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Kommentar BrandanschlägeWir müssen hinschauen

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Es brennt in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Um zu verhindern, dass wir uns an das Grauen gewöhnen, ist die öffentliche Aufmerksamkeit wichtig.

1. August 2016, Duisburg: Das Feuer sei mutwillig oder fahrlässig gelegt worden, sagt die Polizei Foto: Imago/Reichwein

I n Hirschau in Bayern wirft ein 25-Jähriger eine Flasche mit brennbarer Flüssigkeit in eine Flüchtlingsunterkunft – der Molotowcocktail zündet nicht. In Löbau in Sachsen geht ein Brandsatz wieder aus, der Sicherheitsdienst löscht die Flammen des zweiten. Auch in Wilnsdorf in Nordrhein-Westfalen misslingt einem 35-Jährigen der Versuch, eine Unterkunft anzustecken, in der 14 Menschen wohnen, darunter zwei Familien mit Kindern. Mindestens 125 Menschen wurden 2016 verletzt, als es in Flüchtlingsheimen brannte. Dass niemand getötet wurde, war Glück.

So muss man es sehen angesichts der hohen Zahl von Bränden in Flüchtlingsunterkünften. Ob das Haus schon bezogen war oder nicht; ob die Täter dachten, das Feuer kontrollieren zu können, oder nicht – wer ein Haus mit Feuer angreift, nimmt in Kauf, dass Menschen sterben. Die taz hat in ihre Dokumentation auch Fälle aufgenommen, in denen die Polizei über einen Verdacht nicht hinaus kam. So umfasst die Liste 142 Fälle. Es brennt in Deutschland, häufiger als jeden dritten Tag.

Das Bundeskriminalamt meldet für 2016 eine niedrigere Zahl: 66 Brandstiftungen und vier Sprengstoffanschläge. Der Behörde Beschönigung vorzuwerfen, wäre jedoch falsch. Das BKA hat 2014 eine Clearingstelle Asyl eingerichtet, in der Beamte alle Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte sammeln und so die Sensibilität erhöhen.

Es ist wichtig, dass Polizei und Justiz diesen niederträchtigen Taten mit Härte begegnen. Trotzdem dürfen sie nicht vorschnell sein. Wenn die Polizei nach einem Brand sagt, es lägen noch keine Hinweise auf einen ausländerfeindlichen Hintergrund vor, regen sich viele darüber auf. Doch die Vorsicht ist richtig. Wenn ein Feuer voreilig als Anschlag definiert wird und sich hinterher das Gegenteil herausstellt, ist der Schaden groß. Dann sinkt die Aufmerksamkeit beim nächsten Mal.

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Egal, ob es sich um organisierte Serientäter oder aufgeputschte Alltagsrassisten handelt: Wir müssen hinschauen. Denn Aufmerksamkeit verhindert, dass wir uns an das Grauen gewöhnen. Aufmerksamkeit beeinflusst den Aufwand bei Ermittlungen. Und führt vielleicht dazu, dass die Öffentlichkeit Diskussionen über Flucht und Integration etwas nüchterner führt. Vielleicht merken sogar manche Wutredner angesichts der Zahlen: Ihr Furor führt ins Feuer.

Lesen Sie auch: Liste der Brandanschläge auf Unterkünfte – Es brennt in Deutschland

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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8 Kommentare

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  • Dem Artikel kann man nicht genug zustimmen. Wir müssen in der Tat hinschauen. Brandstiftung hat sich erschreckenderweise als Mittel der politischen Auseinandersetzung etablieren. Es ist völlig richtig, "wer ein Haus mit Feuer angreift, nimmt in Kauf, dass Menschen sterben." Denn ein Brandstifter kann nicht voraussehen, ob in dem leerstehenden Gebäude sich vielleicht gerade ein Sicherheitsdienstmitarbeiter aufhält.

    Sätze, wie "Das Wort Anschlag finde ich ein bisschen hochtrabend. Das ist auch ein legitimer Widerstand. Es wird sicher auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass es was Vergleichbares gibt." oder "Das ist medial sehr aufgebauscht worden. Da sind ein paar Glasscheiben zu Bruch gegangen und ein bisschen Ruß ist da. Man versteht die Leute, die Wut auf diesen Staat haben.", wie sie etwa in dem taz-Interview am 2.12.2016 gefallen sind, entsetzen mich. (https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5359396&s=hamburg+messe/) Ich finde es traurig, dass die taz solchen Leuten ein Podium gegeben hat. Heute brennen Autos, morgen leere Häuser, übermorgen bewohnte. So sinken Hemmschwellen. Den Wachschützer wird es nicht interessieren, für welche politische Meinung er stirbt.

  • Vielen Dank an die TAZ, dass Sie diese Attacken so konsequent dokumentieren und damit die Öffentlichkeit über das erschreckende Ausmaß des rechten Terrors in Deutschland informieren.

  • Alles richtig! Jeder RECHTE Brandstifter der gefasst wird ist ein ERFOLG!

    Aber: WAS ist mit den LINKSRADIKALEN Brandstiftern, die ständig unzählige Autos abfacheln und mit roher Gewalt gegen die Polizei vorgeht, teilweise sogar Molotow-Cocktails nach ihr wirft und mit Zwillen auf Beamte schießt?

    Existiert dieses PROBLEM bei der TAZ auch als PROBLEM?

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @Georg Dallmann:

      Tja, da wird manchmal schon mit anderen Massstabe gemessen.

       

      Radikalen, Kriminellen usw. kennen keine "Seite" - die kennen nur Krawallen.

  • Herr Löwisch hat Recht. Brennende Asylunterkünfte sind leider Alltag. Dementsprechend stumpft die Bevölkerung ab, wenn solche Fälle publik werden.

    Aktionen gegen Fremdenhass sind also wichtiger denn je.

    Was die Karte zeigt ist erschreckend, aber ein großer Dank an die TAZ für diese Übersicht.

  • Egal, ob religiöse oder politische Gefährder und Gewalttäter vom IS, NPD/AfD/Pegida: Sie müssen in Sicherungsverwahrung, bis keine Gefahr mehr von ihnen ausgeht!

  • Ich befürworte diesen klugen Artikel. Gewöhnung und Abstumpfung wäre grausam. Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, dass die wirklichen Täter*Innen gefunden werden.

  • 8G
    87233 (Profil gelöscht)

    Wir müssen hinschauen, und uns klar werden, dass das einen Lebensaufgabe ist.