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Kommentar Böhmermann-VerfahrenDas Grundgesetz wirkt

Jürn Kruse
Kommentar von Jürn Kruse

Es war gut, dass wegen des Erdoğan-Gedichts gegen Jan Böhmermann ermittelt wurde. Das Ergebnis stärkt die Meinungsfreiheit.

Jetzt steht er mal wieder im Rampenlicht: Moderator Jan Böhmermann Foto: dpa

D rei wichtige Dinge lernen wir aus der Einstellung des Verfahrens gegen Jan Böhmermann: Erstens: Satire darf wirklich viel. Zweitens: Das Grundgesetz wirkt. Drittens: Der Staatsanwaltschaft ist der Geschmack der Kanzlerin wumpe.

Gerade Punkt drei ist von großer Bedeutung, hatte sich doch Angela Merkel sehr früh geäußert und mitteilen lassen, dass es sich bei Böhmermanns Erdoğan-Gedicht um einen „bewusst verletzenden Text handle“. Da war sie voll auf Linie mit der türkischen Regierung. Herzlichen Glückwunsch.

Die Staatsanwaltschaft Mainz ließ das kalt. Sie handelte unabhängig von politischen Äußerungen, sie wog das Grundrecht auf Meinungs- und Kunstfreiheit gegen allgemeine – die Grundrechte beschränkenden – Rechte ab. Und kam zu einem anderen Schluss als die Kanzlerin.

Insofern war es auch gut und richtig, dass Merkel die Ermittlungen gegen Böhmermann überhaupt zugelassen hat. Es gibt nun einmal den Paragrafen 103 („Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“) so sinnlos er auch sein mag, und es gibt nun einmal den Paragrafen 104a, der vorsieht, dass die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen muss.

Und natürlich sollte dann ermittelt werden. Mit offenem Ausgang. Auch wider die Erwartungen des ausländischen Staates und der inländischen Exekutive. Das unterscheidet den Rechtsstaat mit funktionierender Gewaltenteilung von, ja, Staaten wie der Türkei.

Und nur dieser Weg – Ermittlung, Abwägen, Entscheidung – kann allen Seiten gerecht werden: Der türkische Präsident hat sich beleidigt gefühlt, die deutsche Regierung hat diesen Vorwurf nicht einfach populistisch beiseite gewischt (was von etlichen Seiten gefordert wurde), sondern ihn prüfen lassen – mit dem Ergebnis, dass die Meinungsfreiheit gestärkt wurde.

Das ist doch gut gelaufen.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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9 Kommentare

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  • Merkel hat mit ihren Äußerungen als Teil der Exekutive und als politisch Verantwortliche für das Verhältnis zum Bündnispartner Türkei gehandelt - sich wohl bewusst, dass für den Schutz des armen Herrn Böhmermann vor dem rächenden Arm des türkischen Staatspräsidenten jemand anderes zuständig ist - nämlich die Justiz. Insofern dürfte mit der Verfahrenseinstellung für sie Alles nach Plan gelaufen sein.

     

    In der aufgeheizten Atmosphäre war es nämlich vielleicht unerbaulich, aber schlicht richtig, Erdogan in seinem national-beleidigten Furor keine Angrifsfläche zu bieten, um sie mit Böhmermann über einen Kamm zu scheren. Das hätte mehr kaputtmachen können, als es Erdogan in seine Schranken gewiesen hätte.

  • Alles schön und gut, aber was war denn diese Klage Erdogans anderes als ein durchsichtiger Versuch, der hiesigen Justiz seine ganz speziellen Vorstellungen von Sultansverehrung, von Meinungs- und Kunstfreiheit auf's Auge zu drücken? "Böhmermanns Gedicht" mag ja zahlreiche Elemente enthalten, die - in einem anderen Rahmen vorgebracht - durchaus als Beleidigung angesehen werden können. Die Klage dagegen war jedoch von vornherein erkennbarer grober Unfug und hätte deshalb auch gleich abgewiesen werden müssen.

  • Böhmermann... wer war das nochmal ?

    Bei aller Glorie um das GG sollte nicht unter den Tisch fallen, dass es an anderen Stellen aussieht wie ein gerupftes Huhn.

  • Anlässlich des bevorstehenden Auftritts von Erdogan in Köln am 31.07.2016 äußerte sich auch der türkische Justizminister Bekir Bozdağ auf seinem Facebook und erklärte:

    „Deutschland weist eine ungerechte Behandlung der hierzulande lebenden Türken vor. Deutschland weiße für viele hier lebenden Türken besonders bei der Justiz, eine ernste Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten auf und sei dafür verantwortlich"

     

    Ich habe die zweiseitige Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Mainz gelesen und sie liest sich über weite Teile wie Satire. Man habe keine hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegens von Formalbeleidigungen und einer Schmähkritik finden können. Bei Böhmermanns „Gedicht“ sei nicht die Diffamierung der Person Erdogan im Vordergrund gestanden.

     

    Wenn jetzt alle meine, man könne nach dem Muster von Böhmermann jeden anderen Staatsmann, z.B. den israelischen Premier genauso behandeln wie Herrn Erdogan, täuscht sich.

    Hierzu hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung speziell vorgesorgt und schreibt

    „dem beschuldigten Böhmermann sei jedenfalls ein vorsätzlich beleidigendes Handeln nicht nachzuweisen gewesen. „

     

    Das bedeutet denn jenigen den man anklagen will, wird eben der Vorsatz dann nachzuweisen sein. Das ist keine Willkür oder ein Zeichen einer Rassenjustiz, sondern das Ermessen des zuständigen Beamten bei der Staatsanwaltschaft.

  • Jetzt müssen wir vor allem auf eins achten: Auf die Bewahrung des Grundgesetzes. Denn auch das ist nicht unantastbar, wie unsere Regierungen die letzten Jahrzehnte immer wieder zeigen. Selbst Teile der 19 Grundrechte wurden entwertet.

     

    Wie kann es die heutige Totalüberwachung geben, wenn das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren festgestellt hat, dass der damalige - viel niedrigere - Grad an Überwachung knapp an der Grundgesetzwidrigkeit lag?

    • @Arne Babenhauserheide:

      "Selbst Teile der 19 Grundrechte"...da kennt jemand das GG nicht. Art. 1 und Art. 20 sind unantastbar... ALLE anderen Artikel können geändert werden. Mit entsprechender Mehrheit.By the way: Wenn Sie glauben, daß in D. "Totalüberwachung" herrscht, dann waren Sie noch nie in GB...

  • Die Staatsanwaltschaft kommt auf Grundlage der gleichen Gesetze zu einer grundsätzlich anderen Eischätzung als die Bundesregierung. Eine gerichtliche Überprüfung - wie von Frau Merkel gefordert - fand nicht mehr statt. Was könne wir daraus schließen?

    • @TazTiz:

      dass Erdogan noch nicht beschwerde hat einlegen lassen.

    • @TazTiz:

      Keine Sorge: Erdogan hat noch seine Privatklage wegen "einfacher" Beleidigung, die die Staatsanwaltschaft gar nicht versenken KANN. Insofern wird die Sache so oder so auch von einem Gericht entschieden werden.

       

      Davon abgesehen ist es einem Staatsanwalt schwerlich zuzumuten, dass er in einem Prozess als Ankläger auftritt, in dem er selbst die Schuld des Angeklagten für nicht nachweisbar hält, oder?

       

      Am Ende ist das alles gar kein Grund für irgendwelche Schlüsse: Merkel hat keine rechtliche sondern eine tatsächliche Einschätzung abgegeben, als sie sich zu dem Gedicht äußerte. Und sie hat das auch nicht in ihrer Funktion als oberste Richterin der Republik getan - denn das ist sie eben gerade nicht - sondern als politisch Verantwortliche für die Beziehungen zur Türkei. Das weiß Merkel, das weiß Böhmermann, das weiß die Staatsanwaltschaft - und das weiß auch Erdogan. Der will es nur nicht wahrhaben, denn in der Türkei liefe das anders...