Keine Anklage gegen Jan Böhmermann: Das ist Kunst
Das Verfahren gegen den Satiriker Böhmermann wurde eingestellt. Sein Erdoğan-Gedicht „Schmähkritik“ ist durch das Grundgesetz geschützt.
Doch die Staatsanwaltschaft Mainz macht es nicht knapp: Über 1.375 Wörter streckt sich die Pressemeldung der Ermittlungsbehörde, in der sie erklärt, warum Böhmermann für sein Gedicht „Schmähkritik“ nicht zu bestrafen ist. Allein diese Gründlichkeit zeigt, welche Tragweite der Fall Böhmermann hat, oder besser: hatte.
Am 31. März hatte Böhmermann in seiner ZDFneo-Sendung „Neo Magazin Royale“ sein Gedicht vorgetragen. Es ging darin um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, um dessen Klöten, ums „Ziegen ficken“, um „Fellatio mit hundert Schafen“. Zumindest vordergründig ging es darum.
Denn das eigentliche Anliegen Böhmermanns – und darauf wies er während des Vortrags immer wieder hin – war, dem türkischen Präsidenten, der sich kurz zuvor furchtbar über einen Song der „extra3“-Satiriker aufgeregt hatte („Erdowie, Erdowo, Erdoğan“), aufzuzeigen, was Satire ist – und was eine Schmähung. Es war quasi Satire mit Mitteln der Schmähung. „Das kann bestraft werden und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher“, sagte Böhmermann beispielsweise.
Der Plan ging auf
Und so kam es dann auch: Das ZDF löschte, es gingen viele Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Mainz ein. Unter anderem von Erdoğan persönlich. Der Vorwurf: Böhmermann habe gegen Paragraf 185 StGB verstoßen. Beleidigung. Außerdem wurde wegen Paragraf 103 StGB ermittelt: Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Das wird allerdings nur verfolgt, wenn „die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt“, wie es in Paragraf 104a heißt.
Also musste Anfang April Kanzlerin Angela Merkel entscheiden, ob sie diesem Ansinnen der Türkei nachgibt – und sie gab nach. Schließlich hatte sie das Gedicht schon zuvor in einem Telefonat mit dem damaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu thematisiert. Die beiden „stimmten darin überein, dass es sich dabei um einen bewusst verletzenden Text handle“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert damals.
Das sah die Staatsanwaltschaft nicht so. Es sei nicht zu belegen, „dass der Beschuldigte einen ernstlichen Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten billigend in Kauf nahm“.
Das Strafverfahren ist somit erledigt. Trotzdem geht es vor Gericht weiter: In Hamburg läuft noch ein Zivilprozess. Kläger: Erdoğan. Beklagter: Böhmermann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien