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Kontroverse um Wandbild in TegelTraumatische Pfeile

Eine Kiez-Initiative nimmt Anstoß an einer Fassadenmalerei eines spanischen Künstlers. Angeblich verstört sie Kinder und Flüchtlinge.

„Die Farbigkeit des Werks ist typisch für Borondo“ (O-Ton Gewobag) Foto: Claudius Prößer

Der Horror! Das Grauen! Blut, Tod, Gewalt! Überfliegt man die Meldungen, die uns in den letzten Tagen aus dem Ortsteil Tegel-Süd erreichen, könnte der Eindruck entstehen, dort würden satanische Messen gefeiert. Aber weit gefehlt: Was von einigen Anwohnern und der Kiez-Initiative „I love Tegel“ angeprangert wird, ist ein Wandbild, das die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag beim angesagten spanischen Street-Artisten Gonzalo Borondo in Auftrag gegeben hat. Es ist Teil des Kunstprojekts „Artpark Tegel“, das einmal sieben großformatige Werke umfassen und die öden 14-Geschosser ein bisschen interessanter machen soll.

Das ist Borondo durchaus gelungen. Der Künstler hat einen flächig-schwungvollen, wenn auch düsteren Stil, und er weiß Formate geschickt auszunutzen. Auf der schmalen, zweigeteilten Fassade sieht man links ein Mädchen, das sich an die Hauskante lehnt, als ob es beim Versteckspiel zählen muss. Rechts leuchtet matt eine rote Sonne auf einen verschneiten Wald, und weit hinten erkennt man einen spärlich bekleideten Mann, der, von Pfeilen durchbohrt, an einem Baum lehnt.

„Brutal“ findet Felix Schönebeck von „I love Tegel“ das Bild. Die Erzieherinnen einer Kita hätten sich, besorgt über den „negativen Einfluss“ des Gemäldes, an ihn gewandt, berichtet er und erhebt mahnend die vermeintliche Stimme der Vernunft: „Diese Art von Kunst hat nach Auffassung der meisten hier in einem Wohngebiet nichts zu suchen!“ Im Übrigen sei ganz in der Nähe eine Flüchtlingsunterkunft geplant, da drohe eine Retraumatisierung.

Kunst, zumal im öffentlichen Raum, war schon immer Geschmackssache. Man kann sich aber auch in die Ablehnung hineinsteigern. Dann sieht man – so wie Schönebeck es phantasievoll ausmalt – Blut vom Körper des Mädchens triefen, wo der Maler wohl nur in künstlerischer Freiheit den Faltenwurf des Kleids mit rötlichen Strichen betont hat. Und die Blutlache, in der das Kind angeblich steht, entpuppt sich bei längerer Betrachtung doch eher als farbiger Fliesenboden.

Aufrecht und stark

Was die vom Protest aufgescheuchte Gewobag selbst an Interpretationshilfen anbietet, ist nicht unbedingt besser: „Das kleine Mädchen steht sinnbildlich für ein Flüchtlingskind, es schaut in einen verschlossenen Raum und sieht Hoffnung – auch wenn die Landschaft auf den ersten Blick nicht hoffnungsvoll wirkt. Denn das Kind sieht einen Menschen, der – obwohl von Pfeilen getroffen – aufrecht steht und stark ist.“ Na ja, hm, vielleicht doch noch mal das Bild anschauen.

Ein bisschen peinlich wird es übrigens dann, wenn der Jung-Christdemokrat Schönebeck nicht erkennt, dass es sich bei dem Pfeildurchbohrten nicht um irgendeinen Halbnackten handelt – sondern um die an klassische Darstellungen angelehnte Figur des Heiligen Sebastian. Merke: Ein bisschen Allgemeinbildung ist keine Kunst.

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23 Kommentare

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  • Ich glaub in dieser Gegend gibt es sicher ein paar Graffity-Künstler, die das Ganze auch interessant gestaltet hätten.

    Muss sich schon fragen, wofür so eine Wohnungsbaugesellschaft das Geld rauswirft.

    • @LiebeSonneScheine:

      Das - ist in der Tat ein ganz ganz wunder Punkt - aus dem Segment -

      Kunst amim Stau!;)

       

      In Kölle läuft das auch fein schräg!

      Einerseits - Schwer auf "wir tun was" & "Saubere Stadt" machen. &

      Zugleich den streetGraffiteros - das Leben schwer machen. Andererseits aber mittels "echter Künstler" über Fassadenspraying plus Kohle" die Szene spalten!

  • Ein bißchen peinlich¿!

    Naja - der Mann ist Christdemokrat;

    Was immer das genau sein soll.

    Jung - nach dem Motto

    "18 Jahre - total verkalkter Hund!"

     

    Da verwundert nicht weiter…

    obwohl - doch wenigstens Christ

    "…um die an klassische Darstellungen angelehnte Figur desHeiligen Sebastian. Merke: Ein bisschen Allgemeinbildung ist keine Kunst."

     

    "Tja - solange es die Bibel nicht bei

    2001 (oder Jokers¿;) gibt!" beklagte unlängst ein KunstProf. die abendländische "Kunstferne" seiner Studis!

    kurz - Oswald Spengler hätte so oder auch anders seine helle;) Freude!

    Doch doch!

  • Schlimm finde ich eher diese Architektur. Ich hätte jemanden gemalt, der kotzt.

    • @Karl Kraus:

      Gemach ;()

      "Einfaltspinsel =

      Ausfallspinsel;)" by

      Thomas Kapielski

      Von Pizza legen - steht da nix;)

  • Letzten Endes zeichnet sich geglückte Kunst gerade dadurch aus, dass die Betrachter ihre eigenen (unterbewußten) Gefühle, Befürchtungen und Ängste aber auch Hoffnungen und Wünsche interagieren lassen können.

     

    Und so sie dazu in der Lage sind, können sie sogar den Gedanken zulassen, dass die Assoziationen zum Objekt in IHREM KOPF entstehen und nicht zwangsläufig durch das Motiv "vorgegeben" sind.

     

    Wem sich also durchweg Negatives durch das Bildmotiv erschliesst, wer sich dabei in immer absurdere Deutungen versteigt, und wer nicht erkennt, dass er selbst und nicht das Bild der Ursprung dieser düsteren Rezeption ist, dem ist nicht zu helfen. Das Leben ist nunmal ambivalenter, als es Prinzessin Lillifee, die Teletubbies und die Glücksbärchenbande suggerieren.

    • @cursed with a brain:

      Naja, Werbung für irgendwelche Heiligen der katholischen Kirche ist auch nicht grade soo viel besser.

    • @cursed with a brain:

      Was assoziieren Sie mit dem Bild?

       

      "Und so sie dazu in der Lage sind, können sie sogar den Gedanken zulassen, dass die Assoziationen zum Objekt in IHREM KOPF entstehen und nicht zwangsläufig durch das Motiv 'vorgegeben' sind" - Es ist ein sehr realistisches, gegenständliches Motiv. Das zwingt erstmal zum Denken und Fühlen in eine bestimmte Richtung. wie übrigens so manche nichtgegenständliche Bildkunst auch.

       

      Und um auf die "absurden Deutungen" und die "düstere Rezeption" zu sprechen zu kommen: ein von Pfeilen durchbohrter Mann, allein in einem Winterwald, halbnackt. Hmmm... Wer da mal nicht Frühlingsgefühle bekommt!

  • @Markus Müller: dem ist nichts hinzuzufügen. Zudem: Wenn Kunst zum Nachdenken anregen soll, wurde das Ziel absolut erreicht.

    Hier noch ein interessanter Link - durchaus in einem gewissen Kontext zum vorliegenden Artikel: http://www.nzz.ch/meinung/political-correctness-in-den-usa-hexenjagd-auf-dem-campus-ld.90416

  • Eigentlich wunderbar was gerade passiert.Ein paar Spießer blasen sich mal wieder zu besorgten Robin Hood-Bürgern auf und kämpfen für die armen rechtlosen Witwen und Waisen in dieser bemitleidenswerten Siedlung,die vom bösem Sheriff Gewobag mit Kunst gefoltert wird.Bessere Öffentlichkeitsarbeit für das Bild hätte man gar nicht machen können.

    • @Markus Müller:

      Ich glaube nicht, daß es hier um Öffentlichkeitsarbeit, das Prestige eines Künstlers oder eine Kunstdiskussion geht. Es geht um die Ausgestaltung des öffentlichen Raumes mittels Kunst am Bau. Konkret um ein riesiges Bild an einem sehr wirkungsvollen Platz in Hinsicht auf den Betrachtenden. Das ist ein deutlicher Unterschied zu kleinen Formaten, die in Privaträumen hängen. Und das Motiv sowie dessen Ausführung künstlerischer Art behagt offensichtlich vielen nicht, was aus dem Gegenstand ohne weiteres abzuleiten ist. Was ist daran spießig? Nur weil etliche andere Wandbilder nichtssagend bis schlecht sind, muß eines, das sich deutlich abhebt, nicht automatisch gut und zu begrüßen sein.

  • Warum lässt man die Anwohner nicht vorher über verschiedene Entwürfe abstimmen? Sie müssen ja jeden Tag mit diesen Bildern leben. Man sollte ihnen nicht ungefragt etwas aufzwingen, was ihnen nicht gefällt.

    • @vulkansturm:

      In echt¿!

       

      Zu den Anwohnern - mal

      Loriot & Ödipussy(?)

      kurz - die wissen doch knapp -

      In welcher Straße sie - öh wohnen!

       

      Der andere Punkt ist doch

      @Karl Kraus liegt da schon richtig;)

      "& dann - dann mach ich auf diesen

      Groooßen grooßen Scheißhaufen -

      Gaaanz gaanz oben - aber -

      Diesen kleinen blauen Punkt.

      Punkt.

  • Das ist das einzige von den Bildern,die ich jedenfalls bisher gesehen habe,die über die übliche, nichtssagende, spießige Wandgestaltung solcher Fasaden hinausgeht.Also ich würde mich freuen dieses Bild zu sehen.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Na, wenn das schon retraumatisierend ist, was machen wir dann mit dem politisch schönen Zirkus? Da werden Flüchtlinge gefressen. Gott bewahre, wenn das ein Flüchtling sieht!

  • Mit Verlaub, das Bild ist alles andere als lebensbejahend. Was für Hoffnung soll denn bitte ein von Pfeilen durchbohrter, im düstern Wald Stehender wecken? Vor allem in ner Plattenbausiedlung in Berlin?!? Und dazu ein Kind, bei dessen Darstellung schnell Assoziationen wie Blut und Gewalt kommen? - Ah ja, der hl. Sebastian (und damit die kath. und ev. Kirche) ist die Rettung aus dem düsteren Interpretationswirrwarr. Ein kaiserlicher Soldat, der wegen seines Glaubensbekenntnisses zwei Mal den blutigen Märtyrertod starb. Ist das Mädchen dann die Hl. Irene? - Super Wandbild im modernen Berlin! Was zur Hölle ist die Message? Zurück zum Mysterienkult und den blutigen Aspekten der christlichen Kirche? Erlösung durch Martyrium? Tod und Verderben? Endzeit? Erlösung im Glauben? Fiel denn niemandem was anderes ein?

    • @karin:

      "Was zur Hölle ist die Message?" Nein, vermutlich nichts von all dem, was Sie aufzählen. Die "Message" ist viel simpler. Sie lautet: "Ätsch, Leute, ich kann euch zwingen, euch für mich zu interessieren!"

       

      Sieht aus, als wäre die Kalkulation tatsächlich aufgegangen. Obwohl - wie hieß der Kerl nochmal, der dieses Bild verbrochen hat?

  • Ein blutiges Massaker.

     

    "Kunst kommt von Können, käme sie von Wollen, hieße sie Wulst"

    https://de.wikipedia.org/wiki/Kunst_kommt_von_Können

    • @stadtlandmensch:

      Da würde mich aber der vorletzte Absatz des Wiki Artikels an ihrer Stelle doch sehr stutzig machen:Im Nationalsozialismus wurde die Redensart in den Dienst der Diffamierung „entarteter Kunst“ gestellt. So schrieb die Berliner Morgenpost am 25. Februar 1938 zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung:

       

      „Kunst kommt von Können; wenn sie von Wollen käme, müsste sie Wunst heißen.“ Wie eine Illustrierung zu diesem Wortwitz wirken die ersten Bilder, mit denen sich jetzt in Berlin die Ausstellung „Entartete Kunst“ am Königsplatz 5 den Besuchern präsentiert. Es ist wirklich Wunst, was sich uns hier entgegenwölbt. Und so sinnlos dieses Wort klingt, genau so sinnlos glotzen uns die Kleckerein an, die mit Malerei nur dem Material nach etwas zu tun haben. Es sind Gebilde aus Leinwand und Farbe, formlos und schreiend; oft ist nur der Rahmen das einzig Gestaltete an ihnen. Voller Beschämung denkt man daran, daß diese Machwerke der Primitivität und des Unverstandes einmal „Zierden“ staatlicher Museen waren. [...] Und noch größer wird die Bestürzung des Besuchers, wenn er entdeckt, dass die Namen dieser Kunststümper noch in seinen Erinnerungen leben. Wie stark müssen sie uns einmal von ihren Anbetern eingehämmert worden sein, wenn wir heute noch wissen, wer Otto Dix und Paul Klee, Kokoschka und Nolde war. […] Die Formlosigkeit – sie ist das auch politisch angestrebte Chaos, die Sinnlosigkeit der Motive – sie verkörpert die mit künstlerischen Mitteln unterstützte Volksverdummung, die Disharmonie der Farben – was bezweckt die anders, als den angeborenen Schönheitssinn des deutschen Menschen zu ertöten?[10]"

      Seit dieser Zeit sollte der Umgang mit Kunst ein anderer sein.

      • @Markus Müller:

        @MARKUS MÜLLER Der Spruch ist von Ludwig Fulda, als Jude von den Nazis verfolgt. Dein "Leserbeitrag" hingegen ist komplett aus Wikipedia kopiert...

      • @Markus Müller:

        Wieso sollte es irgend jemanden "stutzig machen" das die Nazis diesen Spruch missbraucht haben? Gibt es denn irgend etwas, was die sich nicht unter den Nagel reißen wollten? Ich meine: Olympia wird ja auch immer noch ausgetragen...

        • @mowgli:

          ja eben - "ausgetragen" -

          mal wieder fein bemerkt;)