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Musikfestival „Heroines of Sound“„An der Quote führt kein Weg vorbei“

Das Berliner HAU-Theater feiert mit dem Festival Frauen in der frühen und aktuellen Elektro-Szene. Ein Gespräch mit den Kuratorinnen.

Trotzdem tobt die Menge: DJanes sind meistens schlechter bezahlt und weniger gebucht Foto: dpa
Interview von Philipp Rhensius

taz: Frau Loschelder, Frau Wackernagel, die Sichtbarkeit von Frauen ist ein generelles Problem – Geschichte wurde über Jahrhunderte fast nur aus männlicher Perspektive geschrieben. Ähnlich ist es in der Musik: Komponistinnen sind – bis auf Ausnahmen wie Klara Schumann – kaum vertreten.

Mo Loschelder: Wenn niemand über sie spricht, kennt sie auch keiner. Das ist ja auch im Bereich Programmierung so. Es war in den Anfängen mal ein Frauenjob, quasi als natürliche Konsequenz des Sekretärinnenberufs. Erst das Werbeimage von IBM und Macintosh hat den männlichen Nerd geschaffen. Und damit die Frauen an Computern aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt.

Sie steuern dagegen: Am Wochenende findet in Berlin zum dritten Mal das von Ihnen mitorganisierte „Heroines of Sound Festival“ statt. Es widmet sich ausschließlich Frauen: Pionierinnen, aber auch zeitgenössischen Vertreterinnen der experimentellen elektronischen Musik. Was hat Sie dazu bewogen?

Bettina Wackernagel: Sowohl in der Performance- und Videokunst als auch in der elektronischen Musik gab es viele Künstlerinnen, die Maßstäbe gesetzt haben, deren Rezeptionslinien jedoch abgebrochen sind, darunter die Komponistinnen Beatriz Ferreyra und Christine Groult, die auf dem Festival auftreten. Und wir fragen: Warum? Es gab ja trotz aller Hürden viele Frauen in dem Bereich. Laurie Spiegel hat in ihrem Studio sehr kontextbezogen gearbeitet und mit der „Music Mouse“ eine für die Popkultur wichtige Musiksoftware geschrieben. Trotzdem sind diese Frauen in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt – selbst Suzanne Ciani, die mit dem Buchla-Synthesizer (Anm. d. Red.: erster moderner Synthesizer), die sehr präsent und oft in die David-Letterman-Show eingeladen worden war.

Privat
Im Interview: Bettina Wackernagel

Musik- und Theater­regisseu­rin. Sie ist Vorstandsmitglied der bgnm (Berliner Gesellschaft für neue Musik). 2014 gründete sie mit Mo Loschelder das Festival Heroines of Sound, das nun zum dritten Mal stattfindet.

Frau Loschelder, Sie waren in den frühen 90er Jahren DJ in Berlin und haben hier im Plattenladen Hardwax gearbeitet, der für Clubmusik von internationaler Bedeutung ist. Heute leiten Sie eine Booking-Agentur und vertreten Künstlerinnen wie Gudrun Gut, Acid Maria und Electric Indigo. Sie haben mal gesagt, dass Sie auf diesem Feld feministisches Denken nicht ausblenden können. Was sind Ihre Erfahrungen als Frau im Musikbetrieb?

Loschelder: Als ich begann aufzulegen, war es noch spürbar, dass es eine Männerdomäne ist. Das galt für Clubs wie für Plattenläden. Es gab Hürden, die man kaltschnäuzig überschreiten musste. Ich wurde zum Beispiel bei Hardwax eingestellt, um Freundlichkeit hereinzubringen. Heute ist es nichts Besonderes mehr, als Frau zu djen. Doch aus meiner Erfahrung als Bookerin muss ich sagen, dass die Gagen immer noch weit unter dem Niveau der männlichen Kollegen liegen, selbst wenn sie gleich berühmt sind.

M.M. Reckmann
Im Interview: Gabriele „Mo“ Loschelder

DJ, Malerin, Künstleragentin und Mitgründerin des Plattenlabels Elektro Music Department. Gilt als Schlüsselfigur der Berliner ­Techno- und Clubkultur. Seit 2009 betreibt sie die Bookingagentur Media Loc.

Können Sie sich das erklären?

Loschelder: Ich kann leider nur spekulieren, aber vielleicht liegt es daran, dass viele denken, Frauen seien sozialer und würden sich auf niedrigere Gagen einlassen.

Wackernagel: Das gilt ja nicht nur für Musik, sondern auch in der bildenden Kunst und vielen anderen Bereichen. Seit den neunziger Jahren konzipiere ich Festivals zu interdisziplinären Aspekten zeitgenössischer Musik und elektronischer Medien. Für mich war dabei ganz klar, zu fragen: Wo gibt es einen gesellschaftlichen, politischen Bedarf?

Mit der elektronischen Musik ging ja mal die Idee einher, das Geschlechtsspezifische loszuwerden, etwa mit der Verfremdung von Stimmen wie dem heute in vielen Popsongs verwendete Autotune-Effekt. Dennoch: Gibt es eine spezifisch weibliche Herangehensweise in der experimentellen elektronischen Musik?

Wackernagel: Es gibt tatsächlich viele Komponistinnen, die Stimme und Elektronik verbinden. Wir haben mit Werken der Stimmvirtuosin Cathy Berberian, die viel mit dem Komponisten Luciano Berio zusammengearbeitet hat, einen Schwerpunkt in unserem Festivalprogramm.

Loschelder: Ich würde widersprechen. Es mag tendenziell mehr Frauen geben, die ihre Stimme benutzen. Aber viele verzichten ganz bewusst darauf, um eine geschlechtslose Musik zu schaffen. Lucretia Dalt hat zu Beginn noch ihre Stimme eingesetzt, verzichtet aber heute bewusst darauf, um sich selbst aus dem Stimmkörper zu befreien und der klassischen Sängerin-Rolle zu verweigern.

Und wie steht es um den Sound. Lässt sich das Weibliche heraushören?

Loschelder: Ich würde sagen ja. Ich finde, Frauen achten vielmehr auf den Lautstärkepegel, wenn sie live spielen oder auflegen. Außerdem sind sie experimentierfreudiger. Electric Indigo legt ja regelmäßig im Berghain auf und bekommt oft Szenenapplaus. Vermutlich, weil sie es wagt, Brüche einzugehen und auch mal leiser zu spielen. Männliche Musiker und DJs gehen oft auf Nummer sicher und setzen nur auf Intensität.

Frauen, die in Künstlerberufen Erfolg haben, werden oft als Ausnahme bezeichnet, eine Art positive Diskriminierung. Wie lässt sich diesem Teufelskreis entkommen, einerseits Frauen den berechtigten Raum zu geben, was andererseits aber selbstverständlich sein sollte.

Wackernagel: Auch Komponisten wie Stockhausen sind Ausnahmen, aber sie waren wie auch komponierende Frauen keine singulären Erscheinungen. Die Komponistinnen der frühen elektronischen Musik waren zahlreich und erfolgreich. Ich freue mich daher über das gestiegene Interesse an Festivals mit weiblichen Protagonistinnen.

Außerhalb Berlins ist das anders. Kürzlich hat die Musikjournalistin Lauren Martin auf Twitter die kroatische Ausgabe des „Dekmantel Festivals“ kritisiert: Von 76 Künstlerinnen seien nur sieben weiblich. Frau Moschelder, was sind ihre Erfahrungen als Bookerin?

Loschelder: Ich erlebe das auch oft. Wenn ich bei Festivals mit rein männlich besetztem Line-up vorschlage, eine meiner Künstlerinnen zu buchen, wird das gern als Diskriminierung bezeichnet. Angeblich gehe es nur um den Sound und nicht um das Geschlecht. Solange so argumentiert wird, ist es berechtigt, rein weiblich besetzte Festivals zu machen.

Das feministische Netzwerk „female:pressure“, das Sie beide unterstützen, hat 2015 eine weltweite Statistik über Line-ups erhoben. Im Schnitt sind nur 10 Prozent Frauen vertreten. Müsste da nicht eine Art Festivalquote her?

Loschelder: Ich bin definitiv dafür. Ich weiß, dass die meisten Festivals von öffentlichen Geldern finanziert werden.

Wackernagel: An einer Quote führt kein Weg vorbei.

Was können junge Musikerinnen, die etwas dagegen unternehmen wollen, tun? Haben Sie einen Tipp?

Loschelder: Netzwerke gründen. So wie es Männer seit Jahrhunderten mit Stammtischen oder Ähnlichem machen. „Female:pressure“ wurde 1998 von Electric Indigo und Acid Maria gegründet und hat heute weltweit mehrere tausend Mitglieder.

Wackernagel: Feminismus ist ja heute ein Pop-Phänomen. Er wird in Lifestyle-Magazinen diskutiert, und T-Shirts, auf denen „I’m a feminist“ steht, sind ein Kassenschlager. Diese dritte Welle des Feminismus wird vor allem von jungen Künstlerinnen aktiv im Netzwerk genutzt.

Loschelder: Aber auch hier ist Berlin eine Ausnahme. Ich war im September in Prag, wo ich eingeladen war, einen Vortrag über die Präsenz von Frauen auf der Bühne zu halten. Viele haben in der tschechischen Szene nach wie vor große Probleme, Fuß zu fassen. Der Begriff Feminismus ist dort immer noch sehr negativ besetzt.

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1 Kommentar

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  • Irgendwie traurig. Aber noch trauriger wenn dann Künstler_Innen immer über das Innen reden müssen statt über Ihre Kunst. Insofern Quote, ja, wenn es dann nicht am Ende die Freundin vom Veranstalter ist, die die Quote lächerlich aussehen lässt. Aber "hej, guckt mal es gibt auch super Musiker_Innen" ist noch respektloser, sorry.