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Theater in RusslandDer zweite Tod von Rudolf Nurejew

Ein Ballett über den legendären schwulen Tänzer wird aus dem Programm des Bolschoi entfernt. Angeblich sei es zu schlecht vorbereitet.

Setzten das Nurejew-Stück ab: Bolschoi-Generaldirektor Wladimir Urin (rechts) und Ballettdirektor Machar Wasijew Foto: dpa

Moskau taz | „‚Nurejew‘ sprang in die Geschichte“, schrieb die Zeitung Kommersant. Das Ballett über den legendären russischen Tänzer Rudolf Nurejew am Moskauer Bolschoi-Theater wurde drei Tage vor der Premiere aus dem Programm genommen.

Künstlerische Unfertigkeiten seien Anlass für die Verschiebung auf den nächsten Mai gewesen, gab das Theater als Begründung an. Moskaus Kulturszene schwant Schlimmeres. Mit der Verlegung dürfte das Ballett für immer im Archiv verschwinden.

Startänzer Nurejew ist für die auf Reinheit bedachten Kulturpolitiker Russlands eine umstrittene Figur. 1961 setzte sich der begnadete Tänzer in den Westen ab. In Frankreich beantragte er politisches Asyl, nachdem er sich mit KGB-Aufpassern beim Pariser Gastspiel überworfen hatte. Gelernt hatte Nurejew das Tanzen bei einer Ballerina, die aus St. Petersburg wegen politischer Unzuverlässigkeit verbannt worden war.

Nurejew war homosexuell und machte daraus keinen Hehl. 1993 starb er nach einer langen Affäre mit einem dänischen Tänzer an Aids. Momente, die für sich genommen schon ausreichen, um Nurejews Andenken in der russischen Öffentlichkeit nicht unbedingt zu bewahren.

Ministerium streitet Einmischung ab

Hinter der Verschiebung soll Kulturminister Wladimir Medinski stecken, berichtete die staatliche Agentur Tass zunächst. Der Minister befürchte, die Aufführung könnte Homosexualität unter Jugendlichen anpreisen. Seit 2013 gibt es ein Gesetz, das die „Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen“ unter Jugendlichen verbietet.

Das Kulturministerium streitet ab, sich eingeschaltet zu haben: „Wir greifen nicht in die Auswahl des Repertoires ein und üben auch keine Zensur aus“, teilte die Behörde mit. Sie folge nur dem Vorschlag des Theaterdirektors Wladimir Urin, der den Aufschub mit der „dürftigen“ Vorbereitung der Balletttruppe begründete. Dies dürfte jedoch erst nach dem Gespräch mit dem Minister gewesen sein.

Wir greifen nicht in die Auswahl des Repertoires ein

Russisches Kulturministerium

Der Kommersant war von der Aufführung begeistert. Die Rezensentin hatte Mitschnitte der letzten Probe angeschaut und urteilte euphorisch: „weltbeste Ballettaufführung des 21. Jahrhunderts“. Um im Genre zu bleiben: geschichtsträchtig, auch wenn es nicht zur Aufführung gelangen sollte. Trotz nackter, transparent verpackter Männer kein Hauch von Vulgarität, so die Kritikerin. Es sei ein Stück über Liebe: zum Tanz, zum Leben, zur Freiheit.

Die Regie führte Russlands Starregisseur Kirill Serebrennikow. Bekennender Schwuler und seit einigen Monaten unerwartet auch Russlands schöngeistiger Prügelknabe. Er hat das Gogol-Zentrum in Moskau zu einem künstlerischen Kraftzentrum ganz Russlands entwickelt. Serebrennikow ist kein Oppositionspolitiker, aber jemand der laut anders denkt.

Geld zurückgeschickt

Als Medinski ihn vor vier Jahren beauftragte, einen Tschaikowsky-Film zu drehen und dabei die Homosexualität des Komponisten zugunsten seines Genies zu normalisieren, sozusagen, schickte er dem Minister das Geld zurück.

Medinski nahm es dem Regisseur wohl übel. Im Frühjahr wurde das Gogol-Zentrum Schauplatz polizeilicher Durchsuchungen. Mehrere Stunden wurde der Regisseur bei der Polizei vernommen. Angeblich soll das Theater staatliche Gelder für eine Aufführung von Shake­spears „Sommernachtstraum“ unterschlagen haben.

Dass das Stück mehr als ein dutzendmal in Moskau gezeigt wurde, Zeitungen darüber berichteten und die Theatertruppe auf Festivals im Ausland gastierte, reichte den Klägern nicht. Rezensionen und Videoclips ließen sich auch bestellen, hieß es. Existent ist nur, was die Behörde als solches anerkennt.

Dies könnte auch aus der Feder Nikolai Gogols stammen, der dem Zentrum den Namen verlieh und als einer der ersten Schriftsteller die häufige Kongruenz von Realsatire und Wirklichkeit im Russland des 19. Jahrhunderts beschrieb.

Applaus und Hochrufe

Sein Leben verlaufe zwischen einem Theaterstück, das es nicht geben wird, und einem, das es nicht gegeben hat, kommentierte Serebrennikow die letzten Erfahrungen. Die Schauspieler im Gogol-Zentrum lachten angestrengt. Sie hatten gerade vor der Sommerpause noch einmal den „Sommernachtstraum“ gespielt, den es eigentlich nicht gibt.

Publikum und Künstler halten noch zu Kirill Serebrennikow, der zurzeit auch in Stuttgart und Berlin inszeniert. Demonstrativer, minutenlanger Applaus und Hochrufe begleiten ihn noch nach jeder Aufführung.

Der Hinweis auf das Aufführungsverbot des Kulturministers wegen schwuler Propaganda ist aus der staatlichen Agentur inzwischen verschwunden. Auf der Website des staatlichen Fernsehens ist die Information unterdessen noch zugänglich.

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