: Früchte der Versöhnung
Der Marienbaum in Kairo ist ein christlicher Pilgerort, den auch Muslime besuchen. Pfarrer Suliman erwartet vom Papstbesuch in Ägypten ein ähnliches Signal. Es gibt aber auch Zweifel am Einfluss moderater Gläubiger
Aus Kairo Karim El-Gawhary
Mitten in Matariya, einem Armenviertel im Norden Kairos, versteckt sich ein ganz besonderer christlicher Pilgerort – der Marienbaum. Er liegt hinter einer Ziegelmauer, geschützt vor dem Lärm der kleinen Motorrikschas, die sich ich im Zickzack an den Eselskarren vorbei durch die Straßen drängen. Über die Dächer hallen Muezzinrufe. Ein Dutzend Moscheen befinden sich in direkter Umgebung des heiligen Baumes. Nach biblischer Überlieferung soll hier die Heilige Familie bei ihrer Flucht vor dem König Herodes geruht haben.
Der knorrige Baum, eine Maulbeerfeige, besteht aus mehreren kahlen, fast horizontal verlaufenden mächtigen Ästen. Er ist mit staubigen Planen abgedeckt. Aus einigen wenigen Stellen treiben neue grüne Zweige aus. Der heilige Baum hat schon bessere Tage erlebt. Das ursprüngliche Gewächs ist längst abgestorben, aber seine Ableger leben weiter. Bei der heutigen Maulbeerfeige soll es sich um die siebte Generation handeln. Nebenan gibt es den Brunnen, in dem Maria den kleinen Jesus angeblich gewaschen hat.
In der nächsten Straße befindet sich die „Kirche der Heiligen Familie“. Es ist eine der wenigen katholischen Kirchen im Land. Die etwa 250.000 Katholiken sind eine Minderheit in der religiösen Minderheit der Christen im mehrheitlich muslimischen Land. Die meisten der Christen, die 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind orthodoxe Kopten. (siehe Kasten). Und die leben derzeit wieder in Furcht in Ägypten, seitdem sich die Anschläge auf Christen wieder häufen.
An Wandbildern ist in der Kirche die Flucht der Heiligen Familie dargestellt. Nach dem Neuen Testament ist Jesus dem Kindermord von Bethlehem, den König Herodes angeordnet hatte, entkommen, weil ein Engel die Familie gewarnt hatte. Sie floh daraufhin ins benachbarte Ägypten – und rastete an der Maulbeerfeige.
Der Ort wirkt friedlich. Die Anschläge auf die koptischen Kirchen am Palmsonntag in der Stadt Tanta im Nildelta und in Alexandria, bei denen 47 Menschen ums Leben kamen und die der IS für sich reklamierte, scheinen weit weg. Dem IS geht es bei den Anschlägen ohnehin nicht um die Verfolgung der Christen, es geht um Destabilisierung. Christen gelten als einfaches Ziel. Mit jedem Attentat wird bewiesen, dass der Sicherheitsapparat sie nicht schützen kann.
Papst auf Friedenskonferenz
Vor vier Jahren gab es in Matariya, damals eine Hochburg der Muslimbruderschaft, blutige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Als das Militär den gewählten Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi seines Amtes enthob und die koptische Kirche sich explizit hinter das Militär stellte, wurden damals auch viele Kirchen angegriffen. Auch die Kirche der Heiligen Familie war mehrmals mit Feuerwerkskörpern beschossen worden. Aber das ist Vergangenheit.
Der Marienbaum war immer sicher, sagt Georg Suliman, der Pfarrer der Kirche. „Manchmal ist der Wächter vor unserer Kirche krank. Ich lasse trotzdem alles offen, denn die muslimischen Nachbarn schützen die Kirche und den Baum“, ist er sich sicher. „Es kommen auch viele Muslime, den Marienbaum besuchen“, erzählt er. Denn im Volksglauben bringen der Baum und seine Früchte Glück, gleichermaßen für Christen und Muslime.
Eine ähnlich versöhnende Geste erwartet der katholische Priester auch von Papst Franziskus, der am Freitag nach Ägypten kommt, um an einer Friedenskonferenz teilzunehmen. An der islamischen Al-Azhar-Universität kommt er mit dem Großscheich der Universität zusammen, die eine der wichtigsten Rechtsautoritäten im sunnitischen Islam ist. Franziskus will aber auch gemeinsam mit dem koptischen Papst Tawadros eine Messe in Kairo feiern – und sich mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi treffen.
Abdel Fadeel, Al-Azhar-Universität
„Mit Papst Franziskus haben sich die Beziehungen zwischen der Al-Azhar-Universität und dem Vatikan wieder spürbar normalisiert“, sagt Pfarrer Suliman. „Unter Papst Benedikt waren sie wegen dessen islamfeindlichen Äußerungen schon sehr angespannt.“ Die Entspannung begann mit einem Besuch des Großscheichs im Vatikan. Danach reisten mehreren Delegationen der katholischen Kirche zur Al-Azhar-Universität. „Es geht um eine Annäherung zwischen beiden Religionen“, sagt der Priester. „Wir müssen wieder zurück zu den Grundlagen der beiden Religionen, die sich sehr gleichen.“
Im Bürogebäude des Großscheichs der Al-Azhar-Universität, eine Autostunde von der Kairoer Altstadt entfernt, sagt Mohammed Abdel Fadeel fast genau das Gleiche, in perfektem Deutsch. Er hat in Münster promoviert und leitet heute den Al-Azhar-Observer. Hier untersuchen 35 junge Mitarbeiter radikale islamische Webseiten und Einträge in sozialen Netzwerken – in zehn Sprachen. Das Ziel: eine moderate Gegenstrategie entwickeln. Auch der 39-jährige Scheich erwartet neue Impulse von dem Besuch.
Der Papst und der Großscheich hatten sich vor einigen Monaten darauf geeinigt, eine Friedenskonferenz abzuhalten, erzählt er. Es soll eine Botschaft an die ganze Welt werden, für eine muslimisch-christliche Bruderschaft und gegen Extremismus auf beiden Seiten. Sei es Islamophobie im Westen oder radikaler Islamismus in Osten.
Doch so einfach sei das nicht, erzählt Abdel Fadeel. „Die radikalen Islamisten lesen nur bestimmte Bücher und hören nur auf bestimmte traditionelle Gelehrte.“ Wenn die al-Azhar argumentiert, dass diese Inhalte nur in einem bestimmten Kontext zu verstehen sind, erwidern Extremisten, dass das buchstabengetreu für alle Zeiten gelte. „Das bedeutet, dass man kaum einen Kompromiss findet“, meint Adel Fadeel. Deswegen versucht al-Azhar, Jugendliche vor extremistischen Inhalten zu schützen.
Doch genau daran hat der ägyptische Politologe Amr Abdel Rahman seine Zweifel. Die al-Azhar sei unfähig, eine kohärente Botschaft gegen die Inhalte des IS zu senden, sagt er. Das größte Problem sei, dass die al-Azhar als eine ägyptische staatliche Diensstelle und nicht als unabhängige Institution wahrgenommen werde. Das nehme ihr viel an Glaubwürdigkeit. „Bei den Jugendlichen muss man nicht den Intellekt, sondern die Herzen und die Seele ansprechen.“
Der IS biete ihnen komplette Mythen: Dschihad, Aufopferung, Legenden, Abenteuer und Heldentum im Namen Gottes. Er gebe Menschen ohne Perspektive einen vermeintlich neuen Sinn. „Das gilt von der Geburt bis zum Tod, dem auch noch Sinn gegeben wird“, fasst er den Erfolg der Radikalen bei Jugendlichen zusammen.
Im Ausland vermarktet sich der ägyptische Präsident Abdel Fatah al-Sisi gern als Erneuerer des islamischen Diskurses, mit dem er die al-Azhar beauftragt hat. Auch der junge Azhar-Scheich Adel Fadeel spricht davon: Studienfächer und Lehrplan müssten erneuert, die Beziehungen zu den Christen verbessert werden. Und schlussfolgert: „Die Sprache der Moschee muss anders werden.“
Heutzutage gibt es in Ägypten rund 10 bis 12 Millionen Kopten. Seit dem ersten Jahrhundert nach Christus gibt es die christliche Strömung in Ägypten, aber auch in Äthiopien. Die koptische Kirche ist damit die älteste Kirche Afrikas und eine der ältesten der Welt. Der Begriff „Kopten“ leitet sich von der Selbstbezeichnung „Kubti“, aus dem sich später das arabische „Gubti“ ableitete. Dies heißt so viel wie „Mensch von Ägypten“. So wurde die einheimische Bevölkerung Ägyptens von den muslimischen Eroberern genannt. Offiziell stehen die Kopten seit der Unabhängigkeit unter dem Schutz der Militärregierungen in Kairo. Seit rund 15 Jahren nehmen die Übergriffe aber deutlich zu. (taz)
Es gehe darum, den einfachen Thesen des IS ebenso leicht verständliche gegenüberzustellen, meint der ägyptische Politologe Abdel Rahman. Beispielsweise, sagt er, behaupte der IS, die Christen seien Dhimmis – Schutzbefohlene, die als eine Art Menschen zweiter Klasse in der islamischen Welt leben dürfen, wenn sie sich an die entsprechenden Regeln halten. Andernfalls werden sie bestraft. „Bei der al-Azhar diskutieren sie jetzt und sagen: Moment einmal, wir müssen erst einmal definieren, was Schutzbefohlene eigentlich sind und welche Regeln für sie gelten. Anstatt dass sich ein Sprecher der al-Azhar an die Öffentlichkeit wendet und sagt, bei uns gibt es keine Schutzbefohlenen mehr. Schluss damit“, erklärt Abdel Rahman bitter.
„Christen sind heute im Islam keine Schutzbefohlenen mehr, sondern Partner und Mitbürger“, setzt der junge Scheich von al-Azhar dagegen. „Wir müssen Bücher über Demokratie verfassen, wir müssen nicht über Ungläubige, sondern Andersgläubige reden und wir müssen eine moderne Lesart des Islam anbieten.“ Manchmal sei er frustriert, wie langsam alles gehe.
Beim Marienbaum in Matariya, weit entfernt von der Universität, ist dieser Diskurs verhallt wie der Ruf der Muezzine. „All diese Dialoge zwischen dem Papst und al-Azhar helfen nichts, solange sie in geschlossenen Räumen stattfinden“, sagt Pfarrer Suliman. „Wir müssen das auf der Straße übersetzten, sonst hat der ganze Dialog keinen Wert.“
Vielleicht ist der Marienbaum dafür ein gutes Symbol. „Von diesem Baum geht ein Segen aus, für alle, die ihn hier besuchen. Für Christen wie Muslime“, sagt ein Wächter. Wie für Aziza Farag. Die Muslimin besucht regelmäßig den Baum und hebt trockene Früchte auf. „Meine persönlichen Glücksbringer.“ Dann öffnet sie ihre Handtasche und holt dort all ihre Artefakte raus: mehrere Früchte vom Marienbaum, einen blauen Stein zum Schutz gegen den bösen Blick und einen silbernen Engel.
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