piwik no script img

Vegetarische ErsatzprodukteDie dunkle Seite des Schinken Spickers

Lord of Tofu und Veggyfriends sind Pioniere veganer Lebensmittel. Doch die großen Fleischkonzerne machen ihnen Konkurrenz.

Der Umsatz für Fleischalternativen steigt – nur nicht bei Katzen Foto: nailiaschwarz / photocase.de

Berlin taz | Frisst die vegetarisch-vegane Revolution ihre Kinder? Die Pionierfirmen der Branche werden immer stärker vom Veggie-Angebot der alten Fleischkonzerne verdrängt. Rügenwalder Mühle, Wiesenhof und andere Firmen erweitern derzeit schnell ihr Sortiment und füllen die Supermarktregale mit fleischlosen Fleischwürsten, Schnitzeln oder vegetarischer Mortadella.Das geht zulasten der Kleinen: Beim Lörracher Unternehmen Lord of Tofu, einem Vorreiter-Unternehmen für vegane Lebensmittel, denkt man bereits über Entlassungen nach. Auch andere Kleinhersteller müssen in den Supermärkten den Großen weichen.

Lord of Tofu erkennt „massiven Gegenwind“. Nach dem Einstieg der Fleischkonzerne habe sich die Konkurrenz erheblich verschärft, und: „Wir sind die Ersten, die ausgelistet werden“, sagt Mitinhaberin Dörte Ulrich der taz.

Der Hersteller mit seinen 13 Beschäftigten ist biozertifiziert, verwendet nur heimische, gentechfreie Sojabohnen und versucht geschmacklich, möglichst natürlich zu bleiben und nicht in erster Linie den tierischen Gout zu imitieren. Trotz aller Anstrengungen könnten jetzt personelle Einschnitte anstehen, so Ulrich.

taz.ökobiz

taz.ökobiz beschäftigt sich gezielt mit Geschichten aus der nachhaltigen Wirtschaft – mit Analysen, Reportagen, Hintergründen. Regelmäßig auf taz.de und gebündelt auf einer Seite montags in der taz.die tageszeitung. Am Kiosk oder am eKiosk.

Auch Veggyfriends, ein Pionier, der seit 2002 vegane Produkte anbietet, spürt die neue Konkurrenz. Das 22-köpfige Unternehmen unterstützt Tierschützer und engagiert sich seit Jahren für Kampagnen gegen Massentierhaltung. Jetzt bekommen sie von den Händlern immer öfter die rote Karte gezeigt. „Die sagen uns, dass unsere Produkte toll sind, aber sie müssten jetzt leider die Großen ins Regal nehmen, weil sie mit denen auch im Fleischsektor zusammenarbeiten“, sagt Firmengründerin Rosalie Wolff der taz. Doch Wolff bleibt kämpferisch: „Ich wehre mich gegen die Opferrolle, wir müssen einfach noch innovativer und besser werden und dürfen uns nicht einschüchtern lassen.“

Vom Hühnerschänder zum Kooperationspartner?

Was die kleinen Firmen besonders wurmt: Die Fleischkonzerne werden ausgerechnet von jenen Organisationen unterstützt, die sie zuvor bis aufs Messer bekämpft haben. Der Deutsche Vegetarierbund (Vebu) etwa labelt die Veggie-Linie des Fleischkolosses Rügenwalder Mühle. Und die Tierrechtskämpfer von Peta verhandeln derzeit mit dem Geflügelriesen Wiesenhof, um dessen fleischlose Produkte womöglich mit dem Peta-Emblem zu adeln. In den sozialen Medien wird der „Pakt mit dem Teufel“ heftig kritisiert. Wie könne man nur mit Unternehmen kooperieren, die „Millionen Tiere ermorden“, heißt es. Vom Hühnerschänder zum Kooperationspartner?

Lord of Tofu ist aus Protest aus dem Vegetarierbund ausgetreten und hält dem Vebu vor, seine ethischen Grundsätze verloren zu haben. Eine „relevante Austrittswelle“ habe es bisher aber nicht gegeben, hieß es auf Nachfrage der taz.

Die sagen uns, dass unsere Produkte toll sind, aber sie müssten jetzt leider die Großen ins Regal nehmen

Rosalie Wolff, Veggyfriends

Der Vegetarierbund verteidigt die Unterstützung für Rügenwalder in einer langen Stellungnahme. „Wir sind überzeugt, so eine breite Masse für vegetarische und vegane Fleischalternativen gewinnen zu können.“ Ziel seien mehr vegetarisch-vegane Produkte im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. „Wir sind überzeugt, dass es ein Fortschritt ist, wenn jetzt sogar ein zuvor rein Fleisch verarbeitendes Unternehmen Veggie-Wurst und Veggie-Fleisch anbietet“, so der Vegetarierbund. Die Pioniere kontern: Warum würden sie nicht in gleicher Weise unterstützt?

Der Veggie-Boom sorgt unterdessen weiter für erstaunliches Wachstum. So ist 2014 der Umsatz für Fleischalternativen und pflanzliche Brotaufstriche auf 213 Millionen Euro gestiegen, 73 Prozent plus in fünf Jahren. Bei Rügenwalder hat die vegetarische Version des Schinken Spickers und Frikadellen die Fleischsorten im Verkauf überholt.

Sophie Herr, Leiterin des Teams Lebensmittel der Verbraucherzentrale Bundesverband, beobachtet die vegan-vegetarischen Turbulenzen mit ganz anderem Blick. Sie will die Aufmerksamkeit auf die oft kritischen Inhaltsstoffe der Fleischersatzprodukte lenken. In einigen neuen Produkten werde extrem viel Hühnerei verwendet. Da stelle sich die Frage, ob dies erstens gesund sei und zweitens dem Tierwohl diene.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Eine vegane Fleischindustrie! Wie cool ist das denn!

  • Vegan fuer die massen. Da kann sich blaublut "LORD" of tofu nur die nase ruempfen.

    Nur zur erinnerung:es werden immer menschen zu ernahren sein. Eine effiziente produktion von veganen lebensmitteln wird hierzu eine zentrale rolle spielen.

    Je frueher, je besser.

  • [...] Dabei kritisiere ich noch nicht mal die mangelnde Rationalität dieser Lehren (ich bin kein orthodoxer Szientist), sondern die selbstgerechte Ausblendung der glasklar rassistischen Anteile à la "Wurzelrasse".

    Wer meint, das hätte nur historischen Wert und würde heute nicht mehr gelehrt, kann ja mal schauen was Anthroposophen zu Japanern (bzw. Asiaten) und Fukushima so schreiben.

    Es ist einfach nicht zu fassen: da wird auf jeden Scheiß geachtet und tausende Ethik-Siegel gemacht (weshalb ich das ja auch kaufe) aber mal vor der eigenen Haustür kehren??? Leider so gut wie kein Problembewusstsein, denn man gehört ja per Selbstdefinition zu den "Guten" (den Begriff Gutmensch mach ich mir nicht zu eigen)

    Ich habe sogar mal bei "Superbiomarkt" angerufen und eine halbe Stunde mit einer Dame telefoniert. Die war sehr nett, aber verblüfft, dass das es mir wichtig war, dass ein Unternehmen NICHT nach anthroposophischen Grundsätzen wirtschaftet. Ergebnis: nicht zwingend: allerdings bekommen die Mitarbeiter manchmal anthroposopisch orientierte Kurse spendiert.

    Ich frage mich: gibt es nicht Theaterbesuche, Ganzheitlichkeit, Musikinstrument lernen ohne diesen elitär-esoterischen Firlefanz?

     

    Ich gehe also auch AUS ETHISCHEN Gründen in den Otto-Normal Supermarkt, weil ich einfach nur Bioprodukte haben möchte: und zwar OHNE Ideologie die mir dabei untergeschoben wird.

     

    Und von daher sehe ich die Entwicklung positiv, dass die größeren Firmen, das Bio-Konzept kopieren. Da fällt wenigstens der ideologische Balast ab.

     

    Allerdings gibt es einen kleinen Bioladen, der nicht zu einer Kette gehört in dem ich auch manchmal einkaufe. Natürlich nur von Firmen die ideologisch neutral sind.

    Und da ziehe ich natürlich die Produkte von mittelständischen Unternehmen vor. Gut, dass es Vegan-StartUps aus dem urbanen Milleu gibt, die häufig nicht viel mit anthrop. "Traditions"unternehmen zu tun haben.

  • Ich bin zwar kein Vegetarier (jemand, der - wenn er denn Fleisch kauft Bioprodukte kauft), aber kaufe eigentlich ausschließlich Biolebensmittel, darunter viel Vegetarisches. Bei der ganzen Biobranche bzw. Vegiebranche kann man beobachten, dass sich die großen Konzerne diesen Trend einverleibt haben.

    Nun, ich kann verstehen, dass das für die kleinen Firmen natürlich schlimm ist, dennoch kaufe ich meine Bioprodukte nicht im Biomarkt sondern im normalen Supermarkt. Und zwar aus folgenden Gründen:

    1. Bioläden sind einfach auch irgendwie elitär. Das Motto Bio-für-alle sehe ich mehr im normalen Supermarkt verwirklicht. Für mich ist es ein Kompromiss zwischen zwei Idealen. Anti-Elitär (v.a. bei Lebensmitteln) einerseits, ökologischer Anspruch andererseits - ohne besonders räumlich sichtbare soziale Distinktion.

    2. auch wenn ich sehr für den Mittelstand bin, so ist für mich entscheidender, dass möglichst viele Menschen ökologisch einkaufen können, als dass eine kleine Pionierfirma überlebt. (so leid mir das tut)

    3. die Bioläden gehen mitnichten zwingend sozialer mit ihren Mitarbeitern um. Da ist mir der direkte klar kapitalistische Normalosupermarkt in seiner Ehrlichkeit sogar "fast" (!!!) lieber, als diese Heuchelei, wo man sich ja per Selbstdefinition zu den Guten zählt. Der schlimmste Missbrauch ist jener, der vom vermeintlichen Freund erfolgt (weil die Abgrenzung so schwer fällt). Dann psychol. doch lieber die klassische strukturelle Ausbeuter-Arbeiter Dichotomie. Da sind die Fronten wenigstens klar.

    4. Was mir aber besonders aufstößt ist die mangelnde ideologische Selbstreflexion vieler Vertreter der Biobranche, besonders was den esoterischen Dünkel und die kritiklose Verbreitung der Anthroposophie angeht. Für mich ist "Demeter" eben kein Qualitätssiegel, sondern eben das blanke Gegenteil. [...]

  • Wenn Adornos Behauptung, es gäbe kein richtiges Leben im falschen, plausibel zu bebildern ist, dann sicher hier.

     

    Ab 1944 sollen sich Adorno und sein Kollege Horkheimer gefragt haben, wieso die Aufklärung, die so hoffnungsvoll begonnen hatte, im industriellen Massenmord enden konnte. Ihre Antwort darauf lautete: Das liegt am "Herrschaftscharakter" der Vernunft. Der hatte sich schon zu Beginn der Menschheitsgeschichte klammheimlich eingeschlichen (auf welchen Wegen, würde hier zu weit führen) und wurde von den Aufklärern nie exerziert. Die waren schließlich echte Kinder ihrer Zeit – gesponsert von gottgleichen Monarchen. Statt sich also mit der Herrschaft anzulegen, haben sie darauf gehofft, das Macht-Problem würde sich mit der Emanzipation der Menschen von ihren Göttern von selber lösen. Was es natürlich nicht getan hat.

     

    Und nun? Nun haben kleinere Vegi-Produzenten ein Problem mit einer Macht, die sie nicht haben, Konzerne aber schon. Ich meine die sogenannte Marktmacht, die ebenso allmächtig zu sein scheint, wie frühere himmlische Mächte. Die ursprünglich fortschrittlichen Kleinen sind konservativ geworden durch ihren ökonomischen Erfolg. Sie wollen bleiben, wie sie sind, und hoffe, dass ihnen einer sagt: "Du darfst!" Die ursprünglich konservativen Großen hingegen bewegen sich mit Hoffnung auf Verbesserung (der Gewinnlage). Prompt werden sie von den Kleinen als Teufel gescholten, während sie sich selbst als reine Engel betrachten.

     

    Die Genugtuung, das Bewusstsein der Massen verändert zu haben (73 Prozent plus in fünf Jahren – nie war fleischfrei so beliebt wie heute), ist eben nicht genug. Nicht, so lange es noch Trittbrettfahrer gibt. Der Hang zur ausgleichenden Gerechtigkeit ist auch ein menschliches Talent. Und das ist gut so, finde ich. Masse nämlich hat die Macht schon immer gut gekonnt. Nur Qualität und Innovation nicht. Die müssen immer die Machtlosen leisten.

  • Es ist halt eine Philosophiefrage ob man die Teile der Gesellschaft die man ablehnt entweder vernichten oder ändern möchte.

    Wer vegetarische Produkte von Firmen unterstützt die parallel auch noch tierische Nahrung herstellen will die Gesellschaft über einen Wandel ändern, wer sich "Im Leben nicht mit denen" auf die Fahnen schreibt der will das alte zerstören um etwas neues (wie die hier genannten Pioniere) aufzubauen.

     

    Der letztere Ansatz ist konsequenter aber auch klar im Fundamentalismus zu verorten. Der Wandel kommt schneller wenn man ein Umdenken fördert - man muss nur akzeptieren dass man plötzlich mit dem alten Feind am gemeinsamen Tisch sitzt.

  • Sorry, aber ich bin als erstes über die Wortkreation "Schinken Spicker" gestolpert.

     

    Es ist anscheinend eine der viele grammatikalisch falschen Wortschöpfungen von Rügenwalder.

     

    Wie auch "Vegetarische Mühlen Frikadellen" oder "Mühlen Currywurst".

     

    Mehr Deppenleerzeichen siehe auch hier: http://deppenleerzeichen.de/

    • @Hanne:

      Vielen Dank, ich dachte schon, ich bin die einzige, die es bescheuert findet, dass Konzerne auch noch über unsere Sprache bestimmen.

  • Auch ich bin beim Vebu damals ausgetreten da sie ihren Namen für vegetarische Produkte hergeben. Besonders widersprüchlich ist der Vebu wenn man deren eigene Veröffentlichung "Wieviel Tod steckt in tierischen Produkten" (googlen) ansieht: Eier schneiden gar nicht gut ab! Immerhin macht Peta das nicht.

    Es wäre aber ein schöner Zug wenn die alten veganen Hersteller auch mit dem Peta-Logo werben könnten.

    • @Joachim1960:

      Ich persönlich halte sehr viel von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt (http://albert-schweitzer-stiftung.de/, https://de-de.facebook.com/albertschweitzerstiftung) - einer sehr seriösen und zudem äußerst effizient arbeitenden Tierrechtsorganisation. Dort würde man natürlich auch niemals seinen Namen für vegetarische Produkte hergeben.

       

      Derik Meinköhn, ein Redakteur des "Stern", hat übrigens ausgerechnet, dass für vegetarische Mortadella elfmal so viele Tiere ihr Leben lassen wie für Mortadella aus Schweinefleisch (https://de-de.facebook.com/meinkohn/posts/870186209713547).

      • @Christina de Havilland :

        Es geht hier doch gerade darum, dass ein Unterschied besteht zwischen Unternehmen, die einfach Vegi-Massenprodukte "raushauen", und welchen, die sich wirklich Gedanken machen, und sicherlich kein Eiklar verwenden von Hühner, die 430 Eier in 1,5 Jahren legen. Und selbst wenn, ist diese "Rechnung" natürlich Quatsch, wie leider das meiste, was Fleischfreunde zur Vegetarismusdebatte beitragen.

        • @Soda:

          Keine Sorge, ich habe die Kernaussage des Artikels durchaus verstanden ;-)!

          Meine Aussagen bezüglich der vegetarischen Produkte stellen lediglich eine Antwort auf die Anmerkung von Joachim1960 dar.

          Darüber hinaus: Derik Meinköhn ist Veganer und kein "Fleischfreund".

          Außerdem kann ich den berühmt-berüchtigten "Schritt in die richtige Richtung" nun wirklich nicht erkennen, wenn für vegetarische Produkte mehr Tiere sterben als für Fleischprodukte.

          Vom ethischen Standpunkt her macht es im Übrigen keinen Unterschied, ob man sich von Mischkost oder vegetarisch ernährt. Ziel kann es meines Erachtens nur sein, so wenig tierische Produkte wie möglich zu konsumieren.

        • @Soda:

          Das eine schliesst das andere nicht aus. Die meisten Hühner werden nach einem Jahr und 275 Eiern geschlachtet.

          Fleischfreunde und Vegetarier sind Leute die gerne Tiere ausbeuten. Letzteres sollte nur ein Übergang zur veganen Lebensweise sein.