Wahrheitsuche im Glauben: Die Bibel? Fake News!
Die Bibel ist kein Geschichtsbuch. Trotzdem wird in ihr immer wieder nach der Wahrheit gesucht. Wer das tut, kann eigentlich nur scheitern.
„Was ist Wahrheit?“ Mit dieser wohl zynisch gemeinten Frage fertigt der römische Statthalter Pontius Pilatus in seiner aufmüpfigen Provinz den armen Wanderrabbiner Jesus von Nazareth ab, der sagt, er sei ein König. Jesus unterminiert damit die Autorität Roms, auch wenn er zugleich betont, sein Reich sei nicht von dieser Welt. Aber Jesu Worte reichen Pilatus.
Er lässt ihn kreuzigen, also zu Tode foltern. Der Evangelist Johannes schildert diesen Dialog im Palast von Pilatus vor 2000 Jahren. Und auch die Worte Jesu zuvor: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“
Die Frage nach der Wahrheit ist zentral im Neuen Testament – und sie ist lebensgefährlich. Der Evangelist Johannes war nicht beim Verhör Jesu durch Pilatus dabei, er schrieb diesen Dialog wohl rund sechzig Jahre nach dem Geschehen, und ob es überhaupt einen Dialog zwischen dem römischen Statthalter und Jesus von Nazareth gegeben hat, ist sehr fraglich.
Aber wenn wir Heutigen dem Evangelisten Johannes die Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit?“ stellen könnten, würde er sie wahrscheinlich gar nicht verstehen.
2. Juni 1967: Ein Schuss tötet den Demonstranten Benno Ohnesorg. Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über Gegenöffentlichkeit, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, bürgerliche Zeitungen und alternative (auch rechte) Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachdenken über 50 Jahre Gegenöffentlichkeit: taz.gegen den stromDie Sonderausgabe taz.gegen den strom – jetzt im taz Shop und auf www.taz.de/gegenoeffentlichkeit
Adam und Eva haben nie gelebt
Denn die Bibel ist kein Geschichtsbuch. Und an sie die Frage zu stellen: „Was ist davon wahr? Was ist wirklich, wahrhaftig davon passiert?“ –, diese Frage ist eine sehr moderne. Die Evangelisten schrieben ihre Geschichten von Jesus nicht als Historiker, sondern als Verkünder oder, böser ausgedrückt: als Propagandisten. Und sie hatten einen anderen, sagen wir: antiken Begriff von Wahrheit.
Wahrheit war das, was sie für wahr hielten, was dem Glauben und ihrer Gemeinde diente. Sie hielten sich, was wieder ziemlich modern wäre, an „alternative facts“. „Credo, quia absurdum est“ – „Ich glaube, weil es unpassend (oder absurd) ist.“ So ähnlich haben es der antike christliche Schriftsteller Tertullian vor etwa 1800 Jahren und davor schon Paulus gesagt.
Wer also urteilt, die Bibel sei eine Ansammlung von Fake News, liegt nicht völlig falsch. Zentrale Stellen des Alten und Neuen Testaments sind schlicht nicht wahr, jedenfalls nicht im historischen Sinn: Adam und Eva haben nie gelebt, Mose und der Exodus des Volkes Israel ins Heilige Land sind am ehesten Narrative einer Priesterkaste, entstanden wohl in den Jahrzehnten zwischen etwa 520 und 450 v. Chr., wie Jan Assmann nachgewiesen hat – der historische Gehalt: minimal. Die Landnahme des Auserwählten Volkes im heutigen Israel war offenbar weit unblutiger, als die heiligen Bücher es schildern, Jesus wurde wahrscheinlich in Nazareth geboren, nicht in Bethlehem (und schon lange nicht im Stall) etc.
Wer mit heutigen Augen die Bibel liest, wird vernünftigerweise nicht glauben, dass Jesus genau das gesagt hat und genau dieses Wunder getätigt hat. Schon 1941 hat der evangelische Theologe Rudolf Bultmann diese Erkenntnis so zusammengefasst: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“
Sympathische Skepsis – sogar in der Bibel!
Wir hätten, so Bultmann, eben nicht mehr das mythologische Weltbild des Neuen Testaments, sondern ein wissenschaftliches. Jesus sei (nur) „ins Kerygma auferstanden“, das heißt: Wir können den historischen Jesus und seine Taten nur durch den Spiegel oder Zerrspiegel des Glaubens der frühen Christen erkennen, die die Evangelien aufgeschrieben haben. Mehr ist nicht möglich.
Das ist natürlich ein Problem für alle, die glauben – und es betrifft nicht nur Details, sondern auch den zentralen Glaubenssatz der Christen, die Auferstehung Jesu. Als die Frauen in Jesu Gemeinschaft von ihr erzählen, glauben ihnen die Apostel erst einmal nicht, das sei „Geschwätz“ (Lukas, 24,11). Eine durchaus sympathische Skepsis.
Aber dann ereignen sich, glaubt man den Evangelien, Begegnungen und Erfahrungen, die die Apostel überrumpeln – und überzeugen. Der Apostel Thomas wollte zunächst seine Finger in die Kreuzigungswunden Jesu legen, ehe er an die Auferstehung glaubt, andere erkennen den Auferstandenen erst, als er das Brot mit ihnen bricht: Manchmal erscheint der auferstandene Jesus ihnen eher als geisthaft, manchmal als sehr leiblich, etwa als einer, der isst und trinkt.
Das klingt ziemlich nach Fake News. Aber auch hier scheitert die Suche nach der historischen Wahrheit. Dabei wäre gerade an dieser Stelle Sicherheit aus der Sicht des Glaubenden so wichtig. „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich“, schrieb Paulus vor gut 1950 Jahren.
So wahr wie ein Liebesbrief
Die Apostel waren bereit, der Verbreitung des Glaubens an den Auferstanden ihr ganzes Leben zu widmen, ja dafür notfalls in den Tod zu gehen. Das spricht dafür, dass ihnen dieser Glaube ernst wahr. Erneut ist die Wahrheit eine Sache von Leben und Tod. Aber beweisen tut dies nichts. Und die Existenz Gottes ist noch weniger zu belegen. Dass man seine Nichtexistenz nicht beweisen kann, ist nur ein schwacher Trost für die, die Glauben und Vernunft miteinander in Verbindung bringen wollen.
Der Glaube ist keine sehr vernünftige Angelegenheit – und die Bibel und ihre Geschichten sind den Fake News näher als der Wahrheit, wenn es die in postmodernen Zeiten überhaupt noch gibt. Es gibt nur ein „Für-Wahr-Halten“. Und das hat viel mit Gefühlen zu tun: ein Gefühl von Nähe, ein Gefühl von Liebe, ein Gefühl von Kommunikation mit etwas, was Christinnen und Christen Gott nennen.
Die Bibel ist am ehesten so wahr, wie ein Liebesbrief oder Lovesong wahr sind. Natürlich ist meine Liebe zu diesem einen Menschen nicht so weit wie der Ozean und so hoch wie der Himmel, und tausend Meilen würde ich wahrscheinlich doch nicht gehen, um sie oder ihn zu sehen.
Aber es ist trotzdem Wahrheit in diesen Sätzen, und vielleicht nicht nur ein Körnchen. So gesehen ist die Bibel keine Ansammlung von Fake News, sondern der manchmal poetische, meistens stümperhafte Versuch vieler Generationen von Menschen, das als Gottes Nähe Erlebte oder Gefühlte in Worte zu fassen.
Wenn wir Gott als etwas begreifen, was unser kleines, beschränktes Menschendenken bei weitem übersteigt (und nichts anderes wäre etwa angesichts der Größe und Komplexität des Weltalls vernünftig), kann es nicht verwundern, dass dabei auch die menschliche Rede von Gott in der Bibel etwas Un-Vernünftiges oder gar Verrücktes hat. Gemäß dem bekannten Satz: An einen Gott, den ich verstehen kann, kann ich nicht glauben.
Die Bibel mag deshalb für sehr viele nichts als Fake News sein. Aber es sind göttliche Fake News. Sie sind so wahr wie die Liebe.
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