Kommentar Abgasskandal: Das Diesel-Märchen geht weiter
Von den Grünen bis zu Unionspolitikern herrscht Einigkeit: Sie alle wollen Diesel-Fahrverbote verhindern. Die Gerichte werden da nicht mitmachen.
D afür, dass gerade Wahlkampf ist, herrschte beim zweiten Dieselgipfel im Kanzleramt eine erstaunliche Einigkeit: Alle anwesenden Parteivertreter von Grünen bis Union freuen sich über ein bisschen mehr Geld für Kommunen mit besonders giftiger Luft – und betonen dabei, dass sie Fahrverbote um jeden Preis verhindern wollen. Freie Fahrt für dreckige Autos ist also weiterhin parteiübergreifend wichtiger als saubere Luft für geplagte Innenstadtbewohner.
Das ist nicht nur politisch unklug – gerade in den Städten dürfte es mehr Menschen geben, die unter alten Dieseln leiden, als solche, die sie fahren. Das Versprechen, Fahrverbote zu verhindern, ist zudem ein leeres. In München und Stuttgart haben die Gerichte bereits klargemacht, dass sie keinen anderen Weg sehen, die vorgeschriebenen Stickoxid-Grenzwerte einzuhalten.
Auch sonst bekommt das Märchen vom sauberen Diesel in diesem Wahlkampf immer neue Kapitel. Im TV-Duell mit dem SPD-Kandidaten Martin Schulz behauptete Angela Merkel ernsthaft, dass die Stickoxid-Grenzwerte in den Städten auch dann nicht eingehalten würden, wenn die Autos keine überhöhten Emissionen hätten. Widerspruch für diese Falschaussage gab es weder von den Moderatoren noch vom politischen Gegner.
Und das ist leider keine Ausnahme. Die SPD entpuppt sich in diesem Wahlkampf als umweltpolitischer Totalausfall. Während die zuständige Ministerin Barbara Hendricks sich bei Klimaschutz und Abgasskandal zumindest verbal um konstruktive Lösungen bemüht hat, gibt Sigmar Gabriel nun wieder den Auto-Vizekanzler, der für Verbrennungsmotoren und gegen den Kohleausstieg kämpft. Und Schulz schweigt zu diesen Themen einfach komplett, schon im TV-Duell fehlten Fragen zur Klimapolitik.
Ähnlich widersprüchlich agieren die Grünen: Die Partei macht klare Vorgaben, etwa zum Ende des Verbrennungsmotors, doch die Spitzenkandidaten schwächen diese mit Rücksicht auf mögliche Koalitionspartner ab. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann preist Diesel als klimafreundlich und betont die wirtschaftliche Bedeutung von Daimler und Porsche.
Einen Wahlkampf gegen den Diesel traut sich in Deutschland noch immer keine Partei. Diese Rückwärtsgewandtheit wird sich noch bitter rächen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“