Debatte Krebsverdacht gegen Pestizid: Verbietet Glyphosat!
Die EU will das unter Krebsverdacht stehende Pestizid Glyphosat weiter erlauben. Höchste Zeit, das Zulassungssystem zu reformieren.
W ir Konsumenten müssen uns nicht groß um die Sicherheit unseres Essens kümmern – sagen Ernährungsbranche, Behörden und rechte Politiker immer wieder. Denn „noch nie waren unsere Lebensmittel so sicher wie heute“. Der Staat würde uns etwa vor schädlichen Chemikalien schützen.
Doch der Fall des meistgebrauchten Pestizids in Deutschland, Glyphosat, beweist das Gegenteil. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Chemikalie weitere 15 Jahre zuzulassen. Am Montag und Dienstag wollen die Mitgliedstaaten darüber beraten und möglicherweise abstimmen. Vermutlich werden sie über kurz oder lang grünes Licht geben.
Wissenschaft ist tief zerstritten
Damit setzt sich die EU darüber hinweg, dass Glyphosat unter Wissenschaftlern so umstritten ist wie kaum ein anderes Pestizid, das regelmäßig beispielsweise in Äpfeln auftaucht. Zwar hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit auf Grundlage eines Gutachtens des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung den Unkrautvernichter als unbedenklich eingestuft. Doch die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation brandmarkt ihn als „wahrscheinlich krebserregend“. Sie beruft sich vor allem auf Tierversuche, in denen der Wirkstoff Tumoren ausgelöst habe. Aber das Bundesinstitut hat diese Ergebnisse – manche sagen: willkürlich – anders interpretiert.
Rund 100 Wissenschaftler von Universitäten und Behörden zum Beispiel in Deutschland, Frankreich oder den USA warfen deshalb dem Bundesinstitut vor, sein Urteil sei nicht glaubwürdig. Darunter waren viele emeritierte Forscher. Aber sogar Schwedens Chemikalienbehörde hat den Glyphosat-freundlichen Bericht des Amts kritisiert und sieht den Stoff mindestens in der Kategorie „Verdacht auf krebserregende Wirkung“.
Es ist normal, dass Forscher die Gefährlichkeit von Substanzen unterschiedlich bewerten. Doch in diesem Fall warnen besonders viele und seriöse Experten. Bei so großen Zweifeln sollte die EU nach dem Vorsorgeprinzip handeln und Glyphosat verbieten.
Dass die EU das nicht tun, liegt auch an zu großen Nähe vieler Überwachungsbehörden zur Industrie. Die Ämter stützen sich laut der EU-Verordnung über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auf Studien der Hersteller. Sie müssen die Untersuchungen noch nicht einmal veröffentlichen, so dass unabhängige Wissenschaftler sie kaum kontrollieren können. Lediglich Zusammenfassungen der Analysen finden sich in Glyphosat-Bericht des Bundesinstituts. Diese Inhaltsangaben übernahmen die Beamten nach eigener Darstellung fast eins zu eins von der Industrie. Das wäre bei der Internationalen Krebsforschungsagentur undenkbar. Sie wertet zu Recht nur öffentlich zugängliche Studien aus.
Hinzu kommt, dass die Substanzen, mit denen die Wirkstoffe zu handelsüblichen Pestiziden gemischt werden, und die Mischungen an sich noch schlechter kontrolliert werden. Für Mischungen sind bislang keine Experimente vorgeschrieben. Obwohl Studien zeigen, dass sich die schädlichen Veränderungen der Einzelsubstanzen in Pestiziden addieren, teilweise sogar potenzieren. So konnte es passieren, dass die Beistoffgruppe der POE-Tallowamine zugelassen ist, obwohl selbst die deutschen Behörden sie seit Jahren für so gefährlich halten, dass die EU sie verbieten sollte.
Kein gutes Licht auf die Pestizidkontrolleure wirft auch, dass sie gemeinsam mit Industrievertretern in von der Branche finanzierten Organisationen an neuen Prüfverfahren gearbeitet haben. Das Bundesinstitut lässt sich nach eigenen Angaben bis heute in seiner “Kommission Pflanzenschutzmittel“ von Industrievertretern beraten – beispielsweise über Strategien zur Einschätzung von Pestiziden.
Solchen Behörden, die solche industriefreundlichen Gesetze umsetzen, sollten wir Verbraucher keinesfalls blind vertrauen. Stattdessen müssen die Konsumenten selbst einen Teil der Verantwortung für die Sicherheit ihrer Lebensmittel übernehmen. Die Risiken durch Pestizide werden so mangelhaft geprüft, dass man nur empfehlen kann, Nahrungsmittel aus ökologischem Landbau zu essen. Denn Biobauern müssen ohne chemisch-synthetische Pestizide wie Glyphosat produzieren.
Pflug statt Chemie
Dieses Verbraucherbewusstsein darf nicht zu Panik führen. Denn die Giftrückstände in konventionellen Nahrungsmitteln sind in der Regel gering. Wer sie ab und an zu sich nimmt, erhöht das – bislang ja noch nicht zweifelsfrei bewiesene – Risiko, etwa für Krebs, nur minimal. Aber warum sollten wir auch so kleine Risiken eingehen für so einen Stoff? Schließlich wird Glyphosat nur eingesetzt, weil die Chemieindustrie mit ihm viel Geld verdient und weil er den Bauern die Arbeit erleichtert. Selbst die konventionelle Landwirtschaft könnte auf den Wirkstoff verzichten, wie das bundeseigene Julius-Kühn-Forschungsinstitut für Kulturpflanzen schreibt. Die Landwirte müssten eben etwas häufiger zum Pflug als zur Pestizidspritze greifen, um Unkraut zu zerstören.
Als Bürger sollten wir dafür kämpfen, das Pestizidzulassungssystem zu reformieren. Eine Möglichkeit wäre, dass für die Zulassung die Studien über die Sicherheit der Substanzen künftig nicht mehr von den Herstellern direkt, sondern von einem unabhängigen Fonds in Auftrag gegeben werden. In ihn könnten Gebühren fließen, die die Hersteller für die Zulassungsanträge zahlen. Die Untersuchungen wären zu veröffentlichen, alle Zutaten von Pestiziden genau zu prüfen – auch die Mischungen.
Damit würde der Aufwand für die Industrie gewaltig steigen, Pestizide würden teurer werden. Aber das wäre im Interesse der Allgemeinheit. Schließlich würden die Bauern dann weniger Ackergifte einsetzen. Im Gegenzug müssten sie beispielsweise Jahr für Jahr wieder mehr Früchte pro Feld abwechseln, damit Schädlinge und Krankheiten schlechtere Chancen haben. Vielfältigere Fruchtfolgen hätten auch den Effekt, dass wieder mehr Tier- und Pflanzenarten überleben könnten.
Klar, die Bauern würden weniger ernten, aber bei der Überproduktion, die wir zum Beispiel bei Schweinefleisch oder Weizen haben, wäre das kein Beinbruch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar