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„Anne Will“ zu KoalitionsbildungJamaika ist nicht sexy

Politiker aus der zweiten Reihe diskutieren, was eine Koalition aus Union, FDP und Grünen bedeuten könnte. Doch niemand wagt den großen Wurf.

Was tun, wenn die Menschen unzufrieden mit ihren Renten sind? „Zuwanderung effektiv begrenzen“, sagt Markus Söder (CSU) Foto: dpa

„Wir müssen mal in die Gänge kommen“, sagt der Grünen-Politiker Robert Habeck kurz vor Ende der Sendung. Er meint die großen Verhandlungen über die Koalition aus Union, FDP und Grünen, aber es könnte auch im Kleinen für diese Sendung gelten. Fast eine Stunde ist in der ARD-Talksendung „Anne Will“ vergangen, aber was ein künftiges Jamaika-Bündnis bedeuten könnte, ist nicht wirklich deutlich geworden. Vielleicht irgendetwas mit Heimat, was auf Vorschlag des Süddeutsche-Politikchefs Heribert Prantl „Wiederbeheimatung“ heißen könnte.

Was wäre toll an einer Jamaika-Koalition?, fragt Anne Will Bayerns Heimatminister Markus Söder (CSU) und der antwortet „Puhhh“. Die FDPlerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann möchte lieber von „Schwampel“ (Kurz für: „Schwarze Ampel“) sprechen, weil das „weniger sexy“ klinge, denn die angedachte Koalition sei auch gar nicht so sexy. Und auch Robert Habeck glaubt, dass Jamaika „grob gesprochen“ nicht zum Wahlergebnis passe. Die Grünen und die FDP seien zu dynamisch und die Menschen wollten doch „weniger Aufbruch“.

Man merkt, dass niemand so richtig über Jamaika sprechen möchte. Schon die Auswahl der Partei-Delegierten macht das deutlich: Es sind Politiker der zweiten, vielleicht sogar dritten Reihe, die dort über die kommende Regierung sprechen sollen. Und viel haben sie nicht zu sagen. Vielleicht weil sie wissen, wie schwer die echten Verhandlungen sein werden. Aber es gibt auch niemanden, der Jamaika ausdrücklich ablehnt: Irgendwie wird es Pflicht sein, irgendwie werden sich die Parteien – sehr schwierig – einig werden müssen. Nein, niemand will die Koalition aus „Kleinstegoismen“ platzen lassen.

Die Debatte ist zäh und sie kommt immer wieder ab vom eigentlichen Thema. Am schlimmsten treibt es Söder, der bei jeder Frage auf Einwanderung und Abschiebung zu sprechen kommt. Die Leute seien wütend, weil ein paar Euro Rentenerhöhung große Debatten auslösen würden, aber für Flüchtlinge gleich Milliarden mobilisiert würden, sagt er. Die Lösung: „Zuwanderung effektiv begrenzen“. Wirklich? Nicht etwa Renten erhöhen? Das fragt leider niemand.

Kurz wird es leidenschaftlich

Ebenso monothematisch ist die sächsische Staatsministerin für Integration, die SPDlerin Petra Köpping, die zwar zugibt, dass es in Sachsen ein Problem mit Rechtsradikalismus gibt, aber immer wieder um Verständnis für die Menschen im Osten wirbt: „Alles was die Menschen gemacht haben, wurde [bei der Wiedervereinigung, Anm. d. Autors] über den Haufen geworfen“. Man müsse den Menschen jetzt zuhören, das habe sie selbst getan. Nur leider berichtet sie nicht, was sie gehört hat und was getan werden müsse.

Kurz wird es mal leidenschaftlich, aber wieder geht es nicht um Jamaika. „Wie Sie nach Afghanistan abschieben lassen, ist eine Sauerei und menschrechtswidrig“, fährt Heribert Prantl den CSU-Mann Söder an. Der verbittet sich den Tonfall. Prantl wird leiser, dann schwampelt es weiter. In die Gänge kommt an diesem Abend niemand.

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9 Kommentare

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  • Who the hell ist A.W.?

  • Gut...

     

    "Jamaika" ist nur eine Notlösung, die von der Verzweiflung diktiert ist. Da agieren Machttechnokraten.

    Deutschland wird langsam unregierbar. Deshalb folgt nun der Fluch der Karibik.

    Aber "uns" geht es ja gut...

  • „Was tun, wenn die Menschen unzufrieden mit ihren Renten sind? „Zuwanderung effektiv begrenzen“, sagt Markus Söder (CSU).“

     

    Nein Herr Söder, da irren Sie sich total. Kein Wunder, dass es so viele Menschen im Osten mit der Politik unzufrieden sind! Und kein Wunder, dass die AfD so stark wurde!

     

    Viele Menschen in Deutschland haben so niedrige Renten, dass Sie am Essen sparen müssen und deren Gesundheit verschlechtert sich.

     

    Da steht was z. B. im Artikel 20 GG. Aber auch im EU Recht und im Völkerrecht.

     

    Was unser Land brauch, Herr Söder, ist eine Mindestrente, die geschlechtstunabhängig ist und auch Menschen im Osten nicht diskriminiert. Übrigens, Herr Söder, die soziale Diskriminierung ist auch verboten!

     

    Wissen Sie, Herr Söder, warum unser Rentensystem nicht so sozial und gerecht ist, wie es sein muss?

     

    Weil Menschen wie Sie, Herr Söder, es niemals am eigenen Leib gespürt haben, wie es ist, am Essen zu sparen und an Unterernährung oder falscher Ernährung zu leiden! Millionen in unserem Land (nicht nur Rentner) müssen das tagtäglich spüren und leiden.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Ebenso monothematisch ist die sächsische Staatsministerin für Integration, die SPDlerin Petra Köpping, die zwar zugibt, dass es in Sachsen ein Problem mit Rechtsradikalismus gibt, aber immer wieder um Verständnis für die Menschen im Osten wirbt: „Alles was die Menschen gemacht haben, wurde [bei der Wiedervereinigung, Anm. d. Autors] über den Haufen geworfen“. Man müsse den Menschen jetzt zuhören, das habe sie selbst getan. Nur leider berichtet sie nicht, was sie gehört hat und was getan werden müsse."

     

    Frau Köpping war schon in der DDR Bürgermeisterin von Großpösna und für sie gibt es anscheinend immer noch so etwas wie eine "ostdeutsche Identität".

    Als (wirklich) linker Sachse muss ich sagen, es gibt "die Menschen aus dem Osten" gar nicht, die gemeinsam um "Verständnis" hoffen. Verstehen muss man warum es solche Probleme gibt, aber Verständnis muss dafür niemand mehr aufbringen.

     

    Sie selber macht die gleiche pauschale Vorverurteilung, wie die so oft angeklagte "Wessiarroganz" (die es ja leider auch hier und da noch gibt).

     

    Deswegen muss ich hier im Sinne des Unterschieds protestieren:

    Ich brauche kein "Verständnis", höchstens Ernsthaftigkeit!

  • Verglichen mit anderen 'Anne Will'-Sendungen fand ich den Abend ganz anregend. Statt zweiter Reihe habe ich eher kommende Kräfte gesehen. Mit Ausnahme von Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie hat als einzige, den Schuss nicht gehört und weiter Wahlkampf gemacht.

     

    Für den Zuschauer natürlich unbefriedigend, war das Ungesagte der rote Faden der Sendung. Niemand wollte den Verhandlungen vorausgreifen. Schuld mag das unselige Papier über abgesprochene Ministerposten sein. Auch wenn es alle Seiten als Fake sehen, will niemand mit einer unbedachten Äußerung Fakten schaffen. Das lässt auf ernsthafte Koalitionsrunden hoffen.

     

    Um zu einer funktionsfähigen Regierung zu kommen, müssen die Verirrungen eines Labyrinthes entwirrt werden. Diese Fernseh-Talks leiden daran, dass zu sehr auf Themen insistiert wird. Wenn die Antwort nicht zur Frage passt, sollten wir das respektieren. Wäre das Ziel bekannt, bräuchte es keine Koalitionsrunden. Was gibt es Trennendes, was eint die Partner? Die geschickte Verlagerung von Schwerpunkten könnte die richtige Methode sein.

  • Jamaika wäre nicht nur nicht sexy, sondern auch nicht realistisch.

    Während CDU, CSU und FDP traditionell ganz gut zusammenpassen, wären die Grünen weit außen vor. Ihr Wertegefüge ist diametral entgegengesetzt dem der Kapitalismusjünger in den schwarz-gelben Parteien. Entweder sie verkaufen sich und agieren nur noch als Stimmvieh, oder sie versuchen mitzureden und müssen schmerzliche Kompromisse machen. Beides hätte zur Folge, dass sie in vier Jahren unwählbar sind und in der Versenkung verschwinden.

    Bisher hat es noch jeden Koalitionspartner der CDU-CSU zerrieben. Sogar eine ehemals große SPD wurde fast bedeutungslos, hatte gerade mal 8 Prozent mehr Stimmen als die Rechtspopulisten. Es wäre wohl reeller, wenn Rot-Grün als Opposition zusammenfinden könnte.

    • @Läufer:

      Und dann? Gibt´s eben keine Regierung .... Ihre Eintilung in "links" und "rechts" bestehe ich als in NRW lebender ohnehin nicht. Die SPD ist eine beinharte und strukturkonservative Industriepartei. Die hat absolut nichts gegen den Kapitalismus. Die SPD besteht darauf, dass hier flächendeckend jahrhundertealte Kulturlandschaften weggebaggert werden, damit die Leute (die "Kumpel") ja auch bis zur Rente dasselbe Zerstörungswerk an Landscahft und Klima fortsetzen können, das auch schon ihre Großväter betrieben haben.

       

      Eine Gesellschaft, in der Industriearbeit wegdigitalisiert worden ist, kann sich die SPD noch nicht einmal vorstellen, geschweige denn gestalten. Da hat ein Mensch eben nur dann ein gutes Leben geführt, wenn am Ende Staublunge und kaputter Rücken stehen.

       

      Und in dieser Beziehung haben Grüne, FDP, CDU und sogar auch CSU eben doch sehr viel gemeinsam.

       

      Und was die Flüchtlinge bzw. Migranten angeht: da haben sich die Linken in SPD und Linkspartei ja schon drauf verständigt, dass man den Armen weltweit erst dann helfen kann, wenn der Kapitalismus abgeschafft ist. Also nie. Und solange macht man eben die Grenzen dicht und träumt von seinem sozialistischen Schrebergarten, in dem auf immer die Guten (also man selbst) regieren.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Breitmaulfrosch:

        Also die Linken in der Linkspartei lehnen jedes parteiprogramm-widrige Gelaber von Lafontaine oder Wagenknecht ab.

        Die Linksjugend Sachsen hat Wagenknecht schon lange das Vertrauen entzogen, weil sie sich nicht an die Beschlüsse hält und weil sie im Fernsehen mit Frauke Petry flirtet.

        Die Linke hat ein massives Öffentlichkeitsprblem und das liegt an Altkadern wie Lafontaine, Wagenknecht oder Dehm (der so tut als könne Rußland in die EU, was auch beschämend ist für den "normalen" mehr oder weniger radikal linken Teil der Partei).

    • @Läufer:

      Klar, und regieren tun dann CDU/CSU mit der FPD und der AfD? Oder wie? Was wollen Sie, einen Bürgerkrieg?