piwik no script img

Sachsen und die FlüchtlingeDas Bedürfnis nach einem Feind

Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt, wer Pegida und AfD in die Hände gespielt hat. Und wie er trotzdem optimistisch bleibt.

Nach der Wende damals, da gab es in dem Sinne keine Flüchtlinge: Geflüchtete in Chemnitz, 2016 Foto: dpa

Ali Moradi, Projektleiter und Geschäftsführer des Sächsischen Flüchtlingsrats. Geboren 1955 in Tabriz, Iran, dort Besuch der Schule und Abitur. Sein Vater war Architekt und Gerichtsgutachter, die Mutter Hausfrau. Nach dem Abitur Ausbildung an der Pilotenakademie Teheran zum Hubschrauberpiloten, Abschlussprüfung 1974. Danach Hubschrauberpilot beim Militär während des Ersten Golfkriegs bis 1989, ab 1978 Testpilot. Da er vor der Revolution als Linker politisch aktiv war, geriet er ab 1989 unter zunehmenden Druck, Ausschluss von staatlichen Beschäftigungen aus politischen Gründen, mehrfache Inhaftierung (mit physischer und psychischer Folter). Lebte in Isfahan und Teheran, hielt sich 1994 ein paar Monate versteckt.

1995 gelang ihm die Flucht aus dem Iran nach Deutschland. Sein Bruder lebte bereits in Bochum, er selbst wollte langfristig zwar nach Kanada, stellte aber erst mal in Deutschland einen Asylantrag und wurde nach Chemnitz geschickt. Sieben Monate später bereits bekam er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten jedoch (das Amt wurde geschlossen) bezweifelte die Asylgründe und klagte gegen den Entscheidung des Bundesamts. Von 1995 bis 2002 folgte ein 7 Jahre dauerndes Klageverfahren, 7 Jahre der Unsicherheit ohne Pass.

In dieser Zeit Gründung von Hilfsvereinen für Flüchtlinge in Zwickau, Kontakt zum Deutschen Flüchtlingsrat, ein Jahr Arbeit bei der Migrationsberatung des ökumenischen Informationszentrums Cabana in Dresden, insgesamt drei Jahre in der Flüchtlingsberatung. Seit 2001 Vorstandsmitglied im Sächsischen Flüchtlingsrat. 2002 endlich erhielt er seine Aufenthaltserlaubnis, 2003 die Niederlassungserlaubnis und 2006 seine Einbürgerung. Seit 2004 ist er Projektleiter des Flüchtlingsrats und ehrenamtlicher Geschäftsführer. Herr Morani ist verheiratet und lebt in Dresden.

Weltweit sind 60 Millionen Heimatvertriebene auf der Flucht, das sind mehr Menschen als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein großer Teil der Schutzsuchenden flieht aus Kriegs- und Krisenregionen, derzeit vor allem aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Albanien, Pakistan und Eritrea. 2015 wurden in Deutschland etwa 1,1 Million Flüchtlinge registriert. Von Anfang Januar bis Ende Dezember 2015 wurden etwa 476.000 Asylanträge gestellt. Die Bearbeitung jedoch ist äußerst schleppend und schlecht organisiert. Ende Dezember lag die Zahl der noch nicht entschiedenen Anträge bei 364.000. Mehr als 400.000 Flüchtlinge konnten bisher nicht einmal einen Antrag stellen, weil die Wartezeiten mehrere Monate betragen.

Keine Chance mehr auf Asyl

Die Abschiebung der Armutsflüchtlinge in ihre „sicheren Herkunftsländer“ hingegen wurde rasch beschlossen und forciert gehandhabt. Aber alles ist rechtens. Die Großzügigkeit des alten Artikels 16 im Grundgesetz (GG) existiert nicht mehr seit der Änderung des Grundrechts auf Asyl durch den „Asylkompromiss“, der am 1. Juli 1993 rechtskräftig wurde. Nach dem seither gültigen Artikel 16a GG hat in aller Regel keine Chance mehr auf Asyl, wer aus „verfolgungsfreien“ Ländern stammt oder über den Landweg und „sichere Drittstaaten“ einreist, von denen Deutschland ja lückenlos umgeben ist.

Anfang Februar 2016 bin ich in Dresden mit Herrn Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat verabredet und bitte ihn, ein wenig von seiner Arbeit und seinen Erfahrungen zu erzählen: „Die Situation, so wie wir sie heute in Sachsen haben, hat sich systematisch entwickelt und zugespitzt, weil die Politik versagt hat. Sie hat bereits versagt bei den schlimmsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegszeit, damals in den 90er Jahren in Rostock-Lichtenhagen und in Hoyerswerda. Sie hat weggeschaut, verharmlost und sich lieber auf einen Populismuswettbewerb mit Rassisten und rechten Gruppen eingelassen. Es ist kein Zufall, dass Pegida sich 2014 in Dresden gegründet hat. Fragen Sie mal die Landesregierung, was sie in den letzten Jahren unternommen hat gegen das Hochkommen dieses großen Fremdenhasses?!

Ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei denen, die die Ausländerfeindlichkeit verinnerlicht haben, da beißen Sie auf Granit

Nach der Wende damals, da gab es ja hier in dem Sinne keine Flüchtlinge. Da gab es an Ausländern vor allem Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner, Algerier; die waren Vertragsarbeiter in der DDR gewesen und lebten größtenteils ziemlich isoliert in Heimen. Aber auch die erfuhren damals schon Fremdenhass. Nach der Wende hatten wir hier bis 2004 eine Regierung, die wollte nicht wahrhaben, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung massiv Ausländerfeindlichkeit und Rassismus existieren. Es kamen dann ein paar mehr Flüchtlinge nach Sachsen – sie werden ja nach dem Königsberger Schlüssel auf die Bundesländer verteilt – und wir bekamen damals 5,4 Prozent, insgesamt für Sachsen. Zurzeit sind es nur noch 5,1 Prozent, weil die Bevölkerung durch Wegzug geschrumpft ist. Aber auch diese kleine Quote hat bereits zu Protest geführt.

Problem unter den Teppich

2004, bei der Landtagswahl in Sachsen, hatte auf einmal die NPD fast genauso viele Stimmen wie die SPD. Sie hatte 7,8 Prozent Stimmenzuwachs! Aber die CDU sagte immer noch, Fremdenfeindlichkeit haben wir nicht, und kehrte das Problem unter den Teppich. Auch dass durch die militärische Zuspitzung und die politische Situation in den Heimatländern der Geflüchteten sich auch hier bei uns die Dinge vollkommen verändern werden, hat die Landesregierung übersehen.

Wir haben hier in Sachsen die restriktivste Asylpolitik von ganz Deutschland. Das drückt sich zum Beispiel auch so aus, dass zentrale Unterbringung das herrschende Konzept war und dezentrale Unterbringung auch heute immer noch nicht in ausreichendem Maß umgesetzt ist. Viele Menschen müssen auch nach einem halben Jahr immer noch in zentralen Übergangseinrichtungen leben. Die meisten Wohnheime liegen in der Pampa, am Arsch der Welt, wo es keine Infrastruktur, keine Arbeit, keine Sprachschulen und nichts gibt.

Ich habe Familien besucht, die 15 Jahre in solchen Einrichtungen gelebt haben. Die Kinder waren drei Jahre alt bei der Ankunft, und mit 18 saßen sie immer noch im Wohnheim.“ Er fügt ärgerlich hinzu: „Am Ende sind sie dann abgeschoben worden! Viele sind verdammt zum endlosen Warten. Damals gab es ja noch die Residenzpflicht, die wurde 2011 abgeschafft, zugunsten einer freieren Bewegungsmöglichkeit in Sachsen. Sie kann aber nur für kurze Reisen, Arztbesuche und so weiter in Anspruch genommen werden, nicht aber für eine freie Wahl des Wohnsitzes. Es galt dann eine landkreisbezogene Residenzpflicht. Damit war die Bewegungsmöglichkeit bei uns noch mehr eingeengt als in anderen Bundesländern.

Interessant ist auch, dass die Sicherheitskräfte hier immer mehr daran interessiert waren, statt den rechten den sogenannten Linksextremismus zu bekämpfen. Immer wenn ein Flüchtlingsheim mit Molotowcocktails attackiert wurde, dann hat man das versucht zu relativieren. So ist die Situation.

Manipulation der Massen

2014 gab es einen richtiggehenden ‚Populismus-Wettbewerb‘, der hatte verheerende Folgen. Wir hatten 2014 hier im Mai Kommunalwahlen und im August Landtagswahl. Die rechten Parteien haben alle anderen Themen beiseitegelegt und sich nur der ‚Asylproblematik‘ gewidmet. Auch die CDU war nervös. Nicht wenige ihrer Funktionäre haben beim Populismuswettbewerb mitgemacht, haben versucht, aus diesem Thema politisches Kapital zu schlagen. Also Manipulation mit den xenophoben und ausländerfeindlichen Ressentiments in der Bevölkerung. Und die Aufklärungsarbeit, die ja eigentlich der Auftrag der Landesregierung ist, hat nicht stattgefunden. Man hat auch keinerlei Anstalten gemacht, dabei wenigstens die unabhängigen Vereine und Organisationen zu unterstützen.

Wenn sich Institutionen, die das Gewissen der Gesellschaft sein sollten, zurückhalten – wo bleibt dann die Moral?

Und dann kommt 2013/2014 die Pegida-Geschichte. Das war, wie gesagt, kein Zufall. Die NPD war knapp gescheitert, dafür war die AfD mit einem Schlag auf fast 10 Prozent gekommen. Also Pegida ist der außerparlamentarische Arm der AfD. Die sind nicht entstanden, weil eine allgemeine soziale Unzufriedenheit in der Bevölkerung existiert. Es gibt sie zwar, viele Anhänger sind schon älter und empfinden sich als Verlierer der Wiedervereinigung. Viele wurden von einer Maßnahme in die nächste geschickt, und deshalb gibt es in dieser Altersgruppe auch das Problem der Altersarmut und Rentenarmut, das war vorprogrammiert. Aber der Fokus von Pegida ist ein ganz anderer, es wird angeknüpft am Bedürfnis nach einem Feind, nach einem Prügelknaben.

Plattform für Pegida

Sie bedienen vor allem das Thema Fremdenfeindlichkeit und Abwehr der Fremden. Die ultrakonservativen Populisten haben auch sofort darauf reagiert. Manche staatlichen Organisationen, die eigentlich einen Bildungsauftrag zu erfüllen hätten, haben mit großer Freude diese Bewegung begleitet. Herr Richter, sagt Ihnen der Name etwas? Nein? Also Frank Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – die eigentlich überparteilich agieren müsste –, hat mit den Pegisten Interviews gemacht, stundenlang. Und er hat ihnen sogar ermöglicht, in seiner Behörde eine Pressekonferenz abzuhalten, und ihnen so eine Plattform geboten.

Ein anderes Beispiel erzähle ich Ihnen, es war quasi ein Vorzeichen. Weil 2013 die Zahl der Flüchtlinge, die Sachsen zugewiesen wurden, etwas gestiegen war, wurde in Schneeberg eine zusätzliche Notaufnahmestelle eingerichtet. Das ist eine kleine Stadt im Erzgebirge mit etwa 15.000 Einwohnern, sie ist auch bekannt durch ihren Weihnachtsmarkt. In einer ehemaligen NVA- und späteren Bundeswehrkaserne sollten ein paar hundert Bürgerkriegsflüchtlingen untergebracht werden.

Und der Schneeberger NPD-Stadtrat und seine Leute haben versucht, Kapital daraus zu schlagen. Es wurden Protestveranstaltungen auf dem Marktplatz organisiert und ein sogenannter Lichtellauf, ein Fackelzug durch die Stadt. Und es ist interessant, das war die erste größere Rekrutierung von Demonstranten über das Netz. Aufgerufen zur Demo hatte der dortige NPD-Kreisvorsitzende auf seiner Facebook-Seite ‚Schneeberg wehrt sich‘. Es sind so etwa 2.500 Schneeberger dem Aufruf gefolgt.

Gegendemo in der Minderheit

Ich war selber auch dort und habe gesehen: Das geht schief. Wir waren mit 11 Leuten da und wir wussten nicht, was passieren würde, ob sich etwas wie in den 90er Jahren in Hoyerswerda wiederholt – oder noch schlimmer, wie Rostock-Lichtenhagen. Wir haben mit ein paar Leuten versucht, vor dem Erstaufnahmelager eine kleine Menschenkette zu bilden. Ein Arzt aus Dresden war dabei und ein paar Sozialarbeiter aus Chemnitz. Zum Glück wurden wir nicht attackiert, denn sie waren gar nicht dort. Es war ihnen wichtiger, dass sie mit ihrem Fackelzug durch die Stadt laufen und gesehen werden.

Ali Moradi glaubt trotz aller Widrigkeiten an eine bessere Gesellschaft Foto: Gabriele Goettle

Schneeberg war so eine Art Auftakt. Und dann wurde dieses Thema heißer und heißer. Ich dachte mir schon, dass es bei diesem Propagandawettbewerb Schwierigkeiten geben würde, aber dass sie so massiv werden, das hat selbst mich überrascht. Und ich muss es noch mal sagen, Pegida hätte niemals so groß werden können, wenn das nicht von verschiedenen Institutionen und auch durch manche regierende Person ermöglicht und so gefördert worden wäre.

Statt Aufklärung zu machen, hat man Populismus betrieben. Zu einer Zeit, als Pegida hier mit schlimmen Parolen durch die Straßen zog, kündigte der Innenminister an: Wir wollen jetzt eine Sondereinheit für straffällig gewordene Flüchtlinge aufstellen. Und zur gleichen Zeit dementierte der Präsident der Polizeidirektion in Dresden, er sagte, es gibt kein spezielles Kriminalitätsproblem durch Flüchtlinge, sie sind im Vergleich nicht straffälliger als die Inländer. Und das galt für ganz Deutschland. 2014 gab es in Deutschland 895 Delikte gegen Flüchtlingseinrichtungen und Flüchtlinge, 2015 waren es mehr als 1.610 solcher Delikte, überwiegend rechtsradikal motiviert.

Geiz gegen Flüchtlinge

Nehmen Sie noch ein letztes Beispiel: An der TU Dresden gibt es einen Professor Patzelt, am Institut für Politikwissenschaften, ein Bayer, kennen Sie den? Sicher nicht. Er hat jedenfalls auch eine unrühmliche Rolle gespielt, was Populismus betrifft. 2004 forderte er eine stärkere Rechtsausrichtung der sächsischen CDU, um der NPD die Themen und Wähler streitig zu machen. In diesem Sinne ging es weiter.

Er ist ein Fan von schlagenden Verbindungen und redet mit der Jungen Freiheit. Er beschäftigte sich wissenschaftlich mit Pegida, ging auch bei ihren Montagsdemos mit. Und er wirbt um Verständnis für die Demonstranten, diese patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Er hat den ungeheuerlichen Vorwurf erhoben, dass die Anti-Pegida-Demonstrationen für die Zuspitzung der politischen Lage in Dresden verantwortlich sind. 2015 haben ihn seine Studenten als Sympathisanten der Pegida bezeichnet, und 12 Kollegen haben sich in einem offenen Brief von ihm und seinen Positionen distanziert.

Wenn sich Institutionen, wie Bildungseinrichtungen, Kirchen und Gewerkschaften, die quasi das Gewissen der Gesellschaft sein sollten, oft genug zurückhalten, um keinen Mitgliederschwund zu riskieren, dann frage ich mich: Wo bleibt die Moral? Wo bleibt die Pflicht gegenüber der Gesellschaft? Sie könnten die Gesellschaft ganz anders bilden und gestalten. Aber wenn Institutionen ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen, sondern auch noch Wasser auf die Mühlen gießen, dann sieht es schlecht aus. Und wenn ein Hochschullehrer, ein Mann, der Studenten unterrichtet, die Tatsachen derart verdreht, dann ist das alles mehr als fahrlässig und hat Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben.

Vergangenen Montag hatten wir hier im Stadtzentrum so eine Situation. Es war fast schon eine No-go-Area für Ausländerinnen und Ausländer, die, wie ich, orientalisch aussehen. So aggressiv waren die Pegisten. Wir, die Gegendemonstranten, sind immer in der Minderheit, mal sind wir 800, mal 1.000 oder auch mal 3.000, die 8.000 bis 10.000 Pegida-Anhängern gegenüberstehen. Wir haben anfangs sogar mit einigen versucht zu diskutieren, Aufklärung zu machen darüber, weshalb die Geflüchteten fliehen mussten, weshalb und wie sie hier leben, was sie an Hilfen erhalten und so weiter.

Da beißen Sie auf Granit

Bei manchen Mitläufern hatten wir sogar ansatzweise Erfolg. Das war aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei denen, die die Ausländerfeindlichkeit verinnerlicht haben, da beißen Sie auf Granit und müssen befürchten, dass sie – statt zu argumentieren – sofort handgreiflich werden. Das eigentlich Gefährliche ist aber, dass die rechten Bewegungen sich sammeln, international vernetzt sind und in 30 Städten wie Amsterdam, Budapest, Prag, Bratislava und so weiter auftreten.

Es ist leider so, wir, als Verein, als Sächsischer Flüchtlingsrat, haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, uns all dem entgegenzustellen. Aber wir versuchen es. Die politische Arbeit ist uns sehr wichtig, wir vertreten die Linie von Pro Asyl und den Flüchtlingsräten, haben ein großes Netzwerk und legen auf vier Sitzungen jährlich unsere Ziele und Strategien fest. Wir führen hier die politischen Gespräche mit Parteien, Organisationen, Landesämtern und Ministerien, reden über alles, was so auf der Tagesordnung ist. Für uns ist es ganz besonders wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit innerhalb der Bevölkerung machen. Und wir versuchen, möglichst viele Ehrenamtliche zu gewinnen und zu schulen; auch als Berater und Übersetzer.

Und was glauben Sie, was wir zur Bewältigung unserer Aufgaben an Geldmitteln bekommen? Der Sächsische Flüchtlingsrat erhält keinen einzigen Pfennig aus Landesmitteln! Wir haben in Deutschland 16 Flüchtlingsräte, in jedem Bundesland einen und nur der Bayrische Flüchtlingsrat und der Sächsische bekommen kein Geld von ihren Landesregierungen. Der Flüchtlingsrat in Baden-Württemberg zum Beispiel bekommt 250.000 Euro institutionell gebundene Mittel jährlich.

Förderantrag abgelehnt

Wir existieren quasi nur, weil wir von Pro Asyl unterstützt werden, von der UNO-Flüchtlingshilfe und durch Spenden. Mit diesem Geld haben wir seit 2008 Flüchtlingsprojekte aufgebaut. Wir haben versucht, mobile Asylverfahren-Beratung zu machen, sind zu den Wohnheimen gefahren im Landkreis und in den Städten, um den Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Haben Sprachkurse organisiert, auch berufsbezogene Sprachkurse. Als der Bedarf nach solcher Hilfe dann immer größer wurde, haben wir 2015 an die Landesregierung einen Antrag auf Fördermittel gestellt für diese Projekte. Dieser Antrag wurde abgelehnt!

Dazu müssen Sie wissen, wir haben in Dresden für die soziale Betreuung einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter auf hundert Leute. Das ist nicht zu schaffen, schon gar nicht bei den vielfältigen Problemen. Dieser Geiz geht auch auf Kosten der Flüchtlinge. Und deshalb versuchen wir, das eben mit Ehrenamtlichen zu unterstützen, Begleitung auf Ämter oder zum Arzt und vieles mehr zu machen. Wir haben sehr gute Leute, in jedem Alter, aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen, auch Linke, auch Christen.

Wenn Sie diese Ehrenamtlichen sehen würden, Sie wären begeistert! Da bekommt man wieder Kraft, um 24 Stunden weiterzuarbeiten. Und was unser Team betrifft, so versuchen wir, es so international und interkulturell wie möglich aufzustellen. Wir haben auch mehrere Sprachen zur Verfügung; hier an unserem Hauptsitz und in Chemnitz. Bald werden wir auch eine Zweigstelle in Plauen aufbauen, damit wir auch dort Hilfe leisten können. Wir hoffen, es gelingt.

Warum so überrascht?

Was ich nicht verstehe, ist diese Überraschung, die hier herrscht. Man sei nicht vorbereitet gewesen, heißt es immer. Aber es war ja längst bekannt, das Problem. In Deutschland hat man lange gedacht, wir liegen geschützt, wir sind sicher hier, die Millionen von Flüchtlingen stranden irgendwo anders, weit weg, kommen nicht bei uns an. Aber jetzt, wo sie da sind, wo sie kommen, erheben sich ein Geschrei und der Ruf nach Solidarität. Da gibt es einen Rechtsruck und populistische Reden. Nur, es ist doch so: Da, wo wir unglaubwürdig sind, wo wir die Menschenrechte und die Demokratie verraten, geben wir ein sehr schlechtes Vorbild ab.

Das ist Propagandafutter in der Hand von Diktatoren und autoritären Regimen! Die machen dort ihre demokratischen Bewegungen und vernünftigen Kräfte nieder und sagen: Schaut mal genau hin, die Deutschen, die glauben doch selbst nicht an das, was sie sagen, was sie sich in ihr Grundgesetz geschrieben haben. Solange der Ostblock existiert hat, wurden das Asylrecht und seine Inanspruchnahme sehr hoch gehalten und großzügig gehandhabt. Aber nach dem Mauerfall, nach dem Ende der sozialistischen Länder ist das Asylrecht nur noch eine ungeliebte Last. Und nun ist beides diskreditiert: der Sozialismus und die Demokratie. Das ist gefährlich!

Solange irgendwo eine Moral existiert, ist die Gefahr nicht so groß, wenn aber die Moral verdrängt wird, dann wird alles unberechenbar. Man sieht ja, wie die Rechten zulegen – nicht nur bei uns, auch in den nordischen Ländern, die ja früher immer ein Vorbild waren, was Integration und Soziales anging. Das ist alles vorbei.

Sie möchten ein Resümee? Ich bin eigentlich ein geborener Optimist und will nicht negativ in die Zukunft schauen. Also international gesehen könnte ein positiver Weg so gestaltet werden, dass wir sehr großen Wert legen auf Glaubwürdigkeit. Und wir müssen alles tun, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Nicht nur Europa, auch die USA. Dieser furchtbare Krieg muss beendet werden, es muss Druck gemacht werden, auch auf Saudi-Arabien. Der Krieg in Syrien ist nicht, wie man sagt, ein sunnitisch-schiitischer Glaubenskrieg. Nein! Man wollte dort Maßnahmen ergreifen, um das Einflussterritorium von Russland beziehungsweise dem Iran zu begrenzen.

Gegen die Zeit

Und das Problem der Kurden muss schnell gelöst werden, aber diplomatisch, nicht durch ein weiteres Blutbad. Der Türkei muss ganz deutlich gesagt werden, wo die rote Linie ist. Wenn es eine ‚Wertegemeinschaft‘ geben sollte, USA und Europa, dann müssen beide in positiver Weise an einem Strang ziehen. Aber es wird jetzt sehr auf den Ausgang der Wahlen in Amerika ankommen. Darauf, ob der Teil der Wirtschaft gewinnen wird, der nur noch ölorientiert und rüstungsorientiert ist. Wenn die brutalen Vertreter dieser Wirtschaft an die Macht kommen, dann ist Feierabend! Ich kann es nicht anders sagen.

Und hier bei uns erhoffe ich mir, dass die Pegida-Bewegung kleiner wird, Anhänger verliert, und natürlich auch, dass die AfD nicht noch stärker wird. Allerdings, damit sieht es nicht gut aus. Auf jeden Fall aber müssen wir eine umfassende Aufklärung in der Bevölkerung machen und die Flüchtlinge, die jetzt noch reinkommen, gut unterbringen.

Das könnte man sehr gut organisieren. Hoffen wir, dass sich die Landesregierung endlich an diesen Aufgaben beteiligt und auch die SPD so etwas vorantreibt. Da gibt es ja einige Vernünftige. Ich weiß, wir arbeiten gegen die Zeit, aber ich werde jedenfalls nicht aufgeben und weiterhin für meine Ideale kämpfen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • Ein Abgesang auf den Kapitalfaschismus der Volks- und Konsumgemeinschaft alt- und neu-deutscher Prägung.

     

    Millionen berufsqualifizierte Ostdeutsche flohen in den Jahren vor und nach der antifaschistischen Staatsgründung und in den Jahrzehnten vor dem Ende und der Implosion des Antifaschismus und der damit der DDR, ins westliche Konsum- und Autoparadies. Der Minderheit deutscher Antifaschisten: Kommunisten, Christen, Sozialisten und bürgerlicher Humanisten, war es vor und nach der Gründung der antifaschistischen und antiimperialistischen Deutschen Demokratischen Republik nicht gelungen, die antikommunistische und kapitalfaschistische Volksgemeinschaft von vor 1945 in Ostdeutschland zu überzeugen und im Massenbewusstsein zu überwinden [siehe auch nur 1953, acht Jahre nach der äußeren Niederlage des deutschen Kapitalfaschismus].

     

    Die analoge und verbindende bürgerliche Ideologie faschistischer Prägung wurde im Westen vom Konsum überbrückt. Die große Mehrheit der erwachsenen Brüder und Schwestern hatte sich schließlich mit der pastoralen Wende 1989/1990 nicht nur im gesamtdeutschen Geiste gefunden, sondern auch am Wohlstands-, Konsum- und Gabentisch, der nun auch ostdeutsch herrschenden quandtschen, bild-springerschen, mohnschen und siemensschen Finanz- und Monopolburgeoisie.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Die Situation von Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner und Algerier in der damaligen DDR haben Sie richtig wiedergegeben.

     

    Fakt ist, dass der „Ausländerneid“ der DDR-Bevölkerung damals - so überhaupt vorhanden - wegen deren Reisefreiheit, Devisenbesitz und anderer „Privilegien“ sich zu keiner Zeit auf die Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner und Algerier in der DDR bezog, sondern ausschließlich auf jene aus dem sogenannten „kapitalistischen Westen“, speziell auf die Bundesbürger.

    Dass ein Autochthoner nun eine üble Lüge, vermutlich auch noch mit Absicht und wider besseren Wissens zu verbreiten versucht, ist sicher biographisch erklärbar.

    • @3784 (Profil gelöscht):

      Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner und Algerier hatten vor 1990 durchaus das Privileg einer Freizügigkeit, die den DDR-Bürgern bis zum 9.11.1989 verwehrt war. Diese haben sie auch für einen kleinen Warenverkehr oder anderes genutzt. Darauf konnten die DDR-Bürger durchaus neidisch sein. Aber ein "Ausländerhass" war weder politisch opportun noch in relevantem Ausmaß öffentlich.

    • @3784 (Profil gelöscht):

      Ihr Kommentar bezieht sich vermutlich auf den von TAZTOM (weiter unten).

       

      Gebissene Hunde bellen gerne :-)

       

      Aber es gibt wie gesagt ausreichend historisches Material, welches diese Auffassung widerlegt.

      • 3G
        3784 (Profil gelöscht)
        @Hanne:

        Es geht in diesem Fall keineswegs um "unterschiedliche Auffassungen": Die Aussage des genannten Kommentators war unwahr, die des Autors zutreffend. Über unterschiedliche Auffassungen ließe sich streiten, über Falschaussagen nicht. Diese sind nur richtigzustellen.

      • @Hanne:

        Es ist nie besonders klug, Dinge, die man nie gesehen geschweige denn erlebt hat, vom eigenen Standpunkt aus erklären zu wollen.

         

        Welches historisches Material belegt denn Fremden"hass" in der DDR? Fremdheit, Distanziertheit, Neid, Minderwertigkeitskomplexe - ja, aber "Hass"? Nein.

         

        Wofür der Autor die Legende braucht, dass der Osten schon immer ausländerfeindlich war, erschliesst sich mir nicht. Es gibt genügend historische Belege, dass im Osten die weit verbreitete Reserviertheit gegenüber Fremden andere Ursachen hat.

         

        Das Gleichnis der "bellenden gebissenen Hunde" qualifiziert Ihren Kommentar allerdings auch nicht besonders. Es läßt eher auf mangelnde Wertschätzung schliessen.

        • 6G
          64457 (Profil gelöscht)
          @TazTiz:

          Ich will jetzt nicht pauschal alle Ossis reinwaschen, aber es gibt genug Beispiele für fremdenfeindliche Westimporte: den ehem. Kopf der Wehrsportgruppe Hoffmann (Thüringen), NPD, Reps, die Landesregierungen, die zu wenig für Prävention zur Verfügung stellten, heute pegidaverstehende Soziologen, die die führenden Positionen der geisteswiss. Fakultäten in den 90ern besetzten.

  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Endlich mal eine treffende Analyse jenseits von "weil die Sachsen in der Krippe aufs Töpfchen mussten und kein Westfernsehen hatten". Ich möchte behaupten, in Sachsen ist die Zivilgesellschaft genauso groß wie anderswo, aber es gibt nicht genügend staatliche Strukturen, die diese schützt. Namen der Täterversteher finden sich im Text. Ist aber die Zivilgesellschaft ausgebrannt, gibt es keine Hilfe. Die Kräfte gehen schon wahlweise für Pegida oder muslimische Ultras drauf. Letztere werden gern zu kirchlichen Dialogveranstaltungen eingeladen, anstatt deren Opfern eine Stimme zu geben. Und sich dann wundern, wenn die Leute islamophob werden. Die Polarisierung ist hausgemacht. Die Nichtpolarisierten können ja zusehen, wo sie bleiben und allein ihre Wunden lecken.

    • @64457 (Profil gelöscht):

      "Ich möchte behaupten, in Sachsen ist die Zivilgesellschaft genauso groß wie anderswo"

       

      Leider kann ich Ihre Behauptung nicht stützen.

       

      In Sachsen fehlt meiner Beobachtung nach beides: Zivilgesellschaft und staatliche Strukturen (im Sinne des Themas). Aber irgendwie ergibt sich auch das eine aus dem anderen.

       

      Der Mangel fängt schon in der Schule bei Lehrern und Lehrplan an:

      http://www.deutschlandfunk.de/politische-bildung-nachholbedarf-an-sachsens-schulen.680.de.html?dram:article_id=329792

      http://lsr-sachsen.de/2016/03/mehr-grw/

      http://lsr-sachsen.de/2016/03/schulstress-nein-danke/

       

      Sachsen ist auf dem letzten Platz, was politische Bildung angeht (finde gerade die Untersuchung nicht mehr).

      • @Hanne:

        Hier die Studie, sogar von der Konrad-Adenauer-Stiftung:

        http://www.kas.de/wf/doc/kas_20184-544-1-30.pdf?140127145035

         

        "So kommt ein durchschnittlicher deutscher Gymnasiast während des

        Besuchs der Jahrgangsstufen 5 bis 10 auf insgesamt rund 167 Unterrichtsstunden mit dem Kontext politische Bildung, wobei die Werte für die einzelnen Bundesländer voneinander signifikant abweichen: Auf der einen Seite stehen Bayern und Sachsen mit 40 bzw. 53 Stunden, im breiten Mittelfeld rangieren u.a. Hamburg, Saarland, Sachsen-Anhalt mit jeweils 160 Stunden; überdurchschnittlich schneiden ab Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils 187 Stunden. Zur Spitzengruppe zählen Rheinland-Pfalz mit 253 Stunden, Berlin und Brandenburg mit jeweils 280 Stunden und die Spitze wird von Nordrhein-Westfalen mit 280 Unterrichtsstunden besetzt."

         

        "Die Varianzen setzen sich auch bei dem Unterricht der politischen Bildung an Schulen mit dem Ziel eines Hauptschulabschlusses fort, allerdings auf einem deutlich höheren absoluten Niveau: So liegt hier der Mittelwert bei 204 Unterrichtsstunden je „Schülerkarriere”, mit den niedrigsten Kontingenten in Sachsen mit 40 Stunden und Saarland mit 80 sowie einer Spitzengruppe mit Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, die zwischen 304 und 400 Unterrichtsstunden rangiert."

        http://www.apb-tutzing.de/news/2014/erfolgreich-politisch-bilden.php

      • @Hanne:

        Ergänzung:

         

        "Es gibt diese Menschen, nur: Sie sind zu wenige, um geistiger Enge und Brutalität mit Aufklärung und breitem Widerstand entgegenzutreten. Noch immer fast vereinzelt kämpfen Pfarrer, Streetworker und kleine Bürgerinitiativen gegen klammheimliche Schadenfreude und eine Spirale des Schweigens. Ihre geringe Zahl verweist auf eine weitere Ursache für die unselige Gemengelage im Osten – den jahrzehntelangen Aderlass glaubwürdiger und bitter notwendiger Autoritäten.

         

        Denn auf geradezu verhängnisvolle Weise rächt sich bis zum heutigen Tag, dass sich unter den drei Millionen vergraulten DDR-Bürgern fast unsere gesamte kritische Intelligenz befand. Hier sind Generationen abgetragen worden. Und aus einem zurückbleibenden dumpfen Klima fliehen verständlicherweise nun auch die Glaubwürdigen der jüngeren Generation."

         

        Freya Klier, 2011

        http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13727979/Neger-Fidschis-und-die-Heuchelei-der-Linken.html

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Vielen Dank für den Beitrag!

     

    Es braucht viel mehr dieser präzisen Beschreibungen und Analysen. Als Zeitzeugnis für spätere Generationen. Es bliebe den späteren Generationen sonst nur das Gefasel der immer größer werdenden Hammelherde.

  • "Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner, Algerier ... in der DDR... die erfuhren damals schon Fremdenhass."

    Diese Aussage ist typisch und zeugt von Unkenntnis. In der DDR (so auch in Sachsen) gab es eher einen Ausländerneid - wegen Reisefreiheit, Devisenbesitz und anderer "Privilegien" gegenüber der DDR-Bevölkerung.

     

    Dass ein Flüchtling der einheimischen Bevölkerung Hass als Motiv unterstellt, ist sicher biographisch erklärbar. Eine eigene Integrationsleistung ist solche Grundannahme sicher nicht.

    • @TazTiz:

      Ich denke, mit Ihrer Interpretation und Definition des Rassismus bezüglich der Vertragsarbeiter in der DDR liegen Sie doch falsch.

       

      Lesen Sie doch mal hier, wie es in der DDR zum Thema Fremdenhass aussah:

       

      "Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED: Rassismus in der DDR" von Harry Waibel

       

      Inhaltsverzeichnis und Einleitung hier:

      http://www.harrywaibel.de/anlagen_archiv/Kritik%20des%20Rassismus%20in%20der%20DDR.pdf

       

      "Eine weitere wesentliche institutionell vorgegebene

      Ursache war die Isolierung der Migranten in speziellen Unterkünften, meist außerhalb der Ortschaften,

      wo sie „kaserniert“ in beengten Räumen und ohne familiäre Bindungen, getrennt von der Deutschen Bevölkerung, wohnen mussten.10"

       

      "Ausländerneid" bezog sich max. z.B. auf Europäer, die in der DDR (freiwillig) lebten.

      • @Hanne:

        Ergänzung zu Rassismus in der DDR:

         

        "Angeworbene ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter übten fast nur unqualifizierte Tätigkeiten aus und wurden in von der DDR-Bevölkerung vollkommen isolierten betriebseigenen Wohnheimen untergebracht. Bei einer Schwangerschaft mussten Arbeiterinnen entweder eine Zwangsabtreibung vornehmen lassen oder sofort in ihr Herkunftsland zurückkehren. Ausländischen Arbeiterinnen und Arbeitern wurde zu Restaurants häufig der Zutritt verwehrt und in Geschäften keine Waren an sie verkauft. Zahlreiche Jüdinnen uns Juden wurden aus der SED ausgeschlossen und flohen zu Hunderten aus der DDR. Es ereigneten sich zudem zahlreiche verbale und tätliche Angriffe auf Einzelpersonen und Wohnheime ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter, jüdische Friedhöfe und Gräber; es gab neonazistische, rassistische und antisemitische Schmierereien."

         

        "In seiner historischen Analyse weist Harry Waibel der deutschen Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung einen völkischen Nationalismus nach, von dem folglich auch die DDR nicht frei war. Viele Menschen in der DDR waren von der Überlegenheit der deutschen Nation überzeugt, wurden im Bewusstsein der eigenen Zugehörigkeit zu „den Guten“ und im Hass gegen die kapitalistischen Gegner erzogen. Rassistische Angriffe auf Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter und andere (vermeintliche) Migrantinnen und Migranten ereigneten sich aus einem Gefühl der deutschen Überlegenheit."

        https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/buecher/rassismus-der-ddr-rezension-von-harry-waibels-buch-der-gescheiterte-anti-faschismus-der-sed-2014-06

        • @Hanne:

          Schön, wenn Sie zu dem Thema irgendwo nachlesen müssen.

           

          Das Verhältnis zu Ausländern in der DDR war durchaus ambivalent. Aber im Tausch für ein bißchen D-Mark oder die Aussicht auf West-Konsum-Güter war die Bevölkerung durchaus nicht unfreundlich zu den Gästen. Eine Nähe wie heute gab es allerdings nicht.

           

          Was auch immer Harry Waibel bei den DDR-Bürgern an Deutschtum retrospektiv feststellt, für den Durchschnittsbürger traf das wirklich nicht zu.

  • Das Bedürfnis nach einem Feind, dürfte kein rein sächsisches sein. Eher ein menschliches. Daß sich dieses Bedürfnis dort so hässlich äußert, könnte an der von Herrn Moradi angesprochenen Geschichte der Selbstverleugnung liegen. Daß der Feind immer von außen kommen muß, scheint für Deutschland nicht ganz untypisch zu sein, lässt sich aber auch in anderen Ländern beobachten. Wir haben mit gesellschaftlicher und bürokratischer Diskriminierung einfach schon ne Menge Übung.

     

    Irritierend finde ich, wie selbstverständlich Bildungsferne und wirtschaftliche Mittellosigkeit als Erklärung für Ressentiments herangezogen werden. Klar, das ist wunderbarer Dünger für fremdenfeindliches Gedankengut und es gibt genügend (auch westdeutsche) Beispiele die das bestätigen (Dortmund, Bremerhaven).

    Schaut man zurück und schaut man in die Welt, führt Armut und/oder Unbildung doch aber nicht zwangsläufig zu Fremdenhaß.

    Wann genau ist eigentlich was passiert, daß aus dem Zorn auf die Verursacher, ein Haß auf die Mitbenachteiligten wurde? Sind wir schon so verblödet, daß uns der blinde Neid auf nicht viel mehr als nix näher ist, als das Benennen der Ursachen für soziale Ungerechtigkeit?

  • Gabriele Goettle - wer sonst!

    Danke.

  • "Das Bedürfnis nach einem Feind"

     

    Spätestens seit Martin Luther ist dieses Bedürfnis tief verwurzelt in "uns Deutschen".

     

    So sagte er z. B. über behinderte Kinder:

     

    "(...) Wenn man aber von den teufelsähnlichen Kindern erzählt, von denen ich einige gesehen habe, so halte ich dafür, dass sie entweder vom Teufel entstellt, aber nicht von ihm gezeugt sind, oder dass es wahre Teufel sind."

     

    (Opery exegetica, Erlanger Ausgabe, II., S. 127)" (Luther über behinderte Kinder)

     

    "Selbst Luther empfahl, man solle die ´Wechselbälge` und ´Krielekröppe` ersäufen, denn solche Wechselkinder seien

    lediglich ein vom Satan in die Wiege gelegtes Stück seelenloses Fleisch (massa carnis), ´das denn nicht gedeiht, sondern

    nur frisst und seugt."

     

    Zitate gefunden bei http://www.projektwerkstatt.de/religion/luther/luther_zitate.html

    • @Gion :

      Luther zitierte als gläubiger Geistlicher und Gelehrter lediglich die theologischen Schriften, die ihm zugänglich waren. Und nach der katholischen Glaubenslehre handelte es sich bei Behinderten um "Teufelsgeschöpfe", die keine Seele besäßen.

       

      Luther glaubte ebenso an Hexen und hielt ihre Verbrennung für richtig und konsequent, was damals aber allgemein üblich war. Allerdings zweifelte er an einigen mittelalterlichen Überlieferungen der Hexenlehre, wie "Teufelspakt" und "Hexensabbat", so dass sich später sowohl Befürworter als auch Gegner der Hexenverfolgung auf ihn beriefen.

       

      Die Deutung von Luthers Person und Lehre war immer eng mit den jeweiligen zeitgeschichtlichen Vorstellungen verbunden. Es fällt daher schon auf, dass Sie bemüht sind Luther zu dämonisieren, dabei aber ständig nur auf eine einzige Quelle verweisen können, die keine wissenschaftliche Relevanz oder seriöse Autorität besitzt. Die dortigen Darstellungen Luthers sind verkürzt, einseitig und im Wesentlichen ahistorisch zu nennen.

    • @Gion :

      schomma warmlaufen, 2017 wird unser großes standbild gefeiert: "500 jahre reformation" so lasen wir auf einem riesenbanner an eine lutherkirche im thürigischen. ein sturm zerfetzte das banner - das r von reformation war beschädigt, es sah wie ein d aus...

  • Danke für diesen Beitrag.

    Er beschreibt sehr gut was in Sachsen abgeht. Es geht meines erachtens sogar noch ein Stück weiter: die Zivielgesellschaft in Sachsen wird sogar seit Ewigkeit kriminalisiert. Ein Blick in Richtung "Dresden Nazifrei" macht einem klar wie die sächsische Regierung tickt.