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Hamburgs hässliches ErbeUnsere Kolonien

Hamburg will sich mit seiner Kolonialgeschichte beschäftigen. Doch statt Lob gibt es Kritik von Wissenschaftlern und Verbänden.

Das Afrika-Haus im Hamburger Kontorhausviertel war Stammsitz der Kolonialreederei Woermann. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Es gibt kein Vergessen. Schon gar nicht bei Erbschaftsfragen. Die Geschichten, die man sich darüber erzählt, wissen das zu verhindern. Weil es in der Natur des Erbens liegt, Ungerechtigkeit zu erzeugen, hatte der französische Soziologe Émile Durkheim einmal vorgeschlagen, diese gesellschaftliche Praxis besser ganz abzuschaffen, um so den Weg frei zu machen für eine egalitäre Gesellschaft.

Nicht abschaffen, sondern beleuchten will nun Hamburg sein koloniales Vermächtnis. Mit einem gesamtstädtischen Erinnerungskonzept wolle die Stadt – als erste in Deutschland – das koloniale Erbe aufarbeiten, gab der Hamburger Senat im Juli bekannt. Denn als große Hafen- und Handelsmetropole habe die Stadt eine besondere Verpflichtung und ein besonderes Interesse, erklärte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos): „Wir werden uns der Geschichte mit mehreren Initiativen stellen.“

Handfest sind die noch nicht. Die für das Konzept zuständige Kulturbehörde erklärt, „um eine fundierte wissenschaftliche Grundlage für die Erarbeitung zu haben, bedarf es etwas Forschungszeit“. In einem nächsten Schritt will die Behörde die Ergebnisse im nächsten Jahr in einer öffentlichen Tagung diskutieren. Noch in diesem Jahr soll der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer im Auftrag der Stadt nach Dar es Salaam in Tansania reisen, um den wissenschaftlichen Austausch mit der Hamburger Partnerstadt weiter voranzubringen.

In der wissenschaftlichen Forschungsstelle „Hamburgs koloniales Erbe. Hamburg und die frühe Globalisierung“ will der Professor für afrikanische Geschichte herausarbeiten, wie tief Hamburgs Geschichte überhaupt mit dem Kolonialismus verbunden ist. Für Zimmerer sind das aber nur Bausteine einer Aufarbeitung. Später, wenn der Prozess in Gang gesetzt ist, werde sich zeigen, wie die einzelnen Akteure in der Stadt damit umgehen, wenn beispielsweise die Geschichte der Handelskammer und deren Verstrickungen in den Kolonialismus dokumentiert sind. „Dann beginnt meines Erachtens die eigentliche Aufarbeitung erst“, sagt der Historiker. Hamburg sei mit dem Kolonialismus der letzten 500 Jahre derartig eng verbunden, dass er von einer „Sisyphusarbeit“ spricht.

Dass die wichtig ist, darüber sind sich noch alle einig. Bei der Umsetzung scheiden sich jedoch die Geister. Kritiker wie der Hamburger Migrationsforscher Louis Henri Seukwa bemängeln, dass die Stadt die Kolonialgeschichte viel zu stark auf die Beziehungen zu Tansania reduziere und viel zu einseitig auf die historische Betrachtung setze, die ja nur einer unter vielen Zugängen ist. Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) ist empört, dass ausgerechnet die Nachfahren der Opfer von Kolonialismus und Rassismus von der Mitarbeit an dem Senatskonzept ausgeschlossen worden seien. Ihr Beiratsmitglied Ginnie Bekoe spricht von einem Skandal, denn es seien gerade jene Selbstorganisationen Schwarzer und afrikanischer Menschen sowie postkoloniale Initiativen gewesen, die das Konzept angeregt hätten.

Die Kulturbehörde weist diese Kritik zurück: Die Einbindung der unterschiedlichsten Gruppen sei ganz klar vorgesehen, erklärt deren Sprecherin Laura-Helen Rüge. „Für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes der Stadt soll zunächst vor allem die wissenschaftliche Grundlage geschaffen werden.“

Die Zeiten, in denen Deutsche anderen erklärten, wie sie Geschichte aufzuarbeiten hätten, seien vorbei, sagt der Historiker Zimmerer. Er lehnt es ab, ein altes Narrativ der Geschichtsbetrachtung durch ein neues zu ersetzen und dieses „professoral abzusegnen“, wie er sagt. Bei der Aufarbeitung sei vielmehr der Prozess, also der Weg das Ziel. Und zwar „unter Einbeziehung aller Leute, die sich daran beteiligen wollen“.

Mehr zum Thema "koloniales Erbe in Norddeutschland" gibt es in der gedruckten taz.am wochenende vom 4./5. Oktober 2014 oder am Online-Kiosk der taz.

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7 Kommentare

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  • Kolonialgeschichte läßt sich gar nicht darstellen, ohne den Rassismus dahinter zu thematisieren. Irgendwo muss man damit aber mal anfangen, auch wenn es manchen Leuten nicht recht in den Kram passen will..

  • Ist es jetzt schon Rassismus, wenn man für eine Aufarbeitung einen gewissen wissenschaftlichen Anspruch erwartet. Natürlich kann man das auch so machen, dass einfach jeder seine Geschichte erzählt und seine Meinung äußert. Aber dann soll man das bitte nicht "Studie" nennen.

    Es scheint fast, als wollten einigen Leute, die sich selbst eine wissenschaftiche Bezeichnung wie "Historiker" geben, die Wissenschaft komplett abschaffen. Jeder labert irgendwas "Betroffenes" daher und das ist dann besser?

    • @Dr. McSchreck:

      Wenn Sie mit 'selbsternannten Historiker' Herrn Zimmerer meinen, dann liegen Sie falsch. Prof. Dr. Jürgen Zimmerer hat eine Professur für Afrikageschichte an der Uni Hamburg.

      • @Rainer B.:

        Danke für die Info. Dann ist die Äußerung aber noch deprimierender, wenn also ein Professor nicht weiß, was wissenschaftliche Standards sind oder sie aushebeln will. Wissenschaft besteht jedenfalls nicht darin, einfach mal alle Betroffenen reden zu lassen. Sondern man braucht ein Konzept und in dessen Rahmen kann man dann ggf. auch Stimmen sammeln oder Betroffene beteiligen.

        • @Dr. McSchreck:

          Das Konzept wurde doch im Kommentar grob skizziert und was sollte denn unwissenschaftlich daran sein, wenn man Betroffene selbst zu Wort kommen lässt und einbezieht? Herr Zimmerer soll ja gerade die wissenschaftlichen Standards dabei sicherstellen. Gehen Sie getrost davon aus, dass es gar nicht in seinem Interesse liegen kann, wissenschaftliche Standards auszuhebeln.

          • @Rainer B.:

            in dem Artikel liest es sich aber so, als würde er kritisieren, dass nicht von Anfang an die Opfer der Kolonialisierung zu Wort kamen. Sie würden übergangen. Während diejenigen, die die Studie erstellen erklärt haben, dass man eben erst ein Konzept entwickeln will und dann werden alle Stimmen einbezogen.

            Ich sehe aber, dass Herr Zimmerer oben schon erwähnt ist und das Konzept also mit erarbeitet hat. Daher ist die Kritik in meinem ersten Beitrag an die falsche Adresse gerichtet, ich hatte die Äußerung am Ende falsch einsortiert und ihn auch bei den Fundamentalkritikern eingeordnet. Das war falsch.

            Gemeint sind dann nur Herr Seukwa und die andere Initiative, die sich gegen die Form der Aufarbeitung wehren.

            • @Dr. McSchreck:

              @drmcschreck

              Was meinen Sie mit wissenschaftlichen "Standards" vs. "Fundamentalkritiker"?

              Prof. Zimmerer ist ebenso ein qualifizierter Wissenschaftler wie Prof. Seukwa. Und in der "anderen Initiative", wie Sie formulieren, sind auch Wissenschaftler_innen tätig. Auch Nachkommen der Opfer der Kolonisierten können also durchaus wissenschaftlich tätig sein - stellen Sie sich das mal vor! Zudem haben sich die ziviligesellschaftlichen Initiativen über ein Jahrzehnt Wissen vor Ort angeeignet, die nicht unbedingt an der Uni gelehrt wird. Dieses Wissen geben sie schon lange in Bildungsveranstaltungen weiter.

              Die Initiativen wehren sich nicht gegen die Aufarbeitung, wie kommen Sie darauf? Im Gegenteil; sie sind die Initialzündung dieses Prozesses. Sie fordern ein, dass vor allem die Nachkommen der Kolonisierten einbezogen werden sollen. Denn, das sagt ja Prof. Seukwa klar: die Kolonialgeschichte kann gar nicht rein geschichtswissenschaftlich ausreichend aufgearbeitet werden. Sie betrifft weitaus mehr Wissenschaftsdisziplinen, wie in den Diskursen der postcolonial studies und der Kulturwissenschaften formuliert.

              Die Forderung, andere wissenschaftliche Herangehensweisen und andere historische Perspektiven (die der Nachkommen der Kolonisierten) VON ANFANG AN mit einzubeziehen, führt zu anderen Ergebnissen, als eine rein geschichtswissenschaftliche Erforschung anhand einer einzigen, zudem zeitlich und geographisch begrenzten Sichtweise.

              Die Frage stellt sich eher: ist Hamburg bereit, sich ernsthaft mit seiner 500-jährigen Kolonialgeschichte auseinander zu setzen? Mit Sklavenhandel und Kolonisierung auf allen Kontinenten, auch von Gebieten, in denen kolonieähnliche Strukturen durch ungleichen Handel geschaffen wurden?