SPD und Linke in der Oppostion: Rot-Rot ist sich nicht grün
Kaum ist Andrea Nahles Fraktionschefin der SPD, schon provoziert sie die Linke. Was wird jetzt aus dem Mitte-Links-Bündnis?
Als Thomas Oppermann am Mittwoch im Reichstag verkündet, dass Andrea Nahles mit mehr als 90 Prozent gewählt wurde, strahlt die neue Chefin über das ganze Gesicht. Die erste Frau, die die SPD-Bundestagsfraktion führt. Ein Hoffnungsschimmer in finsteren Tagen. So sehen es viele SPD-Linke. Es ist die alte Erzählung von Krise und Chance.
Sie sei „glücklich“, sagt Nahles und kündigt eine „Erneuerung und leidenschaftliche Opposition“ an. Was man so sagt, wenn die Niederlage furchtbar war. Und was ist mit der Linkspartei, mit der die SPD demnächst gemeinsam Opposition gegen Jamaika machen könnte? Gibt es da eine Entkrampfung?
Was folgt, ist ein abgründiger Moment an diesem Nachmittag, der von Neubeginn und Frische künden soll. Die Linkspartei müsse gefälligst „erst mal klären, ob sie im Parlament mit der AfD zusammenarbeiten“ will, sagt die neue starke Frau der Sozialdemokratie. Darüber gebe es in der Linkspartei eine Debatte.
Krass. Bildet sich da eine Superquerfront, vor der uns nur noch die SPD, das selbsterklärte „Bollwerk der Demokratie“ (Martin Schulz), retten kann? Auch Nahles’ Pressesprecherin weiß nicht, woher Nahles diese Information hat. Kein Wunder, es gibt keine solche Debatte in der Linkspartei.
Der Vize der Linksfraktion, Jan Korte, bescheinigt der neuen SPD-Hoffnung „den denkbar schlechtesten Start als Oppositionsführerin“. In Bitterfeld, seinem Wahlkreis, hatte er eine Woche vor der Wahl mit den CDU- und FDP-Kandidaten einen gemeinsamem Aufruf gegen die Rechtspopulisten verfasst. „Wir sind bereit, auch mit Blödsinn quatschenden Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, mit Rassisten werden wir das aber niemals tun“, ätzt Korte, einer der Aktivposten für eine rot-rot-grüne Annäherung.
Im Karl-Liebknecht-Haus reagiert man auf Nahles Einlassung gelassen. „Auch den Sozialdemokraten muss klar sein: Wenn sie in Zukunft Minderheitenrechte im Bundestag wahrnehmen wollen, dann geht das nur mit der Linken“, heißt es aus der Parteizentrale.
Empfohlener externer Inhalt
So ist es. Egal, ob die Opposition künftig Untersuchungsausschüsse oder eine Enquetekommission einsetzen will oder gar ein Misstrauensvotum gegen die Bundeskanzlerin plant – sie muss jeweils ein Viertel der Mitglieder des Bundestags auf ihre Seite bringen. Aktuell entspricht das 178 Abgeordneten, die SPD stellt jedoch nur 153. Gehen die Grünen in die Regierung, bleibt die Linkspartei als einzig annehmbare Verbündete.
Doch dabei geht es erst einmal nur um Zweckbündnisse. Die kleine Keilerei zwischen Nahles und der Linkspartei zeigt: Das verhakte Verhältnis wird sich auf den Oppositionsbänken nicht automatisch entspannen. Solange das Reiz-Reaktions-Schema wie von selbst funktioniert, bleibt das linke Spektrum blockiert.
In weiter Ferne
Thomas Nord, Abgeordneter und Schatzmeister der Linkspartei, klingt am Telefon resigniert. In der gerade beendeten Legislaturperiode hat er zusammen mit Bundestagskollegen wie Axel Schäfer von der SPD und Frithjof Schmidt von den Grünen an einem rot-rot-grünen Bündnis gewerkelt, abgekürzt R2G. Bis zu 150 Abgeordnete meldeten sich in Hochzeiten zu den Treffen an. Nun meint Nord: „Die machtpolitische Perspektive R2G existiert auf absehbare Zeit nicht mehr.“
20 Jahre lang war Rot-Rot-Grün ein Projekt, das mit dem Verweis auf die fast ununterbrochene faktische Mehrheit aller drei Parteien lediglich der Umsetzung zu harren schien. Wie ein Zug, der im Bahnhof steht und wartet, dass jemand einsteigt. Doch der Zug ist weg, zum zweiten Mal seit 1990 stimmte nur noch eine Minderheit der Wähler für Grüne, SPD oder Linke. „Ob die Mehrheit jemals wiederkommt, steht für mich in den Sternen“, sagt Nord.
Für den Bundestag heißt das: Die regelmäßigen Treffen der Abgeordneten von Linker, Grünen und SPD werden im Oktober, wenn der neue Bundestag zusammentritt, zunächst nicht wieder aufgenommen. „Diese Wahl war eine Zäsur. Es gibt keine automatische Fortsetzung bisheriger Debatten, kein business as usual“, sagt Nord.
Die Bundestagswahl hat die Parteien und Fraktionen durcheinandergewirbelt. In der Linkspartei, deren Hochburgen im Osten bröckeln, brechen alte Konflikte wieder auf – der Exfraktionschef Oskar Lafontaine kritisiert die „verfehlte Flüchtlingspolitik“ der Partei, Exfraktionschef Gregor Gysi widerspricht.
Noch härter getroffen hat es die SPD, die auf 20,5 Prozent schrumpft und etwa gleich viele Wähler in alle Richtungen verloren hat – an Grüne und AfD, Linkspartei und FDP. Eine diffuse Botschaft, aus der sich nicht schlussfolgern lässt, ob die SPD mehr oder weniger auf soziale Gerechtigkeit setzen soll, auf liberale oder harte Flüchtlingspolitik. Diese Krise, sagt ein SPD-Linker, ist fundamental. Die Ratlosigkeit auch.
„Wir müssen uns jetzt erst mal sammeln und neu aufstellen“, sagt Axel Schäfer, der in Bochum erneut das Direktmandat für die SPD holte. Für ihn als SPD-Linken steht außer Frage, dass seine Partei jetzt nach links rücken muss: „Eine Gesellschaft, die nach rechts driftet, braucht ein linkes Gegengewicht. Es ist wie auf einer rechtslastigen Wippe – wer dort in der Mitte bleibt, rutscht selbst nach rechts“, sagt Schäfer.
Er selbst hat sich als Fraktionsvize vor der Wahl weit für Rot-Rot-Grün aus dem Fenster gelehnt – zu weit nach dem Geschmack vieler SPD-Granden.
Unversöhnliche Linke
Doch auch die Linkspartei in Schäfers Bundesland Nordrhein-Westfalen, in dem Sahra Wagenknecht ihren Landesverband hat, reagierte auf rot-rote Annäherungsversuche bisher mehrheitlich allergisch und skandierte unverdrossen: Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!
In die neue Bundestagsfraktion der Linken entsendet Nordrhein-Westfalen zwölf Abgeordnete. Überhaupt haben die traditionell regierungskritischen Westlinken in der Linkspartei deutlich zugelegt, die Pragmatiker aus den Ostverbänden werden nur noch ein Drittel der blauen Fraktionssitze besetzen.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Katja Kipping, die als Parteichefin ebenfalls wieder im Bundestag vertreten ist, glaubt aber, dass die neuen Fraktionsmitglieder sich weniger um eingeübte Strömungsdebatten scheren werden, als es bisher üblich war. „Die sind undogmatisch“, sagt Kipping und blickt aus dem Fenster des Karl-Liebknecht-Hauses zur gegenüberliegenden Volksbühne, die ein Künstlerkollektiv eine Woche besetzt hatte. Gerade räumt die Polizei. „Die neuen Abgeordneten haben gewisse Sympathien für ungewöhnliche Politikaktionen wie solch eine Besetzung“, meint Kipping.
Die Parteichefin, die unverdrossen für ein Mitte-links-Bündnis wirbt und auch stilles Vorstandsmitglied im rot-rot-grünen Thinktank Institut Solidarische Moderne ist, verbreitet vorsichtigen Optimismus.
„Wenn SPD und Linke gemeinsam in der Opposition sind, kann das eine Chance sein für das Mitte-links-Lager, sich neu aufzustellen“, sagt Kipping und nennt gemeinsame Themen, die man zusammen mit der SPD beackern könnte: eine solidarische Einwanderungsgesellschaft, die Bekämpfung des Klimawandels, eine Bürgerversicherung und die Gestaltung der digitalen Arbeitswelt von morgen zum Wohle aller.
Axel Schäfer und andere SPD-Linke fordern von der Linkspartei zunächst aber, dass Wagenknecht und Co das Feuer einstellen und aufhören, die SPD als Hauptgegner zu attackieren.
Diese Fixierung gibt es aber andersherum auch bei der Sozialdemokratie. SPD-Rechte, die die Linkspartei zum Teufel wünschen und am liebsten zerstören würden, fangen in Hintergrundgesprächen oft nach einer Weile an zu räsonieren, ob man – zuerst im Osten – nicht doch eine Fusion der beiden Parteien ins Auge fassen sollte.
Wo Vernichtungsfantasie und Versöhnungswunsch so nah beieinander siedeln, würde mancher Paartherapeut wohl das Handtuch werfen.
Gesine Schwan, eine der wenigen SPD-Intellektuellen, hofft in diesem vertrackten Verhältnis auf Andrea Nahles. Sie attestiert ihr Beharrlichkeit und Klugheit. Nahles ist die Schlüsselfigur der SPD in den nächsten Jahren. „Sie passt nicht in die Kategorie Opportunistin“, sagt Schwan. Und: „Ihre langfristige Perspektive ist es, Brücken zur Linkspartei zu bauen.“ Am Tag eins von Nahles’ neuer Karriere sah das aber eher nach einer gezielten Sprengung aus.
Was bleibt von Rot-Rot-Grün? „Gute persönliche Kontakte zu Abgeordneten von SPD und Grünen“, sagt Thomas Nord von der Linkspartei. Mit Axel Schäfer hat er diese Woche mal einen Kaffee getrunken. Im Bundestag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will