piwik no script img

Kommentar „Unwort des Jahres“Der Deppen-Indikator

Heiko Werning
Kommentar von Heiko Werning

„Gutmensch“ war mal eine Kritik von links an Leuten, die Analyse durch Gefühl ersetzen wollten. Dann ist er auf die dunkle Seite der Macht gewechselt.

Mehr als ein Gutmensch. Foto: dpa

D ie Wahl des „Gutmenschen“ zum Unwort des Jahres ist nicht nur richtig, sondern arg überfällig. Vielleicht sollte er gleich zum Unwort des Jahrzehnts befördert werden.

Populär wurde der Begriff Anfang der Neunziger als hübsche Invektive aus dem Umfeld der Satiriker um Klaus Bittermann, Gerhard Henschel und Wiglaf Droste. Er diente der Notwehr gegen die überall um sich greifende „Schaumsprache“ moralisch selbstgefälliger wie denkfauler Trottel*innen, die ihre intellektuelle Inkonsistenz durch ganze Schichten von Quatschformulierungen, dick wie der Blubber eines Grönlandwals, zu verbergen suchten.

Dass diese Art von Sprach- wie Gedankenmüll oft auch im grün-alternativen und kirchlichen Milieu seine Endlagerstätte fand, sagt viel aus über den beklagenswerten Zustand sich progressiv empfindender Kreise. Aber nichts über progressive Anliegen an sich. Der „Gutmensch“ war eine sprachliche Kritik von links an Leuten, die Analyse durch Gefühl und Systemkritik durch Systemkosmetik ersetzen wollten. Nie aber wendete er sich gegen „gute“, also humanistische Werte, ganz im Gegenteil.

Dann jedoch wurde er gezielt gekapert. Von der Rechten, die in ihm eine passende Denunziationsvokabel fand, um jeden als Naivling hinzustellen, der sich nicht ihrer Schulhofschläger-Logik fügen wollte. Seit Langem schon ist sein ursprünglich aufklärerischer Impetus ins Gegenteil verkehrt worden. Der Gutmensch ist sozusagen auf die dunkle Seite der Macht gewechselt.

Inzwischen wird er, als rechter Kampfbegriff, dermaßen inflationär gegen jeden Menschen verwendet, der auch nur einen Hauch von Differenzierung, Vernunft oder Empathie in die Debatte bringen will, dass er nun doch schon wieder hilfreich ist: als Deppen-Indikator. Wer heute noch „Gutmensch“ gegen jemanden vorbringt, der sagt nichts über seinen Gegner, aber sehr viel über sich selbst – als waschechter Bösmensch.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Zu meinem Standardvokabular gehört der Begriff nicht, und ich würde ihn nicht gegen Flüchtlingshelfer gebrauchen, deren Motive ich nicht geringschätzen kann.

    Ich erinnere mich noch, dass ich ihn einmal (im kleinen Kreis) gegen eine Mutter verwendet habe, die sich weigerte, ihrem Kind, obwohl gerade verdächtige Vorkommnisse in der Nachbarschaft bekannt geworden waren, gewisse Verhaltensmaßregeln zu geben. "Ich kann ihm doch keine Angst vor Fremden beibringen".

    Ich verwende ihn auch für Pazifisten, weil ich es nicht etwa naiv, sondern unerträglich finde, die alliierten Soldaten, die gegen Hitler gefallen sind, mit dessen SS in die gleiche Kategorie: "Soldaten sind alle Mörder" zu stecken.

    Im Übrigen lehne ich alle diese Sprachregelungen als pseudohilfreich eher ab. "Zigeuner" wurden zu "Sinti und Roma", dann neuerdings zu "Personen mit häufigem Wechsel des Aufenthaltsortes"- die Begriffsverschlechterung hat also offenbar schon wieder begonnen. Das bewirkt bewusstseinsmäßig nichts und ist selbst alles andere als ein rationales Vorgehen.

  • The Gutmen.

    Ursprünglich wurden Darmstätder in England so genannt. Der Begriff kommt nämlich aus dem angelsächsischen und findet sich schon bei Shakespeare. (Schuld und Sühne)

  • Mein alternativloser Vorschlag für 2016:

    Populist.

    Für 2017 Populistin

    2018: Rechtspopulist/in

    2019: Linkspopulist*in

    2020: 3. Weltkrieg

  • Rechts=böse. "Links"=gut?

     

    Der Begriff Gutmensch ist nicht erst durch die Rechten zum Deppenindikator geworden. Auch bei den Linken gibt es mehr als genug Deppen, die Worte unabhängig ihrer Bedeutung und ihres Wahrheitsgehaltes zur Durchsetzung eigener Positionen und Machtansprüche einsetzen. Auch von Linken wurde Gutmensch als Kampfwort benutzt, um Andersdenkende zu beschimpfen und ihre auf humanistischen Werten beruhenden Argumente ins lächerliche zu ziehen.

     

    Das zu erwähnen ist wichtig, denn wer die Existenz von Deppen auch unter den Linken leugnet, schafft ihnen dort ein Refugium und fördert das Deppentum.

    • @sim:

      Das waren aber keine "rechten" Anderdenkende, sondern Leute in den eigenen Reihen! Der Vorläufer der "Gutmenschen"-Häme war übrigens die ironische Rede über die in alternativen Kreisen allgegenwärtige "Betroffenheit"... und das konnte ziemlich lustig sein, da hatten dann z. B. DDR-Bürgerrechtspfarrer "rauschende Betroffenheitsbärte"

  • Der Bösmensch:

     

    Das Gegenteil von »Gutmensch« ist der die neoliberal-neurechten Latrinenparolen von »Focus« und »Welt« bewusstlos nachbrabbelnde Viertelgebildete, der Umweltschutz auch nach über 30 Jahren Ökologiebewegung immer noch für eine neo-bolschewistische Verschwörung gegen den Standort Deutschland hält, der beschränkt und paranoid genug ist, angesichts öffentlicher Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung Homosexueller von der angeblich bevorstehenden »Zwangsverschwulung« der Gesellschaft zu delirieren...

     

    Für den typischen Anti-Gutmenschen, häufig ein mehr oder weniger unkündbarer Angestellter im öffentlichen Dienst oder gar Beamter, sind Arbeitnehmer grundsätzlich überbezahlt und großenteils sowieso überflüssig, man selbst hingegen chronisch ungerecht behandelt. Ist er Unternehmer, dann singt er selbstredend das Hohelied der freien Marktwirtschaft - aber wehe, die Subventionen für die eigene Branche stehen auch nur zur Diskussion!

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    genausogut könnte man eben rechte rassisten die für ihren lohnarbeit-sklavenjob alles geben und der meinung sind damit der gesellschaft zu dienen, naives gutmenschentum vorwerfen.

    ich mag diesen begriff und sehe nicht ein warum ich ihn rechten volldioten überlassen soll die au ihre art genauso moralistisch sind

  • "Schulhofschläger-Logik" - auch eine gute Formulierung.

    Wobei aus Sicht des Schulhofschlägers ein Naivling der ist, der Schlägereien leugnet, obwohl es sie eben gibt. Und das ist dann irgendwie auch verständlich und logisch. Aber der Schläger bleibt deswegen ja trotzdem nicht moralisch überlegen.

  • "Deppen-Indikator" - großartige Formulierung! Werde ich in meinen aktiven Wortschatz übernehmen. Auch sonst ein Klasse Kommentar!

  • Ich persönlich finde den Begriff "Gutmensch" für Leute, die Analyse durch Gefühl ersetzen, generell richtig - egal ob von links oder nach links.

    • @Capt. Cool:

      Durchaus. Verwendet wird er allerdings auch, vielleicht sogar vor allem, gegen Menschen, deren Analyse andere Ergebnisse zu Tage gefördert hat als jene des dann nicht-Gutmenschen. Der Begriff wird auch häufig gerade von Menschen verwendet, die Analyse durch Angst und Ressentiments ersetzen. Dadurch ist der Begriff natürlich nicht mehr im ursprünglich gedachten Sinne verwendbar.

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    Die Rechten haben den Begriff "Gutmensch" gekapert, um damit die Linken zu beschimpfen. Im Gegenzug haben die Linken den Begriff "neoliberal" gekapert, um damit die Rechten zu beschimpfen. Damit steht es unentschieden. Ich schlage vor, Argumente auszutauschen und aufzuhören, sich gegenseitig mit Häme und Spott zu übergießen.

    • @86548 (Profil gelöscht):

      Wenn schon, dann haben die "Chicago Boys" den Begriff "gekapert", als sie im faschistischen Pinochet-Regime das Wirtschaftssystem neu ausrichteten und sich dabei systembedingt nicht mit Widerstand der vom Militär kontrollierten arbeitenden Massen auseinandersetzen mussten. So konnten sie eine besonders effiziente und rabiate Form des Raubtierkapitalismus installieren, bekannt als "monetaristische Schocktherapie". Die Staatsausgaben wurden innerhalb eines Jahres um fast 30% gekürzt, die Zolltarife von 70% auf 33% mehr als halbiert, während die Zentralbank die Kreditzinsen von 50% auf 178% mehr als verdreifachte. Kapital- und Vermögenssteuer wurden abgeschafft, zur Gegenfinanzierung die Mehrwertsteuer eingeführt. Infolge dieser unausgewogenen Brachialpolitik fielen die Reallöhne praktisch über Nacht um 60%, die "Armutsrate" stieg bis Mitte der achtziger Jahre auf über 40%, die der "extremen Armut" auf ca. 15% an. Bezogen auf Deutschland hiesse das, 32 Mio Menschen auf H4 und weitere 13,5 Mio obdachlos und ohne jede Unterstützung.

       

      Trotzdem wurden Weltbank und IWF nicht müde, Chile jährlich für seine neoliberale Wirtschaftspolitik in den höchsten Tönen zu loben.

       

      Der Neoliberalismus "in Reinform" brachte Chiles Wirtschaft ein "Strohfeuer" zwischen 1977 und 1981 (jährliche Zuwachsrate 7-8%), gefolgt von einem brutalen Absturz (die Wirtschaftsleistung schrumpfte innerhalb eines Jahres um rund 15%) und Jahren der Stagnation. Infolge von Redemokratisierung und Abkehr von den neoliberalen Ideen erholte sich die Wirtschaft in den neunziger Jahren wieder mit jährlichen(!) Zuwachsraten zwischen 6% und 12%.

       

      Die "Aufräumarbeiten" zur Wiedereinführung menschenwürdiger Lebensverhältnisse dauert seit fast 30 Jahren an, Pinochets Amtszeit betrug gerade mal die Hälfte dieser Zeitspanne.

       

      Der Begriff des Neoliberalismus wurde also von rechtsliberalen Wirtschaftsfaschisten "verbrannt", und das einzig durch seine, wenngleich rigorose, Umsetzung in die Tat.

  • @ Heiko Werning

     

    "grün-alternativ" oder auch "Naivling" sind Worte, die m.E. auch locker auf der Unwort-Liste landen könnten, wenn auch auf den unteren Rängen.

     

    Ansonsten danke für die Infos zur "Geschichte des Gutmenschen". Diese Herkunft des Begriffs war mir bisher noch nicht bekannt.

    • @Max Lux:

      Oder auch "links-grün versifft".

  • "Der „Gutmensch“ war eine sprachliche Kritik von links an Leuten, die Analyse durch Gefühl und Systemkritik durch Systemkosmetik ersetzen wollten."

     

    "Inzwischen wird er [..] gegen jeden Menschen verwendet, der auch nur einen Hauch von Differenzierung, Vernunft oder Empathie in die Debatte bringen will"

     

    Sie sind ein Gutmensch!