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Machtkampf bei Labour nach dem BrexitCorbyn bleibt stur und Parteichef

In der Labour-Partei zeichnet sich eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz ab. Parteichef Jeremy Corbyn will im Amt bleiben.

Duell der Verlierer: Parlamentsdebatte am Mittwoch in London Foto: ap

Dublin taz | „In Gottes Namen, geh“, riet der britische Premierminister David Cameron dem Labour-Chef Jeremy Corbyn bei der parlamentarischen Fragestunde am Mittwoch. Es sei zwar im Interesse der Tories, dass er bleibe, aber es sei nicht in nationalem Interesse, fügte er hinzu. Corbyn hatte am Dienstagabend ein Misstrauensvotum seiner Fraktion verloren. 172 Labour-Abgeordnete forderten ihn zum Rücktritt auf, nur 40 wollten, dass er bleibt. Fast sein gesamtes Schattenkabinett ist zurückgetreten.

Die Labour-Abgeordneten geben ihm eine Mitschuld am Ergebnis des Brexit-Referendums. Sie werfen ihm vor, sich nicht entschieden genug für den EU-Verbleib Großbritanniens eingesetzt zu haben. Ein wichtigerer Grund ist vermutlich die Befürchtung, dass Labour mit Corbyn an der Spitze die nächsten Wahlen deutlich verlieren würde. Die könnten nach Camerons Rücktritt im Oktober noch in diesem Jahr stattfinden.

Die meisten Labour-Abgeordneten haben sich nie damit abgefunden, dass ihnen die Parteibasis den Alt-Linken bei der Wahl des Parteichefs im vorigen Herbst vor die Nase gesetzt hat. Da er sich geweigert hat, nach dem Misstrauensvotum zurückzutreten, suchen sie nun nach anderen Möglichkeiten, ihn loszuwerden. So sollen sich entweder die Abgeordnete Angela Eagle oder der Labour-Vizechef Tom Watson um die Parteiführung bewerben und Corbyn auf dem Parteitag im September ablösen.

Der hat erklärt, dass er in diesem Fall ebenfalls kandidieren werde. Ob er dafür von 20 Prozent der Fraktion, also von 51 Abgeordneten nominiert werden muss oder ob er als Parteichef automatisch kandidieren darf, ist unklar. Beide Lager haben dazu gegensätzliche Gutachten veröffentlicht. Sollte Corbyn antreten dürfen, könnte die Parteibasis den Abgeordneten erneut einen Strich durch die Rechnung machen. Schließlich sind Tausende nur wegen Corbyn in die Partei eingetreten.

Eine seiner besten Vorstellungen

Bei der parlamentarischen Fragestunde am Mittwoch gab er – entgegen allen vorherigen Erwartungen – eine seiner besten Vorstellungen ab. Er brachte Cameron mehrmals mit sachbezogenen Fragen zum Brexit in Bedrängnis. Erst als er den Premierminister persönlich kritisierte, platzte dem der Kragen.

„Sie sind hier zu lange geblieben für das Gute, das Sie hier getan haben“, zitierte er den Tory Leopold Amery, der diese Worte 1940 im Unterhaus an den Premierminister Neville Chamber­lain wegen dessen Appeasement-Politik gegenüber Hitler gerichtet hatte. „Gehen Sie, sage ich Ihnen, damit wir mit Ihnen fertig sind! In Gottes Namen, gehen Sie!“ Chamberlain trat damals zwei Tage später zurück.

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5 Kommentare

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  • . . . Mehr Interesse gibt es für die Frage, ob die im Mehrheits-Wahlsystem ins Parlament gekommenen Abgeordneten der Labour Party wirklich die Stimmung in der gemischten britischen Gesellschaft erkennen. Völlig anders ist die Frage, wie eine neue globale Politik aussehen könnte, die nicht im antiquierten Nationalismus endet, sondern die Vernetzung demokratischer Kräfte über die Grenzen hinweg ermöglicht. Im "Raumschiff" der abgehobenen Politiker hatten solche neuen Entwicklungen keine Auswirkung. Erst wenn eine Bewegung durch Massendemonstrationen und gewaltfreie Besetzungen an die Oberfläche kommt, geraten die rhetorisch abgefüllten Abgeordneten in Bedrängnis.

    Jeremy Corbyn hat laut Wikipädia ein bunte Biografie. Diese hat sogar etwas mit der Demokratie-Bewegung des Spanischen Bürgerkrieges zu tun - seine Eltern warten dort engagiert. Das ist die Wendung zur deutschen Poltik: Auch Willy Brandt hatte, nachdem die SPD ihn (als Herbert Frahm) ausschloss und emigrierte, seine Laufbahn als norwegischer Zeitunngs Korrespondent beim Freiheitskampf der Republikaner vor 80 Jahren in Spanien begonnen . . .

  • Wenn die neoliberalen Konservativen und die neoliberalen Sozialdemokraten einen gemeinsamen Feind haben, dann sieht man doch nur, wo die eigentlichen Fronten verlaufen. Corbyn hat nach seiner Wahl versucht, ein Vermittler zwischen allen Flügeln, ein Parteichef für die ganze Labour zu sein. Das war ein gutes Anliegen, welches spätestens jetzt von der neoliberalen New Labour zerstört wurde. Jetzt wird es wohl Zeit für Corbyn, seine Vertrauten und die Basis, härtere Bandagen anzulegen: Ein spannender Kampf um die Macht in der Labour Party hat begonnen!

  • "Corbyn bleibt stur und Parteichef" . Er hat dafür überzeugende demokratische Gründe :

    " Und dieser linke, junge Parteiflügel hat mittlerweile die Partei für sich eingenommen. Seit Corbyns Wahlerfolg konnte die Partei die Zahl ihrer Mitglieder von rund 200.000 auf rund 400.000 verdoppeln. Dass Jeremy Corbyn die absolute Mehrheit der Parteibasis hinter sich hat, steht also außer Zweifel. Corbyns zweite große Stärke ist, dass er auch die mächtigen Gewerkschaften hinter sich hat, die mit ihrem Geld, ihrer Logistik und ihrem Einfluss im Umfeld von Labour der wichtigste interne Machtfaktor sind. So lange Corbyn die Gewerkschaften an seiner Seite hat, wird er den Kampf um die Partei daher auch nicht verlieren können. Und die führenden Gewerkschaftsfunktionäre haben sich bereits klar und deutlich auf Corbyns Seite positioniert."

    • @APOKALYPTIKER:

      Kann Corbyn Wahlen gewinnen? Mit Corbyn an der Spitze kann Labour keine Wahl gewinnen. Corbyn ist ein Mann der zeitlebens in Gremien der Gewerkschaften und der Stadtwerke saß, ohne je einen Beruf erlernt zu haben oder sonstwo in der Wirtschaft gearbeitet zu haben.

      • @Gabriel Renoir:

        Im Zweifel ist es besser, von zwei Parteien eine miese zu haben, die regiert, und eine passable in der Opposition, als zwei miese, von denen eine regiert.

         

        Wenn Sie das anders sehen, gehen Sie doch zu den Grünen ;-)