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Unruhen in der OstukraineRegierung in Kiew erwägt Referendum

Eine Volksabstimmung im Osten des Landes über den Verbleib in der Ukraine? Für Präsident Turtschinow ist das kein Tabu. Derweil beginnt ein Anti-Terror-Einsatz.

Ganz klar für eine Abspaltung: Prorussische DemonstrantInnen vor der besetzten Gebäude der Staatssicherheit in Lugansk, Ostukraine. Bild: reuters

KIEW/MOSKAU rtr/dpa | Die neue Regierung in Kiew erwägt angesichts anhaltender pro-russischer Proteste eine Volksabstimmung in den östlichen Landesteilen über deren Verbleib in der Ukraine. Das Referendum könnte parallel zur Präsidentenwahl am 25. Mai abgehalten werden, sagte Übergangs-Präsident Alexander Turtschinow am Montag in Kiew.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow forderte umgehend mehr Informationen über das angedeutete Referendum. Es sei im Interesse Russlands, dass die Ukraine als Ganzes erhalten bleibe, sagte er in Moskau. Die Bewohner des russisch geprägten Landesteiles müssten bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung einbezogen werden.

Turtschinow zeigte zuversichtlich, dass bei einem Referendum eine Mehrheit die Einheit der Ukraine unterstützen werde. Zugleich kündigte er an, die Armee werde ihren „Anti-Terror-Einsatz“ starten. Der Region um die Industriemetropole Donezk werde „bald stabilisiert“ werden.

Allerdings hat Turtschinow mitten in den Vorbereitungen zu der angekündigten Anti-Terror-Operation den Leiter des Einsatzstabs ausgetauscht. Der Staatschef ordnete zudem weitere Personalveränderungen in einer Kommission des Anti-Terror-Zentrums beim Geheimdienst SBU an, wie das Präsidialamt in Kiew am Montag mitteilte.

Leiter der Anti-Terror-Aktion ausgetauscht

Präsident Turtschinow setzte den erst unlängst ernannten Witali Zyganok als Anti-Terror-Chef ab und ernannte Wassili Krutow zum Leiter der Einheit. Beobachter in Kiew sprachen von chaotischen Zuständen und demoralisierten Sicherheitskräften.

Bewaffnete pro-russische Separatisten hatten in mehreren ostukrainischen Städten Verwaltungsgebäude besetzt. Ein Ultimatum der Regierung in Kiew zur Aufgabe verstrich am Morgen, ohne dass es Zeichen für ein Einlenken gab. Russland hat angekündigt, die russisch-stämmige Bevölkerung in der Ukraine zu schützen und Truppen an der Landesgrenze zusammengezogen.

Auch die Abspaltung der Krim wurde durch ein Referendum eingeleitet. Auf der Halbinsel hatten pro-russische Kräfte Gebäude der Regionalregierung besetzt und den Beitritt zur russischen Föderation gefordert und ein Referendum erzwungen. Vergangenen Monat wurde die Krim trotz internationaler Proteste Teil Russlands.

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4 Kommentare

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  • Referendum- das sind ja gute Nachrichten. Kommt das Putschistenregime langsam zur Besinnung? Naja, müssen sie ja auch, es laufen ihm die Leute davon, immer weniger Soldaten hören auf die Befehle aus Kiew, täglich laufen Einzelne und ganze Einheiten zu Russland über.

     

    Das Referendum darf nur nicht gesamtukrainisch organisiert werden, sonst überstimmt nur wieder die eine Landeshälfte die andere und die Probleme beginnen von vorn. Die Lösung des Problems ist: Regionales Referendum in jeder ukrainischen Oblast. Jede Region soll selbst entscheiden, ob sie

    a) sich mit Russland wiedervereinigen will

    b) in der Ukraine bleiben, aber Autonomie und weitgehende Selbstverwaltung will

    c) wie bisher in einem zentralisierten Einheitsstaat leben und sich alles aus Kiew diktieren lassen will.

  • " Beobachter in Kiew sprachen von chaotischen Zuständen und demoralisierten Sicherheitskräften. "

     

    "demoralisiert" heißt wahrscheinlich , dass die Truppen sich nicht im Kampf Ukrainer gegen Ukrainer verheizen lassen wollen , in einem Kampf , der fast unvermeidlich zu einem Bürgerkrieg werden könnte , einem Bürgerkrieg , in dem es allein um die territoriale Einheit des Staates Ukraine ginge , also dafür , dass zusammenbleiben solle , was schon länger nicht recht zusammenpassen will . Dafür sterben wollen bzw. können ? Sicherheitskräfte , die das nicht mitmachen , nenne ich nicht "demoralisiert", die sind nur nicht bescheuert.

    • @APOKALYPTIKER:

      Die ukrainischen Soldaten haben auch gesehen, wie brutal das neue Regime die Polizisten verfolgt, die vor 2-3 Monaten in Kiew gegen die Demos eingesetzt waren. Die haben jetzt keine Lust mehr, Befehle eines angeblich legitimen Regimes auszuführen mit dem Risiko, in naher Zukunft dafür verfolgt zu werden.

       

      Und auf das unbewaffnete Volk zu schiessen haben die Soldaten auch keine Lust. Sollen die Kiewer Putschisten die Drecksarbeit doch selber machen.

  • Turtschinow kommt den Russen relativ weit entgegen. Das muss er leider auch, wenn er seinen eigenen Laden nicht im Griff hat. Lawrow hat wiederum großes Interesse, mehr über das Referendum zu erfahren, weil er ja weiß, wieviele Saboteure sein Chef Putin in die Ost-Ukraine geschickt hat. Wenn nun abgestimmt werden soll, wäre es für Russlands Ansehen in der Welt schädlich, wenn seine Kettenhunde weiterhin im maskierten Zustand Rathäuser etc. besetzt halten. Putin muss die illegalen Bewaffneten, sobald Frieden angesagt ist, schnell zurückrufen können. Und er muss sein Militärbündnis mit China etc., die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) vor Verfall bewahren. Denn China ist offenbar nicht gerade beglückt über die russische Aggression in der Ukraine.