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Klaus Wowereits RückzugDer es den Waschlappen zeigte

Wowereits Coming-Out war wichtig für die Renaissance Berlins als hippe Metropole. Doch auch bundesweit setzte er Maßstäbe.

Zu Lebzeiten schon historisch: Das Schwule Museum in Berlin widmet Klaus Wowereit eine eigenen Ausstellung. Bild: imago/Stefan Zeitz

Berlin? Irgendwie sah das mal grau aus, schmutzig, verlebt, unfrisch, dauererschöpft. Noch eine Woche vor der – dieser – Performance, die Klaus Wowereit 2001 ablieferte, hätte niemand auch nur einen Cent darauf gewettet, dass sich die Hauptstadt anders fantasieren ließe als so: Bankenskandal, Raffgier und Subventionsgeilheit der alten Westberliner Kreise, die man für die tonangebenden halten musste. Berlin war ein abgehalftertes Unternehmen unter dem Dirigat von CDU-Politikern wie Eberhard Diepgen.

Am 9. Juni 2001 hätte niemand auch nur zu träumen gewagt, dass sich an dieser Wahrnehmung etwas ändern könnte. Berlin – cool? Nicht für alle Schulden, die damals den Haushalt der Stadt drückten. Tags darauf aber war Sonderparteitag der SPD, Klaus Wowereit, ein Berliner Politiker, der nicht über Kladow, Rudow und Marzahn hinaus bekannt war, hatte in der großen Koalition den Aufstand gewagt und, unbeschädigt im Bankenskandal, ein Misstrauensvotum gegen Diepgen lanciert.

Die Partei musste ihn ohnehin wollen, Alternativen gab es keine. Und vielleicht wetzten im Hintergrund der CDU zugeneigte Medien wirklich die Messer, um den Emporkömmling zu denunzieren.

Aber er ließ die mögliche Attacke ins Leere laufen. Sprach auf dem Landesparteitag eher allgemein – und kam dann zu dem, was die Berliner Verhältnisse bis heute ins ganz und gar Andere umkehren sollte. Es war nur ein Nebenaspekt, sagte er später, hauptsächlich jedoch eine Klarstellung. Die musste aber für einen professionellen Politiker wie ihn sein, vor ihm allerdings hatte es noch keiner gewagt, die Karten so sehr auf den Tisch zu legen: „Und liebe Genossinnen und Genossen. Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“, teilte er dem Auditorium mit.

Durfte er das?

Die Medienwelt war mindestens schockiert. Durfte er das? Hat er nicht unziemlicherweise seine sexuellen Vorlieben offenbart? Würde das nicht alles an Erfolgschancen zerstören? Nein, nein und nein: Mit diesem Satz hatte Klaus Wowereit diese gewisse eisige Diskretion homosexuellen PolitikerInnen gegenüber pulverisiert. Bis dahin galt: Don’t ask, don’t tell. Nicht drüber sprechen, lieber hüsteln und tuscheln. Plötzlich waren Spitzenpolitiker wie der Hamburger Christdemokrat Ole von Beust und der Oberneoliberale Guido Westerwelle blamiert: Auch sie schwul, aber sie hatten sich nicht getraut, offenherzig, souverän und unverkniffen ihre öffentlichen Rollen mit ihrer persönlichen Lebensweise aufzufüttern.

Heterosexuelle haben das nie recht verstanden, warum das wichtig war. Schwule und Lesben wissen das genau. Die übliche Welt musste mangels anderer Beispiel in Mann-Frau-Schemata gedacht werden. Ein Politiker hat eine Frau und setzt sie nötigenfalls im Wahlkampf sympathieheischend ein. Schwule und Lesben glaubten, das nicht zu können. Homosexualität galt als Karrierekiller, nicht als interessanter Aspekt einer Persönlichkeit.

Wowereit war quasi über Nacht berühmt – er war Talk of the town. Ach was – er setzte bundesweit Maßstäbe für das, was fortan galt: Schwul zu sein ist kein Drama, auch nicht für allerhöchste Ämter. Freilich: In den ersten Jahren merkte man auch liberalen Blättern wie der Zeit und dem Tagesspiegel an, dass mit einem wie Wowereit sich die heterosexuellen Deuter der politischen Arena an den eigenen Fantasien zu Schwulem abarbeiteten.

„Partymeister“ wurde er geheißen, weil er sich auch auf Partys, bei Vernissagen, bei Festen und Theaterrevuen tummelte. Die Vorwürfe liefen immer auf das Gleiche hinaus: Typisch Wowi, schon wieder nur gefeiert. Politreportertum verschmolz mit den journalistischen Genres, die die Gala oder die Neue Revue zu bedienen haben. Letztere etwa veröffentlichte eine Bilderstrecke mit Wowereit und Talkshowmoderatorin Sabine Christiansen – eng umschlungen. Auf dem Titel fragte sie: „Erregung öffentlicher Hoffnung. Kann sie ihn umdrehen?“

Was für spießige Fragen

Was für spießige Fragen, die sich diese Knallchargen stellten. Und in der Zeit monierte Bernd Ulrich ein Grußwort des Bürgermeisters für ein Sexfetischfestival in Berlin: „Klaus Wowereit begrüßt die Lederszene – und auch die Gewalt?“ Eine Fantasie aus muckeliger Bausparvertragslebensängstlichkeit, nichts anderes. Ein Ressentiment, das die für Berlin wichtige Sexmesse gleichsetzte mit einer neonazistischen Gewaltorgie. Andererseits: Was für ein lustiger Unfug, den unsere (heterosexuell) gewirkten Medien da aufrülpsten. Unter deren Radarschirmen blieb derweil unbemerkt, dass das Selbstouting des Klaus Wowereit das politisch wichtigste Moment für die Renaissance Berlins als hippe Metropole wurde.

Völlig unterschätzt wurde eben nicht allein, dass Wowereits hübsch flapsiger Satz, Berlin sei „arm, aber sexy“ gerade jene kreativen Milieus in die Stadt zu ziehen verführte, die sie noch unter Diepgens Regentschaft nicht einmal per Gratisticket angesteuert hätten. Berlin – das war queer, das war plötzlich „Du darfst“ und ein „Probier es aus“.

Nicht minder unbeachtet blieb, dass Wowereit auch in den proletarischen und kleinbürgerlichen Szenen der Stadt extrem populär war (und wieder ist). Der traut sich was, der hat’s drauf, der sagt, was Sache ist. Hätten sie ihn doch nicht nur bei beim Tête-à-Tête mit Künstlerinnen beobachtet, die ihn aus sehr schicken Schuhen Champagner trinken ließen – sondern etwa bei Ortsterminen in Altersheimen, Kleingärtnervereinen oder bei Weihnachtsfeiern der Müllabfuhr: Das war ein Geherze und Geknuffe – populär wie Bolle zu Pfingsten.

Nur, was für eine schöne Pointe, für die Förderung von Homoprojekten ließ er sich nie recht erwärmen. Klar, es gab immer ein Klima der Gewogenheit, um etwa Projekte gegen antischwule Gewalt zu bedenken. Aber alle lesbischen, schwulen oder trans*-gewirkten Bittsteller wurden freundlich mit Kaffee und Tee bewirtet, aber stets mit der gleichen Frage behelligt: Schöne Idee – aber welches Geld bringt ihr mit? Nein, ein Homolobbyist war er nicht, lediglich das Schwule Museum bekommt seit kurzer Zeit Geld aus Kulturtöpfen. Und das darf auch so sein: Dieses Haus an der Lützowstraße ist schließlich eine Marketingfigur, und zwar global.

Eigene Ausstellung

Zum Abschied hat ihm das Museum gar eine eigenen Ausstellung geschenkt, mit Wowi-Bildern und -Ikonen. Das öffentlich Wichtigste ist beieinander. Wowereit, älter geworden natürlich, grau, ist jetzt weniger der kraftstrotzende Anführer, mehr der Grandseigneur. Zufrieden guckt er sich bei der Eröffnung am Montagabend alles an – der hat offenbar wirklich seinen inneren Schreibtisch aufgeräumt. Mittwochnachmittag folgt dann noch das letzte Defilee: Die queere Politszene der Stadt gibt ihm zu Ehren einen Empfang im Foyer des Roten Rathauses, mächtiger Andrang ist zu erwarten.

Überhaupt fallen die Trauerreden, da seine Zeit als Regierungschef von Berlin am Donnerstag endet, versöhnlich, ja, beinah überfreundlich aus. Von FAZ über die Welt bis hin zur Bild-Zeitung: Wowi war ein Guter.

Inzwischen ist es keine Sensation mehr, kandidiert ein Politiker für ein Amt und macht nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann Wahlkampf. Undenkbar, dass eine wie Umweltministerin Barbara Hendricks in der Ära vor Wowereit ihre Eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer Frau zu Protokoll gegeben hätte. Oder dass der Nachfolger von Erika Steinbach als Vertriebenenchef, Bernd Fabricitius, schwul ist.

Man hat ihn unterschätzt, diesen Politiker, aufgewachsen am Stadtrand von Westberlin. Gut so. Man glaubte, ihn mit seiner Art zu begehren erledigen zu können. Wowereit hat diesen analytischen Waschlappen gezeigt, was wirklich geht. Besser das!

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9 Kommentare

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  • Armes Land, das (u.v.a. auch solche) Selbst-Darsteller braucht. Das Schlimme dabei – die so notwendigen Taten, die so notwendigen Kompetenzen, bleiben aus...

     

    So räumte (u.v.a.) auch Wowi nicht auf mit dem Berliner (im Westen, woher er stammt: traditionell CDU/SPD-)Filz, mit der Verschwendung und der Inkompetenz nicht auf. Denn so was konnte er (u.v.a.) auch nicht, auch wenn er (rein theoretisch) gewollt hätte. Denn dazu sind solche Posten ja auch nicht da.

     

    Liebe Berliner, wann schafft ihr euere überbezahlten Nichtstuer, also solche Posten, ab?

    • @vjr:

      Gemach -

       

      Berlin - ohne

      Ernst Reuter

      Willy Brandt

      Pfarrer Albertz

       

      besser nicht vorstellbar!

  • ...muzeale Selbstbeweiräucherung

    BER-Milliardendesatser

    Schlossatrappe zwecks Disneytouch

    Positive Bilanz des Hotel- und Gaststättengewerbes - immerhin ein Niedriglohnsektor...

    alles gefördert von seinem Senat - da wird mir selbst als Schwuler schlecht.

    Emanzipation ist das nicht, genausowenig, wenn es merkelt und eine Frau und Mutter Chef unserer international tätigen Söldnerarmee ist...

  • Berlin die hippe Metropole -

    Wie verpeilt is das denn!

     

    Phantomscherz?

    Das ist doch längst durch!

    Closed shops - Going pepita;

    Squaredance on the roof -

    Schade Schade

    Nur chice Fassade

     

    Berlin die hippe Metropole -

    Träumt weiter auf eurer Insel

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Und Wowi hat das ganz allein hingekriegt mit ein paar flapsigen Sprüchen!? Er kam, sah und siegte auf ganzer Linie!?

       

      Berlin wäre genauso hip oder unhip geworden wie es heute ist, mit oder ohne ihn.

      • @849 (Profil gelöscht):

        Ja klar - er hatte nichemal

        nen Koch dabei;

        Roland hatte anderes zu tun;•)

      • @849 (Profil gelöscht):

        Der Ansicht bin ich auch - Wowereit als Bürgermeister Berlins ist eher eine Folge dessen, dass Berlin ziemlich hip ist. Es ist vielmehr so, dass Wowereit eher dazu beigetragen hat, das schlecht zahlende Hotel- und Gaststättengewerbe zu fürdern, schließlich hat er sich ja auch nicht dem Bau der Schlossatrappe nicht widersetzt und u.a. den BER ins Milliardenloch beaufsichtigt - dafür museal gewürdigt zu werden wäre besser, als ihn als Ikone einer Emanzipation zu feiern, die nicht zu emanzipierten Verhältnissen föhrt - siehe Merkel und Frau Chefin unserer Söldnerarmee. Finde ich als Schwuler der deutschen demokratischen Republik...

  • Selbst als Schwuler gefällt mir dieser museale Personenkult nicht. Die Sexmesse überteuerter Artikel ist für die Wirtschaft Berlins sicher nicht so wichtig wie das BER-Desaster schädlich, dient aber der Disneyisierung Berlins, die leider Hauptstadt ist und sich eine Schlossatrappe leisten will, nachdem der verhängnisvolle Reichstag - mit einer demagogischen Kuppel versehen - reaktiviert wurde. Die Emanzipation der Frauen, der sexuellen und anderer Minderheiten stelle ich mir jedenfalls nach wie vor nicht so vor, dass diese die alte Scheiße genauso weitermachen wie bisher, oder schlimmer siehe - Merkel/Kohl oder andere tranvestive Beispiele...

  • ... dass die sexuelle Orientierung und das Geschlecht bei Wahlen und auch in der Politk keine Rolle spielen sollte, ist für mich als Schwuler selbstverständlich, wird aber mit der quotisierenden Pseudo-Emanzitpation eher verächtlich gemacht. Dass aber mit diesem Merkmal Personenkult - siehe die Ausstellung als hoffentlich letztes Beispiel - und eine mehr als schlechte Politik verkauft wird, finde ich genauso wie den euphorisierten Artikel unerträglich. Die für Berlin angeblich so wichtige Sexmesse hätte auch ohne Wowi die überteuerten Produkte für umnebelte Kunden darbieten können - aber was ist das gegen die in den märkischen Sand gesetzten Milliarden beim Flughafen, beispielsweise?