von vielen Vorrednern angesprochen ja ggf. auch Anreize sein können und für die konventionelle Erzeugung auch sind. Über Weihnachten 2017 (windreich, verbrauchsarm) war die konventionelle Erzeugung so niedrig, wie seit vielen Jahren nicht, weil die Betreiber natürlich versuchen sich wirtschaftlich zu optimieren.

    Das Schlimme, wo der Gesetzgeber aus meiner Sicht dringend nachjustieren muss, ist, dass z.B. Biomasse in solchen Marktlagen konstant durchläuft, weil die Betreiber dort aktuell Null (!) Anreiz haben, ihre Produktion bei negativen Marktpreisen zurück zu fahren. Sie kassieren fleißig die EEG-Umlage, weil sie Strom produzieren, den in diesem Moment niemand braucht. Und zahlen tun die (kleinen) Stromverbraucher. Übrigens auch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten höchst fragwürdig.

     

    @Stomberbodo:

    Ihr Beitrag ist nur zum Teil richtig, da konventionelle Kraftwerke natürlich technisch/wirtschaftlichen Beschränkungen bei der Mindestlast unterliege. Dies gilt aber für ALLE (!) konventionellen Kraftwerke und gerade auch für die hochgelobten GuD- und, wenn auch in geringerem Maße, für die offene Gasturbinen-Anlagen.

     

    Haraldo

    (Dipl.-Ing. Energietechnik)

  • Ein guter Artikel ist dies, weil der Hype um negative Strompreise tatsächlich dringend entschärft werden sollte. Der Strompreis ist aufgrund der schwankenden Angebots- und Nachfragekonstellation und nur sehr geringer Speicherkapazitäten zwangsläufig volatil. Eine Rückkehr zu Festpreisen aus gleichmäßig laufenden Grundlastkraftwerken ist nicht zu erwarten, da keine wetterunabhängige Technologie auf absehbare Zeit marktreif wird. Ein negativer Strompreis ist daher in erster Linie ein Anreiz, Speicher zu bauen und die Flexibilität der Stromverbraucher zu erhöhen. Ebenso wie ein hoher Strompreis zu Investitionen in effizientere Verbraucher oder sonstigen Stromsparmaßnahmen motiviert.

     

    Ich verstehe auch überhaupt nicht, wieso man sich über negative Preise mehr aufregt als über extrem hohe positive Stundenpreise von weit über 10 Cent/kWh Letztere sind in diesem und im letzten Winter häufiger angefallen als negative Preise und ein Indiz dafür, dass in Spitzenlastzeiten (kalter, nebliger, windarmer Werktag) die vorhandenen Erzeugungskapazitäten an ihre Grenzen stoßen und ein paar Stromerzeuger extrem viel Geld mit alten, ineffizienten Kraftwerken verdienen.

     

    Es muss in Speichertechnologien (Power to Gas) investiert werden. Das passiert erst, wenn Anreize und Planungssicherheit bestehen (Netzentgeltbefreiung für Stromspeicher). Der einzige Stromspeicher mit ausreichender Kapazität ist das vorhandene Erdgasnetz.

  • Trotz allen Schönredens über PV und Wind steigt der tägliche weltweite Erdölverbrauch. Und erst wenn das alle gelutscht ist, wird ein Umdenken einsetzen. Vielleicht ist es dann auch schon zu spät, wer weiß. Übrigens sind auch alle PV Anlagenhersteller und alle Windparkplaner und Betreiber am Kapitalismus interessiert. Ich wüsste jetzt keinen, der nicht gutbezahlte Geschäftsführer hat.

  • Negative Strompreise sollten als Chance angesehen werden.

    Businessmodel:

    Ich kaufe eine Batterie / oder einen Wasserstoff-Elektrolyseur.

    Ich bekomme Strom günstig oder bekomme noch Geld dafür, wenn es zu viel Strom gibt.

    Ich verkaufe den Strom bei hohen Preisen, wenn kein wind oder Sonne da ist.

     

    Dieses Konzept sollte grade bei Kapitalisten für Enthusiasmus sorgen.

    Geld verdienen, wenn man Strom bekommt und wenn man Strom abgibt.

    • 9G
      96702 (Profil gelöscht)
      @Ping:

      Das ist nicht bloß eine Chance sondern Realität seit Jahren. Österreich zum Beispiel verdient mit diesem Konzept nicht schlecht an uns. Nur werden da statt Batterien Pumpspeicherkraftwerke genutzt um der Energiemenge Herr zu werden.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Der Kapitalismus und seine Fans haben große Schwierigkeiten mit der Energie unserer Mutter Sonne.

    Was im Prinzip 'Kostenloses' war niemals eingeplant im Kapitalismus.

    Man sollte Sonne und Wind erstmal abschalten und zur Kernenergie zurückkehren. Oder?

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Kostenlos ist gar nichts. Auch die Umwandlung der Sonnenenergie in für den Menschen nutzbare Energie kostet Aufwand und Material. Sei es in der Herstellung von PV Modulen oder Wechselrichtern, sei es im Bergbau zur Förderung von Lithium, sei es in der Entsorgung gebrochener Windradflügel. Das alles benötigt wiederum Arbeit oder Energie.

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @Energiefuchs:

        Ich wollte gerne beschreiben, daß der Wind, der über den Meeren weht und woanders hin und wieder ganze Häuser wegbläst und daß die Sonnentemperatur die Oberfläche des gewaltigen Pazifik erwärmt, kostenlos sind. Sind wir uns bis dahin noch einig? Und das ist der große Brocken. Dagegen sind die Zutaten vergleichsweise preiswert.

  • Negativ Strompreise sind nur der Gipfel des Wahnsinns!

    Die "Gewinne" des Stromverkaufs sind eine Luftblase.

    Es wurden durchschnittlich 3,55 cent je kw/h erzielt dafür wurde eine vergütung von ca 9 cent kw/h für Windkraft, 15 cent bei Biomasse und 20 cent kw/h PV gezahlt. Bei ca 6 cent EEG Umlage je kw/h ist nur Windkraft annähernd kostendeckend. Ein sehr hoher Kostenpunkt ist natürlich die Befreiung der Industrie von dem EEG.

    Aber was sind schon ein paar Milliarden, bezahlt von der Allgemeinheit, wenn wir Deutschen alleine die Welt retten.

    übrigens: für import Strom wurde im durchschnitt 3,81 cent kw/h bezahlt

    • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
      @Günter Witte:

      Die erzielten 3,5 Cent/kWh entsprechen ziemlich genau dem, was im Schnitt auch in Deutschland an der Strombörse bezahlt wird. Es macht also keinen Unterschied, ob wir den Strom im Inland nutzen oder exportieren.

      • @Malte Kreutzfeldt:

        Entschuldigung, hab mich unverständlich ausgedrückt.

        Wenn man den Strom für ca.3.5 cent kaufen kann, warum subventioniert man im eigenen Land Methoden zur Stromerzeugung und vernichtet dabei Geld, welches man in Forschung nach effektiveren Bereichen nutzen könnte.

        Über Systeme außerhalb von Wind, Solar, Bio wird ja leider nicht diskutiert.

    • @Günter Witte:

      Geht es auch eine Nummer kleiner?

       

      Wenn Sie schon mit "durchschnittlichen ca. Werten" um sich werfen:

      Im Durchschnitt haben die Erzeuger für den exportierten Strom Geld bekommen.

      • @Sonntagssegler:

        Nicht kapiert,

        wir zahlen bei einzelnen Methoden der Stromerzeugung drauf.

  • Ein wahres Glück, dass wir den Strom kostenpflichtig entsorgen können, sonst müssten wir auch noch Speicher bauen, und das wäre ja wohl das Dümmste. Niemals power to gas.

    • @Gregor Tobias:

      Warum glaubst Du denn gibt es kein Unternehmen das sich sagt: Bevor der Strom zu negativen Preisen im Ausland entsorgt wird nehme ich Ihn gratis (oder zumindest zu einem geringeren Preis) und mach daraus Gas das ich später wieder verkaufen kann.

       

      Hmmmm, warum wird das wohl nicht gemacht? Liegt es vielleicht daran das es sich wirtschaftlich nicht rechnet? Weil die Anlagen zu teuer sind und/oder die Energieverlust bei der Umwandlung zu groß ist?

      • @DieLinkeIstRechtsGeworden:

        Nein,

        weil es den Strom zu selten "geschenkt" gibt.

    • @Gregor Tobias:

      Es ist ja auch immer so, dass der Strom, der da gegen Draufzahlung untergebracht werden muss, NUR der EE-Strom ist, NIE der aus den Kohle- oder Atommeilern, die nicht rechtzeitig oder nicht schnell genug heruntergefahren wurden oder werden konnten, DAS ist wirklich ein Wahnsinn, den wir uns nicht mehr lange leisten könne - es wird daher allerhöchste Zeit, diese Anlagen endgültig stillzulegen ....

    • @Gregor Tobias:

      Das ist wohl ein ironisch gemeinter Kommentar?

      Negative Strompreise sprechen doch in erster Linie dafür, dass die Erzeugungsplanung zu ineffektiv funktioniert. Kraftwerke (übrigens auch erneuerbare Ablagen) in erzeugungsstarken Zeiten abzuregeln ist technisch problemlos möglich.

      Damit sind zumindest dauerhafte negative Strompreise vermeidbar.

      Und es gibt schon heute viele Anwendungen, die einen profitablen Einsatz von Speichern ermöglichen. Die Tendenz steigt wegen der systemtechnischen Neuentwicklungen im Energiesektor und den gleichzeitig sinkenden Preisen.

      Es ist auf jeden Fall erforderlich, dass mehr Energiekonzerne die zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten und hoffentlich auch bald flexiblen Marktmodelle nutzen, die im Energiemarkt entstehen.

      • @Siebenschläfer:

        Strom aus Wind und Sonne lassen sich doch sofort abschalten