Bürgerlicher Protest gegen Rassismus: Es fehlt eine gemeinsame Strategie
Eigentlich sind Bündnisse gegen rechts gesellschaftlich etabliert. Doch die Mobilisierung läuft schleppend. Eine Demo will die Gesellschaft wachrütteln.
Nur: Bisher gibt es wenig Anzeichen dafür, dass diese Demonstration wirklich zu einem deutlichen Signal werden könnte, zu einer Versammlung all jener, die den Gegenpol bilden zur rassistischen Hetze. Die Mobilisierung läuft eher schleppend, „mehrere tausend Teilnehmer“ würden erwartet, sagt die Bündnissprecherin – das ist nicht viel für eine bundesweite Demonstration.
Dabei sind die Voraussetzungen nicht schlecht. Das im März gegründete Bündnis ist breiter aufgestellt als bei Gegen-rechts-Zusammenschlüssen üblich: Die Berliner SPD ist genauso dabei wie die Antifa Oberhausen, dazu Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Initiativen und eine Reihe prominenter UnterstützerInnen.
Trotzdem: Eine breit getragene, auf der Straße sichtbare Positionierung gegen Rassismus und Rechtspopulismus sucht man in Deutschland momentan vergeblich. Trotz Hunderter Angriffe auf Flüchtlingsheime, trotz der Wahlerfolge der AfD: Die, die gern als Mitte der Gesellschaft bezeichnet werden, sehen anscheinend wenig Anlass, auf die Straße zu gehen.
Die Lichterketten der neunziger
Anfang der 1990er Jahre war das anders. Reagierte die Öffentlichkeit auf das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen noch weitgehend fassungs- und tatenlos, änderte sich das nach den rechtsextremen Mordanschlägen von Mölln und Solingen: Hunderttausende versammelten sich zu Lichterketten gegen Fremdenfeindlichkeit oder öffentlichen Konzerten gegen rechts.
„Das gab damals ganz klar die Stimmung: Wir müssen jetzt alle zusammenstehen, gemeinsam an einem Strang ziehen“, sagt Wolfgang Niedecken. Niedecken ist Sänger der Kölschrockband BAP, die am 9. November 1992 vor rund 100.000 Menschen gemeinsam mit anderen Künstlern ein Konzert gegen rechte Gewalt spielte, „Arsch huh, Zäng ussenander“ das deutliche Motto. „Wir wollten damit alle ermutigen, die gegen diese rechte Hetze einstehen, egal wo“, sagt Niedecken.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt heute das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, das mindestens bis zur Bundestagswahl 2017 eine „bundesweite antirassistische Aufklärungskampagne“ vorantreiben will. Die Demonstration am Samstag ist nur einer der Bausteine dafür.
Ein wichtiger Hebel sollen dabei die Gewerkschaften sein. Sie haben noch den Zugang in die Betriebe, den die Parteien oft längst verloren haben. Zur ArbeiterInnenschaft – wo die AfD bei den letzten Landtagswahlen besonders stark punkten konnte. Doch gerade hier hapert es: Stellten die Gewerkschaften in den 1990er Jahren etwa unter dem Motto „Mach meinen Kumpel nicht an!“ eigene Kampagnen gegen rechts auf die Beine, halten sie sich momentan auffällig zurück.
Gewerkschaftsarbeit in einer Krise
Romin Khan ist migrationspolitischer Referent bei Verdi, engagiert sich beim Bündnis AgR und kann ein paar Gründe für diese Zaghaftigkeit nennen: Insgesamt befinde sich die politische Gewerkschaftsarbeit in einer Krise, die Mobilisierung der eigenen Mitglieder falle immer schwerer. In Sachen AfD komme noch etwas anderes hinzu: „Die Gewerkschaften verstehen sich immer noch nicht ausreichend als Vertreter der migrantischen Bevölkerungsteile“, sagt er. „Die Erkenntnis, dass die rassistische, aber auch die antifeministische Politik der AfD die Gewerkschaften unmittelbar betrifft, weil sie deren eigene Mitglieder angreift, hat sich noch nicht genug durchgesetzt.“
Khan zufolge liegt das auch an der internen Struktur der Gewerkschaften. Auf deren Entscheiderposten fänden sich immer noch zu wenige MigrantInnen. Und: In den Gewerkschaften herrsche Unsicherheit darüber, ob man mit zu klaren Positionierungen gegen die AfD nicht auch Mitglieder verprellen könnte, sagt Khan.
Der Mangel an sichtbarer gesellschaftlicher Formierung gegen die AfD lässt sich aber auch mit Konflikten über die richtige Strategie erklären. So ist es in der außerparlamentarischen Linken hoch umstritten, ob man gemeinsam mit SPD und Grünen gegen die RechtspopulistInnen ins Feld ziehen sollte – sehen viele doch in den Asylrechtsverschärfungen, die diese Parteien durchgesetzt haben, zugleich Zugeständnis an und Futter für die Parolen der AfD.
Mordanschläge rütteln auf
Klar: Die Situation ist nicht wie 1992. Die Anschläge haben bisher keine Todesopfer gefordert – das mag zynisch klingen, aber wirklich wachgerüttelt wurde die Zivilgesellschaft auch damals erst nach den Mordanschlägen. Und: Ein wichtiger Adressat der Proteste war damals die Regierung Kohl – heute aber ziehen unter dem Motto „Merkel muss weg“ Rechtsextreme durch Berlin und fordern eine rigorose Abschottungspolitik. Das verkleinert den Spielraum für Regierungskritik von links.
Trotzdem gibt es auch jetzt Beispiele für öffentlichkeitswirksames Engagement gegen rechts. Die Band Feine Sahne Fischfilet tourt gerade unter dem Motto „Noch nicht komplett im Arsch“ durch ihr Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern. Sie will vor der Landtagswahl allen, die sich nicht mit AfD und NPD abfinden wollen, den Rücken stärken. Nur: Dass eine linksradikale Punkband als Beispiel für zivilgesellschaftliches, öffentlichkeitswirksames Engagement herangezogen werden muss, spricht nicht nur für die Band, sondern auch gegen ebendiese Zivilgesellschaft.
In Berlin gibt es am kommenden Samstag nun die Gelegenheit, doch noch ein sichtbares Fanal gegen die rechte Hetze zu setzen. Niedecken, dem die aktuellen politischen Entwicklungen „immer wieder die Haare zu Berge stehen lassen“, gibt die Hoffnung darauf nicht auf. „Die Leute sind ja da, das hat doch die Willkommenskultur gezeigt. Es engagieren sich so viele, so viele wollen mit der AfD nichts zu tun haben.“ Das AgR-Bündnis will diesen Pol der Gesellschaft sichtbar machen – spätestens bis zur Wahl im kommenden Jahr.
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