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Türkei auf dem G-20-GipfelTausche Yücel gegen Freihandel

Recep Tayyip Erdoğan will ein neues Zollabkommen mit der EU. Die Bundesregierung fordert dafür die Rückkehr der Demokratie in der Türkei.

Erdogan drängt wegen schlechter Wirtschaftslage in der Türkei auf ein Freihandelsabkommen mit der EU Foto: ap

Berlin taz | Das erste Ergebnis lieferte der G-20-Gipfel sieben Tage vor seinem Beginn. Am Freitagvormittag verschickte das Auswärtige Amt ein Schreiben an alle ausländischen Diplomaten in Deutschland. In der Rundnote fasste das Ministerium noch mal zusammen, was Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) schon am Vortag angekündigt hatte: die neuen Regeln für Auftritte ausländischer Regierungsvertreter in Deutschland.

Wer als Amtsträger vor seinen Wählern in Deutschland auftreten will, braucht eine Genehmigung der Bundesregierung. Drei Monate vor Wahlen im Heimatland gibt es grundsätzlich keine Genehmigung. Eine Ausnahme gibt es nur für Regierungsvertreter aus EU-Staaten.

Klar: Die neue Vorschrift ist ein Lex-Erdoğan. Mit dem ­Schreiben an die Diplomaten reagierte das Auswärtige Amt auf die Ankündigung des türkischen Präsidenten, am Rande des G-20-Gipfels in Deutschland vor AKP-Anhängern auftreten zu wollen. Aus diesem Plan wird nun offenbar nichts, aber nach Hamburg reist Recep Tayyip Erdoğan in dieser Woche trotzdem. Die Bundesregierung zumindest geht nicht davon aus, dass der türkische Präsident aus Rache für das Auftrittsverbot gleich den ganzen Gipfel sausen lässt.

Dafür gebe es keine Hinweise, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. Und weiter: „Ich möchte für die Bundesregierung betonen, dass Präsident Erdoğan ein wichtiger Gast ist für uns und wir es begrüßen, wenn er am G-20-Gipfel teilnimmt.“

Offen ließ der Regierungssprecher zunächst, ob Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Rande des Gipfels ein bilaterales Treffen mit Erdoğan plant. Zuletzt sprachen die beiden während des Brüsseler Nato-Gipfels Ende Mai für eine halbe Stunde miteinander. Eines der Problemthemen ist seitdem so gut wie abgeräumt: Der Streit um das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter bei der Bundeswehr im türkischen Incirlik. Die Bundesregierung hat die Verlegung der Soldaten nach Jordanien beschlossen; läuft alles nach Plan, ziehen die ersten Flugzeuge in diesen Tagen um.

Ich möchte für die Bundesregierung betonen, dass Präsident Erdoğan ein wichtiger Gast ist und wir es begrüßen, wenn er am G-20-­Gipfel teilnimmt

Regierungssprecher Steffen Seibert

Genug Stoff für ein Vieraugengespräch in Hamburg bliebe Merkel und Erdoğan trotzdem: Die Zahl der deutschen Staatsbürger, die in Folge des Putschversuchs und der türkischen Repressionen in Haft sitzen, ist zuletzt von sechs auf neun gestiegen. Die Bundesregierung klagt darüber, dass die türkischen Behörden sie in mehreren Fällen nicht über die Festnahmen informiert hätten – obwohl völkerrechtliche Vereinbarungen dies vorsehen. Umgekehrt beschwert sich die türkische Regierung über Asylentscheidungen der deutschen Behörden. Sie fordert die Auslieferung türkischer Soldaten, denen sie eine Beteiligung am Putschversuch vorwirft und die deshalb in Deutschland Schutz erhalten. Insgesamt beschieden die deutschen Behörden allein im Mai rund 750 Asylanträge türkischer Staatsbürger positiv.

In den offiziellen Arbeitssitzungen der G-20-Regierungschefs werden diese Themen nach Regierungsangaben aber keine Rolle spielen. „Es ist kein Gipfel über die bilateralen deutsch-türkischen Verhältnisse“, sagte Regierungssprecher Seibert. Es gelte das offizielle Gipfelprogramm – für alle Teilnehmer.

Ausweitung der Zollunion

Mit Blick auf die Türkei ist dabei vor allem ein Punkt auf der Tagesordnung der Gastgeber interessant. „Mein Ziel ist es, dass vom G-20-Gipfel ein deutliches Signal für freie Märkte ausgeht“, sagte Merkel in der vergangenen Woche im Bundestag. „Abschottung und Handelsbeschränkungen“ seien hingegen keine Lösung. Dieser Schwerpunkt dürfte auf den Protektionismus von Donald Trump und der britischen Brexit-Befürworter abzielen. Gleichzeitig liefert er aber auch Argumente für ein Ansinnen der türkischen Regierung.

Seit Langem wirbt Erdoğan darum, die Zollunion zwischen der EU und der Türkei auszuweiten. Seit 1996 besteht zwischen beiden Seiten ein Abkommen darüber, im gemeinsamen Handel auf Zölle zu verzichten. Das Abkommen gilt bislang aber nicht für alle Wirtschaftsbereiche.

Mit einem EU-Beitritt der Türkei würde sich diese Einschränkungen erledigen, damit ist so schnell aber nicht mehr zu rechnen. Da die türkische Wirtschaft zudem auf eine ernsthafte Krise zusteuert, drängt Ankara darauf, das Abkommen auf weitere Branchen auszuweiten.

Die EU-Kommission unterstützt dieses Ziel grundsätzlich. Außenminister Sigmar Gabriel hat zuletzt aber deutlich gemacht: Wenn es nach ihm geht, wird die Bundesregierung am Ende nur zustimmen, wenn die Türkei im Gegenzug ihren Demokratieabbau zurückdreht.

Sprechen die Regierungschefs in Hamburg tatsächlich über das Zollabkommen, ist eine Annäherung daher nur schwer vorstellbar. Harmonie zwischen Deutschen, den restlichen Europäern und den Türken dürfte es dafür bei einem anderen Thema geben: Laut Bundesregierung wollen die Gipfelteilnehmer in ihren Sitzungen auch über die „Bewältigung der Migrations- und Flüchtlingskrise“ beraten. Mögen die gemeinsamen Beziehungen derzeit auch noch so kompliziert sein – mit der Rolle der Türkei als Helfer in der Flüchtlingsabwehr sind die Europäer nach wie vor vollkommen zufrieden.

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2 Kommentare

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  • [...]

    Das Zollabkommen mit der Türkei nützt der EU mehr als der Türkei,darüber berichtet natürllich niemand.

     

    Kommentar gekürzt. Hinweise, Lob und Kritik an der Moderation können Sie gerne an kommune@taz.de richten. Danke, die Moderation

  • Wie wäre es mit Handelssanktionen wie gegen Russland? Vielleicht wäre eine klare Kante in dieser Situation hilfreicher?